Die Duisburger Filmwoche und doxs! wollen gemeinsam mehr aus ihren Gemeinsamkeiten machen. Die Festivals haben Lust am Dialog miteinander und wollen die Gäste, das Publikum und die Filme der Festivals sich begegnen lassen. Die Konstellation, dass beide Festivals eigenständig, aber seit diesem Jahr als Partnerfestivals agieren, soll Anlass für einen Austausch auf Augenhöhe sein. Zusammen mit Akteuren und Initiativen, die etablierte Grenzziehungen in der Filmbildung hinterfragen, sprechen wir darüber, wie Filme, Personen und Communities bereits zusammengebracht werden und welche Herausforderungen noch bestehen. Wo sind Kategorien und Alterssektionen sinnvoll, wo schränken sie eine kuratorische Praxis ein? Wie sprechen unterschiedliche Publika über die gleichen Filme, wie miteinander? Spielt sich eine gesellschaftlich integrative Filmbildung eher in institutionellen oder in freien Kontexten ab? Wie organisiert man Teilhabe an Filmkultur quer durch die Generationen?
Die Veranstaltung findet in Kooperation mit der dfi – Dokumentarfilminitiative im Filmbüro NW und mit Creative Europe Desk NRW statt.
Protokoll
In ihrer Begrüssung zur ersten gemeinsamen Konferenz der Duisburger Filmwoche und des doxs! Festival verweisen Tanja Tlatlik und Alexander Scholz auf den geteilten bildenden Hintergrund der beiden Festivals. Nachdem die Festivals aber die Grenzen der schulischen Institutionen übernommen hätten, sei heute der Tag gekommen, diese zu hinterfragen und zusammenzuarbeiten.
Nach zwei kurzen Clips aus Juliette Klinkes „Dans le Silence d’une Mer Abysalle“ und Karoline Rößlers „Lieber Papa, deine Tocher“ geht es direkt mit dem ersten Panel zum Thema Programming und Alterssektionen bei Festivals los. „Wir können mit den Grenzen, die wir kennen, beginnen und später zu den Rahmen, die wir gerne öffnen würden, wechseln“, startet Moderatorin Antje Knapp das Gespräch mit Pantelis Panteloglou vom Olympia International Film Festival for Children and Young People und Sebastian Markt, Leiter der Sektion Generation der Berlinale. Die Unterhaltung wird wegen dem internationalen Gast Panteloglou ausnahmsweise in englischer Sprache geführt.
Gleich geht es um eins der Kernthemen dieses Panels, nämlich der Ambivalenz von altersspezifischen Filmprogrammen. „Historisch gesehen ist ein grosser Vorteil von Alterskategorien, dass es im Rahmen des Festivals einen Raum für ein junges Publikum gibt“, sagt Markt.
Doch wie definiert man einen Film für Kinder? Welche filmischen Inhalte sind für das junge Publikum angemessen? Panteloglou erklärt, er und sein Team des Olympia glaubten nicht an Definitionen – jedes Thema könne für Kinder geeignet sei. „Es hängt von der Vorgehensweise der Filmschaffenden ab. Etwa, ob sich die Kamera auf der Augenhöhe eines Kindes bewege.“ Zudem könne man als Festival den geeigneten Kontext für einen bestimmten Film bieten. Natürlich würden aber etwa keine gewalttätigen Filme gezeigt. Und: „Kinderjurys vergeben oft Preise an schwierige Filme, weil sie es schätzen, als Publikum ernst genommen zu werden“, sagt Markt.
