Duisburger Filmwoche 46
im Werden begriffen
7.—13.11.2022

Festival Plakatmotiv

Grafik: studio konter

Preisträger:innen

ARTE-Dokumentarfilmpreis

Benedikt
von Katrin Memmer

Ein Mann arbeitet. Er arbeitet schnell und in einem fort. Er arbeitet mit Tieren, routiniert sind seine Abläufe, vielleicht sogar ein wenig ruppig. Es gibt eine Faszination für diese Arbeit und die Zeit, die sie dauert. Und wie als bräuchte es ein Verstehen vor dem Einlassen, löst sich die Kamera erst nach und nach vom Protagonisten, folgt einer Lust am Schauen hinein in die Natur, hinein in Oberflächen: Fell, Haare, Blätter im Wind, auch in die Dunkelheit. Wir sehen das nicht zum ersten Mal. Aber eine Erfahrung ist niemals universell, immer einzigartig. Im Kino, unter vielen, hin auf die Leinwand und zwischen den Lautsprechern kann diese Erfahrung sich übertragen. Und dann passiert das, was immer ein kleines Wunder ist: Ohne dass wir verstehen wie, sind wir berührt. Von Benedikts Sein in der Welt ebenso wie von dieser Welt mit ihren Schafen, Bienen, Maschinen und der Bewegung der Luft.

Lobende Erwähnung

Aşk Mark ve Ölüm
von Cem Kaya

Der Film ermöglicht den einen, eigene Erinnerungen anhand gut recherchierten Archivmaterials und packender Erzählungen von Zeitzeugen noch einmal zu durchleben und den anderen die Entdeckung eines wenig beachteten Kapitels der deutschen Kulturgeschichte. Zusammen bringt sie die vielfältige Musik, die der Film feiert. Damit schafft er einen frischen und vielschichtigen Einblick in das deutsch-türkische Kulturleben in Deutschland und widersetzt sich den zumeist einseitig definierten herkömmlichen Zuschreibungen.

3sat-Dokumentarfilmpreis

Unrecht und Widerstand
von Peter Nestler

„Unrecht und Widerstand“ – der Titel beschreibt, was der Film verhandelt:
den Völkermord an den Sinti und Roma und ihren jahrzehntelangen Kampf gegen Diskriminierung, den Widerstand einer Minderheit, aus dem eine Bürgerrechtsbewegung entstand und der erst 1982 zur Anerkennung des Genozids durch die Bundesregierung führte.
Der Film ist eine dringliche Aufarbeitung eines Teils deutscher Geschichte, der eine Leerstelle im kollektiven Bewusstsein markiert – und einen Skandal: die Verlängerung des Unrechts im Nachkriegs-Deutschland durch die Kriminalisierung der Sinti und Roma.
Romani Rose, Bürgerrechtler und Hauptprotagonist des Filmes, beschreibt es mit folgenden Worten: „Die Täter behielten die Deutungsmacht über ihre Opfer und haben sich darüber rehabilitiert.“
Rhetorisch brillant stellt sich der Film in den Dienst dieser Aufarbeitung. Präzise montiert er sein Material: Erinnerungen von Zeitzeug:innen, zeitgenössische Forschung und Archiv. Unsere Empathie als Zuschauer:innen entsteht gerade durch die Sachlichkeit der Argumentation.
Der Film räumt auf und sortiert: mit Vorurteilen und Klischees, mit Ignoranz und Unwissenheit – er erinnert uns daran, worauf es ankommt:
„Wichtig ist, die eigenen Ambivalenzen auszuhalten, nicht eine Gruppe von Menschen für unsere Ängste oder Sehnsüchte haftbar zu machen.“ (Zitat aus Film)
Damit leistet der Film einen wichtigen Beitrag zu aktuellen identitätspolitischen Debatten.

Preis der Stadt Duisburg

Sonne unter Tage
von Alex Gerbaulet, Mareike Bernien

Was wir aus der Erde holen, sucht uns irgendwann heim – als saure Wolken, als Tumore, als nukleare Sprengköpfe. Der Abbau von Uran hinterlässt eben nicht nur Narben in der Landschaft, sondern in unserem Leben. Die Frage ist: Wie kann sich ein Film diesen Spuren in Bildern und Ton annähern, wie sie sichtbar machen? Dieser Herausforderung stellt sich „Sonne unter Tage“, der die Perspektive der DDR-Umweltbewegung und ihren Widerstand gegen den Uran-Abbau zum Ausgangspunkt für eine komplexe Recherche nimmt. Alex Gerbaulets und Mareike Berniens Arbeit besticht dabei insbesondere durch konzeptionelle und inhaltliche Dichte und die ästhetische Konsequenz, mit der sich der Gegenstand des Films, das Uran, in das filmische Bild einschreibt – als Leuchten, als Flackern, als Farbverschiebungen.

