Film

Japan – Big Lagoon Village
von Stefanie Gaus
DE 2021 | 110 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 46
10.11.2022

Diskussion
Podium: Stefanie Gaus
Moderation: Michael Baute
Protokoll: Marius Hrdy

Synopse

Dicht an dicht stehen die Fabriken und säumen fast menschenleere Straßen. In den 1960er-Jahren startete die japanische Regierung in Ogata-mura ein Landgewinnungsprogramm für den einst zweitgrößten Binnensee des Landes. Menschen wurden angesiedelt, eine Modellwirtschaft errichtet. Über Ansichten von Fassaden legen sich die Ansichten der Bewohner:innen, die Zeugnis davon ablegen, wie das Projekt und die Wirklichkeit sich immer weiter voneinander entfernten.

Protokoll

Beim Film: Eine rechts-links Lateralfahrt. Wir sehen Fabriksgebäude, verlassene Glashäuser, Hinterhöfe, Häusersiedlungen. Aus dem Off: Erfahrungsberichte von Bewohner:innen und Arbeiter:innen der japanischen Modellstadt Ogata-mura.

Und danach im Diskussionssaal: Michael Baute sitzt links, Stefanie Gaus rechts auf dem Podium. Baute legt los: beim zweiten Mal sehen hat er noch mehr von der starken Formsetzung, von der „Japan – Big Lagoon Village lebt, erfahren. Jetzt konnte er in den Film noch einmal im Zurücklehnen eintauchen. Der Film fängt an bei der Reisernte und endet an den Reisfeldern. Dramaturgisch bewegt er sich von der Verarbeitung des Agrarprodukts Reis in die Peripherie und dann wieder zurück. Ein Reflexionsraum wird gestaltet, der dem/der Zuschauer:in einen Freiraum eröffnet. Bautes Eröffnungsfrage: „Könntest du über diesen Reflexionsraum sowie die Genese des Films sprechen?“

Stefanie Gaus findet, dass der Film den Zuschauer:innen einerseits Mitarbeit abverlangt aber andererseits auch Miterfahrung ermöglicht. Zum Film als Reflektionsraum verhält sie sich eher vorsichtig, sagt sie. Sie hatte das Dorf Ogata-mura nur zufällig kennengelernt als sie auf Recherche zum Thema Reis in Tokyo war, mit einer Architektin und einer Kuratorin, um von Reis ausgehend ethnographisch etwas über Gesellschaft herauszufinden. Sie war dann in einem Archiv der technischen-architektonischen Universität in Tokyo und stolperte über das Werk eines Grafikers, der Reisschalen auf Papier gezeichnet hat und auch Zeichnungen von Bauernhäuser mit unglaublich vielen Details, die die Reiswirtschaft abbilden angefertigt hat. Durch dessen Blick der „Modernologie“ gelenkt ist sie nach Ogata-mura gekommen um auf diesen Ort zu blicken – so wie er. Ebenso Joris Ivens inspirierte Sie mit seinem Film „Nieuwe Gronden“, der von der Trockenlegung der Zuiderzee in den Niederlanden handelt. So wie die Zuiderzee ist auch Ogata-mura aus dem Nichts geplant worden.

Dabei setzt Gaus in ihrem Film bewusst auf Wiederholungen, die die Lateralfahrt der Kamera in den immer wiederkehrenden, ähnlich anmutenden Gebäuden im Zuschauer bewirken um „im Gesagten und Gesehenen mehr zu zeigen als was man sieht.“ Baute legt zustimmend nach: der Blick ist geschärft durch diese Gleichförmigkeit des Films. Er knüpft für ihn an eine Tradition des Querschnittfilms („wie bei Ruttmann, Friedl, Akerman“) an: Filme die über eine Wiederholung Prozessualdifferenzen ausbilden und für einen anderen Weg der Übermittlung plädieren. Ein wichtiger Punkt für ihn ist dabei das Ökonomische, die Organisation des Ökonomischen.

Dann aber schon die erste Publikumsfrage: Ein Zuschauer gesteht, dass ihn die gänzliche Abwesenheit von Menschen im Bild beschäftigt hat: „Wurde diese Abwesenheit explizit gesucht und zu Tageszeiten und Gegenden gefilmt, wo sie sicher sein konnte dass es keine Menschen gibt? Und wie kam die Entscheidung von rechts nach links die Kamera zu führen anstatt wie gewöhnlich von links nach rechts?“

Gaus antwortet zunächst mit einem polithistorischen Exkurs zur Reisknappheit. Dann besinnt sie sich zurück auf die Eingangsfrage zur Abwesenheit: Sie hatte zuerst Interviews in den Wohnzimmern der Ortsbewohner:innen gefilmt. Sie hat sich aber sehr früh dagegen entschieden, diese abzubilden, um sie nicht stärker auszustellen und auch um die Anoymität zu gewähren.

Warum es dann im Bild so leer war? Sie haben über eine Periode von drei Wochen gedreht. Am Ende war es viel Material das vor einem Sturm entstanden ist, wo alle auf dem Feld waren um die Ernte einzufahren, damit sie diese vor der Verwüstung retten.

Baute nimmt nochmal die Frage der Kamerafahrt auf: er unterstellt dem Film, dass dieser eine topographische Wahrhaftigkeit sucht und abbildet. Gaus erzählt dazu sie haben in Berlin schon diese Fahrten geübt um zu schauen was passiert, aber von links nach rechts. In Japan haben sie es umgedreht, da es Linksverkehr gibt, und auch von rechts nach links gelesen wird, eben um diese Leserichtung umzukehren.

Ein Zuschauer bittet Gaus die vorhin genannte „Reflexionsfläche“ zu präzisieren. Gaus ging es nicht um das Aufdecken der politischen Verhältnisse, was auch von den Protagonist:innen im Ton erzählt wurde. Es hat sie eher der Modellcharakter interessiert, dass über dieses Dorf Themen angesprochen werden, wie die Wirtschaft kontrolliert werden soll, wie eine gesellschaftliche Ordnung sein soll: „Wie baue ich mein Haus?“. Sie findet auch bei einer Fahrt durch das Ruhrgebiet hier manchmal Parallelen zu Ogata-mura.

Auch auf eine weitere Frage bezüglich der wenigen Nicht-Lateralfahrten im Film antwortet Gaus vage, dass diese „im Moment entstanden“ seien. Diese Aussagen wirken im Sprechen über den von Gaus selbst als „strukturalistisch konzipiert“ bezeichneten Film auf mich dann doch etwas ratlos. Die Diskussion rankt sich hauptsächlich um diese Assoziationen und Rechercheinteressen, die im Film selbst keinen nachhaltig merkbaren Ausdruck gefunden haben. Ein Rätsel bleibt: Man kann sich doch nur positionieren, wenn man das auch irgendwie zeigt.