Markt versteht den Begriff Kinderfilm ähnlich weit wie Panteloglou. Ein Ansatz, Filme für Kinder auszuwählen sei, dass im Film der Fokus auf der gelebten Realität von Protagonist:innen liegen soll, die etwa in einem ähnlichen Alter wie das Publikum seien. Dies sei aber nur einer von vielen möglichen Ansätzen, um zu programmieren. Wie Panteloglou wehrt sich Markt gegen eine enge Definition des Begriffs Kinderfilm: „Filme spezifisch für Kinder sind ambivalent, einerseits kann diese Spezifität paternalistisch sein, andererseits ist es gut, diese Gruppe überhaupt zu anzuerkennen.“
Die Öffnung des Begriffs führt schliesslich in die Diskussion um intergenerationales Kino, die anschliessend im zweiten Panel weitergeführt und vertieft wird. „Mit der Tendenz, alles zu labeln, macht man das Gegenteil von dem, was man bei einem generationenübergreifenden Kino erreichen will“, führt Panteloglou aus. Doch Markt sieht auch das Positive in einem Raum, der in erster Linie für ein junges Publikum da ist: „Diese Räume müssen nicht von Erwachsenen validiert werden“.
Im anschliessenden Panel zum Thema „Praktiken intergenerationaler Teilhabe an Filmkultur“ wird der von Panteloglou und Markt angestossene Gedanke direkt aufgenommen. Moderatorin Nina Selig will von ihren Panelteilnehmenden wissen, was nötig ist, damit es im Kino zu einer Begegnung der Generationen kommen könne. Thomas Hartmann vom Bundes.Festival.Film erzählt, dass sie Filme jeweils in gemeinsamen Filmblöcken bewusst durchmischt zeigten. „Im Extremfall ist die jüngste Person im Publikum sechs und die älteste 99 Jahre alt“. Doch würde das Publikum nicht aus den Filmschaffenden selbst bestehen, „hätten wir vermutlich nicht viel Publikum“. Dies sei die Krux: „Wenn sie erstmal da sind, erleben sie das Festival als bereichernde Erfahrung. Aber man muss sie erst da hinbringen“. Der eigentliche Knackpunkt sei, wie man es schaffe, in Menschen diese Neugier zu wecken, sich auf unbekanntes Terrain einzulassen.
Vera Schöpfer vom Filmhaus Köln berichtet von ihren Erfahrungen mit ihrem Format „Reality Bites“ in Dortmund, wo Jugendliche selbst ein Filmprogramm zusammenstellen dürfen: „Wenn Jüngere das Programm auswählen, mischen die sich dann mit dem älteren Arthouse Publikum.“ Zudem würden jeweils oft Lehrkräfte mit Partner:innen ins Kino kommen, die dadurch einen anderen Blick auf ihre Schüler:innen erhielten. „Da gehen wir bewusst nicht ins Filmhaus, denn Erreichbarkeit und Nähe sind ein wichtiges Thema“, sagt sie weiter.
Dokumentarfilmemacherin und Facilitator für Participatory Video Lisa Glahn erzählt von einem Kinoabend, wo mehrere participatory Filme von unterschiedlichen Gruppen gezeigt wurden. „Im anschliessenden Q&A gab es einen tollen Dialog, knallharte Fragen wurden gestellt“. Bei ihrer Arbeit hält sich Glahn im Hintergrund, denn die Entscheidungshoheit über den Film habe die Gruppe, mit der sie arbeite. Selig beschreibt die Wichtigkeit von Glahns Arbeit in Bezug auf das Thema „gemeinsam Filme machen“ wie folgt: „Es zeigt, was es für eine Community bedeuten kann, filmisch eine eigene Community zu kreieren, wenn diese von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen wird“.
Weiter fasst Selig die wichtigsten Punkte des Panels zusammen: „Das Kino bekommt die soziokulturelle Aufgabe, ein neues Publikum zu definieren.“ Dies sei aber nicht in der Logik des Filmmarktes, der wirtschaftlich orientiert sei, sondern um andere Interessen zu fördern und Räume zu schaffen.
Da kommt es zur Widersprache aus dem Publikum: Regisseur und Kritiker Rüdiger Suchsland fordert, „dass das Panel nicht nur Fragen anders formuliert“, sondern Lösungen nenne. „Wir kennen diese Podien und wollen nicht in zehn Jahren nochmals dasselbe Panel hören“. Die Frage sei doch, was man tun könne, um voranzukommen. „Wir müssen die Probleme viel schärfer benennen“.