„Carte Blanche“ Nachwuchspreis des Landes NRW

Zweisamkeit
von Lilian Sassanelli

Was ursprünglich als persönliche Spurensuche nach Antworten auf Fragen der Liebe begann, entwickelt sich zum intimen Porträt der eigenen Grosseltern und ihrer fast lebenslangen Zweisamkeit. Liebe, so macht der feinfühlige Film von Lilian Sassanelli deutlich, muss selbst bei einem vermeintlichen Traumpaar wie Elke und Klaus stets neu verhandelt werden. Der Regisseurin gelingt dabei das formale Kunststück, scheinbar mühelos zwischen Nähe und Distanz zu balancieren, indem sie Bilder biederer Bürgerlichkeit auf Momente grosser Nähe und Verletzlichkeit folgen lässt. Mit Briefen, Archivbildern, Beobachtungen und Gesprächen der Grosseltern legt der Film dabei auch die Verletzlichkeit der Filmemacherin selbst offen und zeigt, dass Liebe ein gemeinsamer Prozess des Wachsens, Wohlwollens, Lernens und Verlernens ist.

Lobende Erwähnung

Drei Frauen
von Maksym Melnyk

In Stuschytsia, einem Nest in den ukrainischen Karpaten, treffen Filmemacher Maksym Melnyk und sein Team auf ein in der Auflösung begriffenes Dorf. So unterschiedlich die drei Protagonistinnen sind, vereint sie doch der Wille, in schwierigen Verhältnissen durchzuhalten. In seiner Annäherung an die drei Frauen und an seine Heimat verharrt der Regisseur nicht in einer rein beobachtenden Position, sondern webt zusehends sich und seine eigene Positionierung in den Film ein und wird so selber zum Akteur.

Publikumspreis der Rheinischen Post

Drei Frauen
von Maksym Melnyk

Jurys

ARTE-Dokumentarfilmpreis

Luise Donschen, Hannes Lang, Can Sungu

3sat-Dokumentarfilmpreis

Britt Beyer, Gabriele Mathes, Julia Zutavern

Preis der Stadt Duisburg
„Carte blanche“ Nachwuchspreis des Landes NRW

Cana Bilir-Meier, Juan S. Guse, Simon Spiegel

Kommission

Annette Brauerhoch, Mischa Hedinger, Dominik Kamalzadeh, Therese Koppe, Meike Martens, Aurora Rodonò, Alexander Scholz

Filme

Tara (Francesca Bertin, Volker Sattel | DE/IT 2022)
Vlog #8998 | Korean Karottenkuchen & Our Makeup Routine (Ji Su Kang-Gatto | DE 2021)
Lo que queda en el camino (Jakob Krese, Danilo do Carmo | DE 2021)
5 Dreamers and a Horse (Aren Malakyan, Vahagn Khachatryan | AM/DE/CH/DK/GE 2022)
Unterm Glanz (Gregor Eppinger | DE/PL 2021)
Nakskov 1:50 (Matilda Mester | DK/DE 2022)
The Dunes Said (Maya Connors | DE/AR 2021)
Unrecht und Widerstand (Peter Nestler | DE/AT 2022)
Zweisamkeit (Lilian Sassanelli | AT 2022)
Aşk, Mark ve Ölüm (Cem Kaya | DE 2022)
Benedikt (Katrin Memmer | DE 2021)
Kayu Besi (Andrianus „Oetjoe“ Merdhi, Max Sänger | DE 2022)
Japan – Big Lagoon Village (Stefanie Gaus | DE 2021)
Für die Vielen – Die Arbeiterkammer Wien (Constantin Wulff | AT 2022)
Sonne unter Tage (Alex Gerbaulet, Mareike Bernien | DE 2022)
Ghost Fair Trade (Cheikh Ndiaye, Laurence Bonvin | CH 2022)
Zusammenleben (Thomas Fürhapter | AT 2022)
I‘Tikaaf (Raaed Al Kour, Anna-Maria Dutoit | DE 2021)
Eigentlich eigentlich Januar (Jan Peters | DE 2022)
Vera (Tizza Covi, Rainer Frimmel | AT 2022)
Diva (Nicolas Cilins | CH 2022)
Wenn’s Leben beginnt (Gabriel Monthaler, Samira Fux | AT 2021)
Drei Frauen (Maksym Melnyk | DE 2022)
Miyama, Kyoto Prefecture (Rainer Komers | DE/JP 2022)

Extras

Über Altersgrenzen. Positionen und Praktiken des Dokumentarfilms zwischen den Generationen

Dunkelfeld (Ole-Kristian Heyer, Patrick Lohse, Marian Mayland | DE 2020)

Filmische Wesen, filmisches Werden. Werden von Menschen und Film
KIRSA NICHOLINA (Gunvor Nelson | US 1969)
Par 10 minūtēm vecāks (Herz Frank | LT 1978)
TENDRE (Isabel Pagliai | FR 2020)

Filmische Wesen, filmisches Werden. Werden von Material
Atlantic35 (Manfred Schwaba | AT 2015)
Les Mains négatives (Marguerite Duras | FR 1978)
Les Mains, Negatives (Julien Kreuzet, Ana Vaz | FR 2012)
Her* Hands And His Shape (Sílvia das Fadas, Masha Godovannaya | AT/RU 2017)

Das Bild in der Hand. Dokumentarische Zugänge zum Bildregime Social Media

Duisburg im Dunkeln. Bilder und Kontexte eines Brandanschlags

Netz(ent)würfe: Filmkulturen in NRW

Trailer: Sabine Herpich