Film

Aşk, Mark ve Ölüm
von Cem Kaya
DE 2022 | 98 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 46
8.11.2022

Diskussion
Podium: Cem Kaya
Moderation: Nesrin Tanç
Protokoll: Johanna-Yasirra Kluhs

Synopse

Kistenweise Champagner, 80.000 D-Mark Trinkgeld, die rassistischen Morde in Duisburg, Mölln, Rostock. Hochzeiten wie Rockkonzerte, unerwidertes Begehren, Heimweh und miserable Arbeitsbedingungen in der Ford-Fabrik, kurz: Liebe, D-Mark, Tod. Zwischen Yüksel Özkasap der „Nachtigall von Köln“, den Protestliedern Metin Türkis und dem HipHop der Fresh Familee bewegt sich die Geschichte türkischer Musik in Deutschland.

Protokoll

Dieser Film hört da auf, wo das Internet anfängt. Der Film beginnt mit einem Foto, das Cem Kaya von der Kinobühne aus vom Publikum macht. Das Gespräch beginnt mit einem Foto, das Cem Kaya vom Podium aus vom Publikum macht. Das Archiv geht schließlich weiter. Wir sind Teil der Umschreibung von deutscher Kulturgeschichte. Wir tauchen ein in die vielschichtige türkische Musikszene, die sich in Deutschland seit dem Anwerbeabkommen 1961 entwickelt hat.

Das Kino ist voll. Es wird gelacht und geweint. Danach diese Frauen hinter mir: „Ich habe an meine Großeltern gedacht und habe geweint. Was war das für eine Zeit, in der sie da gelebt haben?“ „Ach, sind die auch als Gastarbeiter hier gewesen?“ „Ja, aus Spanien. Aber da gibt es irgendwie nicht so diese Geschichten. Vielleicht haben die sich einfach schnell integriert.“ Auch ich denke während des Films an meine spanischen Großeltern: Sind wir Teil dieses Erinnerungsraums?

„Die haben doch alle GEZ gezahlt, verdammte Scheiße!“

Nesrin Tanç: Kannst du mal ein bisschen was erzählen über deine Arbeit in den Archiven?

Cem Kaya: Ich forsche seit 2011 über migrantische Musikkultur. Ich rede mit Leuten, suche im Internet, habe inzwischen ein großes Videokassetten-Archiv zu Hause aufgebaut. Die Zusammenarbeit mit bi’bak und Can Sungu ist mir auch sehr wichtig. Ich habe zwei Filme gemacht, die sich mit türkischsprachiger Popkultur beschäftigen: „Arabesk – Gossensound und Massenpop“ (2010) und „Remake, Remix, Rip-Off(2014). 2017 habe ich mit der Konzeption von „Aşk, Mark ve Ölüm“ begonnen. Alles hat damit angefangen, dass Ufuk Can und ich Archivmaterialen aus allen öffentlich-rechtlichen Sendern in Deutschland und teilweise im europäischen Umland recherchiert haben. Unsere Frage: Wie hat die Musik die Gesellschaft beeinflusst und umgekehrt? Dafür konnten wir nicht nur nach türkisch-kurdischer Musik suchen, sondern mussten breiter werden. Wir sind dann zum Beispiel auf eine Sendung gestoßen, die 1965-1993 lief: „Ihre Heimat, unsere Heimat“„, das war ein Gastarbeitersender, der alle Communities abdeckte. Und da gab’s immer am Ende Musik. Später hieß das dann Babylon, dann Cosmo-TV. Cosmo-Radio ist daraus im Endeffekt entstanden. Da haben wir uns 30 Jahre Fernsehgeschichte angeguckt. Aber es gab ja auch Köln „Radyosu“, seit 1964, immer um 18.20h. Als die Bulgaren und Ungarn kommunistisches Radio nach Deutschland gesendet haben, hat der deutsche Staat sich selbst eine Radio einfallen lassen. Und es gab Italiener, Griechen, … in der Hitparade. Alle waren abgedeckt. Nur die Türken nicht. Nur ganz vereinzelt sind türkische Musikerinnen mal bei Rudi Carell und Alfred Biolek aufgetreten.