Schöpfer erwidert, dass es neben der eigentlichen Arbeit eben auch Lobbyarbeit und Vermittlungsarbeit mit Leuten in entscheidenden politischen Positionen erfordere. „Das ist aber oft Arbeit, die nicht sofort sichtbar ist.“ Moderatorin Selig pflichtet ihr bei: „Es ist harte Arbeit, die nicht immer in der Öffentlichkeit stattfindet.“ Schöpfer erklärt weiter, dass die bestehenden Strukturen es nicht immer erlaubten, diese zusätzliche Arbeit auch noch zu leisten. „Doch mich entmutigt das nicht, wir müssen das zusammen angehen“, sagt sie.
Abgerundet wird die Konferenz mit dem letzten Panel zum Thema „Filmbildung und Community“. Cathrin Ernst von Makroscope moderiert das Gespräch mit Malve Lippmann vom bi’bak in Berlin, Filmvermittlerin Katja Lell und Peter Schernhuber von der Diagonale in Graz.
Was denn Communities eigentlich sein sollen, will Ernst wissen. Lippmann erkennt in abgegrenzten Räumen eine Qualität: „Das Kino als physischer Ort hat Potential, weil etwa Gespräche, die da stattfinden, nicht rausgehen, sondern im Raum bleiben.“ Zudem sei es wichtig, Safe Spaces etwa für PoC zu kreieren, wo sie sich in einem geschützten Rahmen austauschen können.
Schernhuber hingegen kritisiert die Bubble der Kulturbranche, die auch wie eine geschlossene Community sein könne – nur eben nicht im Positiven: „Man fragt sich dann, ob das ein in sich geschlossener Gebetskreis ist“. Bei Filmen mit Störfaktoren würden schon mal die Fetzen fliegen, aber das passiere leider viel zu selten. Deshalb fordere er im Bezug zum Festival einen offenen Raum.
Lippmann pflichtet Schernhuber bei: „Beim Programm würde ich das auch nicht haben wollen, das muss radikal offen für alle sein.“
Lell wiederum bringt eine etwas andere, weniger institutionalisierte Sicht mit. „Ich habe viel in Ausstellungskontexten gearbeitet, wo man Filme oft in kleinen Räumen mit schlechtem Sound und vielen Menschen zeigt.“ Diese Dichte könne aber zu einer unglaublichen Stimmung führen und dazu beitragen, dass Menschen, die sich über gemeinsames Filmeschauen treffen, dann noch weiter zusammen Zeit verbringen.
Teils anknüpfend an das vorherige Panel bringt Lippmann schliesslich wieder das Thema der Förderstrukturen auf. „Wir müssen stärker fürs Kino als kulturelle Praxis eintreten, aber mit dieser Förderstruktur ist das einfach nicht gegeben“. Gerade wenn man intersektional arbeiten wolle und Diversität fördern wolle, könne man die Leute nicht umsonst arbeiten lassen. „Wenn wir diversifizieren wollen, geht das nur so. Sonst haben wir ein weisses, privilegiertes Bildungsbürgertum, das die ganze Kultur gestaltet“. Wie schon von Schöpfer und Selig angetönt sei es aber eben schwierig, politisch aktiv zu sein neben der eigentlichen kulturellen Arbeit.
Schernhuber erinnert zum Schluss noch daran, dass es im Kino doch eigentlich um Unterhaltung gehe. „Dieser Aspekt ist völlig unterbewertet“. Und Moderatorin Ernst fasst das Panel, aber eigentlich die gesamte Konferenz mit den Worten zusammen: „Das Kino soll ein Ort sein, wo man gerne hingeht und Filmbildung soll nicht anstrengend sein.“
Foto: Simon Bierwald