Das hat ja große Wellen geschlagen, dass Cem Karaca bei Biolek auftreten durfte. Aber danach kam ja nichts mehr.

Wir haben festgestellt: Wir sind zwar medial unterrepräsentiert, aber wenn man über 60 Jahre sucht, hat man eigentlich zu viel. Wir mussten also genau katalogisieren. Das war sehr aufwendig. Benutzen wir Umlaute? Unterstriche ja oder nein?, und so weiter. Das Archiv musste erstmal gezähmt werden, um schneiden zu können. Am Ende hatten wir dafür so viel Material, dass wir es im Grunde leicht hatten, Entscheidungen zu treffen. Dazu kamen dann noch Interviews und Materialien, die ich im Zuge der Arbeit an Arabesk“ schon hatte. Es treffen also die öffentlich-rechtlichen Archivmaterialien auf meine eigenen und ein paar andere Privatarchive, die wir in den Recherchen noch erschlossen haben. Wir wollten nichts von YouTube benutzen. Erst mal haben wir mit der Plattform DiasporaTürk gesprochen. Wir haben überlegt, ob wir da einen Aufruf machen können, dass Leute Videos von Konzerten, die sie noch zu Hause haben, an uns schicken. Die haben aber ganz klar gesagt: Das funktioniert nicht. Das geht nur über Vertrauensarbeit. Dann haben wir im eigenen Umfeld angefangen. Wir haben mit Kameramännern gesprochen. Mit Hochzeits-Musikern gesprochen. So sind wir zum Beispiel an Material dieser Hochzeits-Konzerte von Derdiyoklar herangekommen – ist zwar nicht die beste Qualität, die man finden kann, aber dafür eigen.

Jedenfalls war es so: Suchen, ordnen, finden. Dann die größte Arbeit: Rechte klären. Wir wussten, wir müssen den Film sehr schnell zu Ende bringen. Wir haben also den Film aus Archivmaterial quasi fertig gebaut. Dann die Rechte geklärt. Und die Finanzen. Und als wir wussten, womit wir arbeiten können, haben wir entschieden, was wir selbst drehen. Dann war natürlich noch wichtig: Wie kommen wir an sauberes Material in Kinoqualität? Wir haben ja viel mit Fernsehmaterial gearbeitet. Aber beste Fernsehqualität reicht nicht aus. Daher haben wir einige Materialien selbst von 16mm noch mal abgetastet. Und dann an die Archive zurückgespendet.

Geiler Titel, uns fällt eh nichts besseres ein, hört sich an wie ein Fassbinder-Film.

NT: Meinst du der Film hilft, dass mehr privat archivierte Materialien von Institutionen übernommen werden?

 CK: Man ist ja ständig mit der Frage beschäftigt: Wessen Kultur ist das? Wenn man sagt, es ist deutsche Kultur – wer ist zuständig? Bundesarchiv? DOMID? Ein Beispiel: Für bi’bak habe ich einen Film kuratiert Im Niemandsland, über türkische Teds und Rockabillies in München. Jetzt suchen wir die 16mm-Kopie. Der Regisseur selbst hatte nur noch eine schlechte DVD. Das heißt, es geht nicht nur Wissen über die Filme verloren, sondern auch das Material selbst. Ich frage mich auch: Was ist mit meinem Archiv? Es kostet viel Geld und Zeit, diese Archive zu pflegen. Aber wer zahlt das? Wer kann diese Arbeit leisten?

Uns ist immer wieder passiert, dass wir im Grunde den Archiven zugearbeitet haben und ihren Lücken. Zum Beispiel der Titel kommt ja von dem Lyriker und Schauspieler Aras Ören. Der hat 1972 für die Band Ideal das Gedicht Aşk, Mark, ve Ölüm geschrieben, dass Annette Humpe dann auf phonetischem Türkisch gesungen hat. Für den Titel haben wir uns ganz früh entscheiden und es flowte dann einfach auch mit der dramaturgischen Dreiteilung des Films in Aşk (Liebe), Mark (D-Mark), Ölüm (Tod). Ich hatte in der Recherche ungefähr 50 Filme mit ihm zusammengetragen. Damit haben wir ja gar nichts gemacht. Ich habe sie dann ihm gegeben. Und er hat sich jetzt an die Akademie der Künste in Berlin gegeben, die seinen Vorlass verwahrt.

NT: Da ist er ja zusammen mit Emine Sevgi Özdamar der einzige türkischstämmige Künstler. Mich hat der Film persönlich bewegt, weil er mir eine Welt zeigt, die für mich groß und präsent war, die ich aber nicht mit der Mehrheitsgesellschaft teilbar war. Jetzt kann ich sagen: Schau, wir haben gut gelebt.

CK: Das ist ein Essay. Nicht ein journalistischer Film, der von oben guckt. Ich versuche, das subjektiv erlebte zu erzählen, natürlich auch für’s Kollektiv. Ich mache den aus der Überhöhung heraus, dass ich die Zeit mega toll fand. Ich denke nicht so viel an den Zuschauer, wenn ich einen Film mache. Und ich wollte überziehen – bigger than life. Ich hab viel mit Weitwinkel gedreht. Wenn du Geschichten erzählen willst, brauchst du talking heads. Ist aber der Tod für jeden Film. Ich musste das also so machen, dass man Freude am talking head hat. Deswegen habe ich viel Zeug reingepackt. Damit, wenn man von der Person genervt ist, man sich den Kram angucken kann.

Ich glaub, der Film funktioniert ziemlich global, weil: Rassismus gibt es überall auf der Welt. Neulich lief der Film in Mexiko, da wurde er auch verstanden. Oder wenn er in Saudi-Arabien laufen würde – da gibt es ja auch Gastarbeiter. Oder für das türkisches Publikum aus der Türkei: Der Film ist ein Gate. Die sagen: Wir wussten das alle nicht. Und vor allem wussten wir nicht, dass es so geil ist.

Publikum: Wie siehst du denn die Musikszene heute – kann man überhaupt noch unterscheiden zwischen türkisch und deutsch?

CK: Mir war klar: Mit dem Internet wollte ich aufhören zu erzählen. Der Aufstieg des deutschen Gangster-Rap hat was mit Hip-Hoppern wie Azad zu tun, die selbst Clips bei Youtube hochladen konnten und so Major-Labels aufmerksam wurden. Vorher musstest du immer durch den Tunnel der Musiksender und Radios. Da kamen viele nicht durch, weil du auch viel Geld brauchtest, um erstmal was zu produzieren. Dann war Wendezeit und alles musste alles deutsch sein, weil wir waren ja deutsch. Es kamen Fanta4 und die Gymnasiasten haben der Arbeiterklasse den Hip Hop gestohlen. Dann gabs für unseren Rap eine Pause. Und dann sind wir zurückgekommen mit dem Internet. Also, das ist viel zu kompliziert, das brauchte einen eigenen Film.

NT: Du hast auch als Kameramann für Forensic Architecture gearbeitet. An dem Film 77sqm_9:26min(2017), der über Halil Yozgat, ein NSU-Opfer aus Kassel, spricht. Inwieweit verstehst du deine Arbeit allgemein als Teil eines politischen Auftrags?

CK: Verantwortung lehne ich ab. Ich habe Verantwortung für nichts auf der Welt. Ich muss meiner Community nichts zurückgeben. Ich habe mitgearbeitet, weil ich von dem Projekt überzeugt war. Es gab danach und davor NSU-Filme, aber ich war von der Idee der Erzählweise von Forensic Architecture überzeugt. Sie haben den Tatort nachgebaut und die Situation re-enacted um juristische Beweise zu produzieren und damit die Argumentation der Verteidigung zu widerlegen. Die Idee war, die internationale Presse zu interessieren. Der Film wollte wirksam sein. Da haben wir uns getroffen, weil: Es geht mir auch um Visibility.

Ich erzähle bundesdeutsche Nachkriegsgeschichte, aber aus einer anderen Perspektive. Im Film geht es nicht um die Deutschen. Wenn über Rassismus und rassistische Anschläge gesprochen wird, rede ich nicht über die Täter, sondern was es bei den Betroffenen ausgelöst hat. Zum Beispiel die SO36-Gang, Islamic Force. Wenn wir über Arbeiterklasse sprechen, will ich über die Wilden Streiks sprechen. Die deutschen Gewerkschaften haben sich gegen diese Streiks gesperrt. Die Arbeiterklasse war stark politisiert. Frankfurter Häuserkampf wäre z.B. ohne die italienischen Gastarbeiter:innen nicht möglich gewesen. Viele Gastarbeiter:innen kamen aus faschistischen Staaten, die haben einen hohen Organisierungsgrad mitgebracht. Oder die Pierburg-Arbeiterinnen: Die haben die Abschaffung der Leichtlohn-Gruppe erstritten. Das war mir wichtig, solche Randgeschichten erzählen. So Geschichten, die sonst alle zehn Jahre mal in einer Ausstellung kuratiert werden. Es ist ein Film über die Arbeiterklasse – und der will Mainstream sein.

Schau dir diese Sendung mit Rudi Carell an. Da gibt es Blackfacing. Die Gastarbeiter werden verniedlicht. Konnte man damals eigentlich schon nicht machen, aber die Deutschen können das natürlich. Und da haben wir gedacht: Jetzt haben wir einen Film.

NT: Und was sehen wir nicht in dem Film?

CK: Wir sehen nicht: Kurdische politische Musik. Das ist ein anderer Film. Ich habe viel Material gesammelt, aber das kann ich mir nicht aneignen. Ich würde aber full support geben, wenn eine kurdische Filmemacherin das macht. Dazu kam: Das Gegenüber der kurdischen politischen Musik ist der türkische Staat, nicht der deutsche. Wir wollten mit einer alevitischen Musikerin drehen, die hatte einen großen Hit: Akkord. Ihre Kassette kommt als Bild im Film vor. Aber aus persönlichen Gründen konnten wir nicht mit ihr drehen. Und sie fehlt. Dann gab’s ja auch noch den Türkischen Arbeiterchor Westberlin“ rund um Tahsin İncirci, der Nâzım Hikmet-Gedichte und Kurt Weill-Musik zusammengebracht hat. Aber wir haben nicht geschafft, mit ihm in Izmir zu drehen. Und wir hatten dramaturgische Probleme: Wir konnten uns nicht zu lange mit Protestmusik beschäftigen. Dann fehlt Kobra“ und die ganze Geschichte vom Orient-Rock. Die haben zum Beispiel als Vorband von Karat“, einer ostdeutschen Rock-Band, gespielt. Wir haben mit ihnen gedreht, aber es war dann doch zu nischig für den Film, wir konnten das Thema nicht aufmachen. Aber wir zeigen ein Bild. Was ist mit denen, die in der Diaspora aufgewachsen sind und dann aber Karriere in der Türkei gemacht haben, zum Beispiel Tarkan? Das ist alles nicht drin. Dänemark, Frankreich, Schweiz, Belgien …. Haben wir alles recherchiert. Mit dem Material könnte man noch so viel machen. Mir geht es um die Reibung an Deutschland. Und der Film zeigt meine Best-ofs.

Publikum: Und wie hast du das mit den Sprachen gemacht?

CK: Ich wusste eh, dass der Film deutsch und türkisch untertitelt werden muss. Deswegen konnten alle so sprechen, wie sie wollten. Und guck mal: Der Film fängt türkisch an und wird immer deutscher. Aber auch: Am Anfang erzählt İsmet Topçu über seinen Traum, im Weltall zu spielen: auf deutsch. Und als er am Ende wirklich seinen Traum mit der VR-Brille erlebt, da spricht er türkisch.

______

Dieses Protokoll ist ad hoc transkribiert und folgt nicht exakt dem Wortlaut des Gesprochenen. In der Edition wurden Reihenfolgen des Gesagten verändert und ein paar Sätze hinzuentwickelt.