Film

Vlog #8998 | Korean Karottenkuchen & Our Makeup Routine
von Ji Su Kang-Gatto
DE 2021 | 46 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 46
8.11.2011

Diskussion
Podium: Ji Su Kang-Gatto
Moderation: Therese Koppe, Tanja Tlatlik
Protokoll: Marius Hrdy

Synopse

Ji Su und Ji Hoe sind Schwestern. Die eine ist in Deutschland aufgewachsen, die andere in Korea. Das Hin und Her zwischen den Sprachen, zwischen Karottenkuchen und Gimbap, dem Lernen und Verlernen, macht auf Dauer müde. Inmitten von Alltag und Alltagsrassismus, irgendwo zwischen der Leichtigkeit von Social Media und der biografischen Altlast Familienalbum, kippt die Erschöpfung in Wut.

Protokoll

–fesselt, irritiert, überlagert Untertitelspuren mit einem konstanten Fluß an Information auf der Tonebene, gesprochen von der Filmemacherin Ji Su Kang-Gatto. Dabei lernen wir ihre Familiengeschichte kennen – die Eltern Germanisten, die aus Korea nach Deutschland kamen; die Beziehung zu ihrer neun Jahre jüngeren Schwester Ji Hoe; die Konfrontationen mit Alltagsrassismus und Mysoginie an asiatisch-gelesenen Menschen in Deutschland. Im Zentrum steht eine rassistische Attacke an ihrer Schwester, in der die deutsche Polizei sich weigerte, gegen die Täter zu intervenieren, und vielmehr ihnen selbst die Schuld daran gab. 

Die erste Frage von Kommissionsmitglied Therese Koppe gilt auch gleich der ungewöhnlichen, an einem Vlog angelehnten erzählerischen Form des Films. Im ersten Moment war sie irritiert, für sie entwickelte sich ein Spannungsfeld zwischen der intimen Familiengeschichte und der Oberflächlicheit die Social Media vermeintlich nachgesagt wird. Sie fragt, welche Rolle Social Media für Kang-Gatto spielt und wie sie diese in ihren künstlerischen Ansatz übernahm.

Kang-Gatto antwortet, dass sie durch ihren alltäglichen Zugang mit Plattformen wie Tiktok und Instagram einen zeitgenössischen Ausdruck für ihre Geschichte finden wollte. Daher benützte sie die Form des Vlog, um dem/der Zuschauer:in von ihrer Identität zu erzählen. Es ging ihr darum, eine Arbeit zu machen, mit der man dem/der Zuschauer:in als Freund:in begegnet. Und in der Tat öffnet diese direkte, informelle Energie des Films der mal schnelleren Schnitte, mal langsamen Beobachtungen, einen dynamischen Zugang zur emotionalen Ebene Kang-Gattos Lebenserfahrung, wie ein lustvolles Tischgespräch unter lange getrennten Freund:innen.

Eine Publikumsfrage erkundigt sich nach der Entwicklung des Schreibprozesses. Kang-Gatto formuliert ihre Strategie des eine-Sprache-findens mit „ein Kotelett ans Ohr labern“ aus. Sprache sei für sie oft sehr formalisiert, so gerahmt wie in einer Email etwa. Daher hat sie für ihren Film alles zuerst am Handy aufgenommen, um eine Sprache zu finden, die weniger aufgesetzt, geprobt und am ehesten der ihrer selbst entspricht. Mehrere dieser Passagen hat sie dann auch direkt übernommen.

Koppe merkt an, dass im Film auch Text-Inserts eine häufige Rolle spielen. Diese tragen eine kulturelle Vermittlung in sich: man sieht die Schwestern oft beim Essen von Kuchen und koreanischen Gerichten. Immer wieder kommen kleine Definitionen der Gerichte ins Bild. Für Kang-Gatto ist Essen ein „kultureller Türöffner“. Sie meint, als sie jünger war, wusste sie zwar kaum etwas von Korea, sie aß aber täglich zu Hause koreanisch. Als sie dann das erste Mal nach Korea kam war ihr das Land fremd aber das Essen bekannt.

Ein Zuschauer gibt sich jedoch irritiert ob der vielen Information von Text und der wackligen Kamera, es hätte ihn teilweise so angestrengt, dass er wegsehen musste. Kang-Gatto antwortet, dass sie an einer unangepassten Ästhetik interessiert sei, die bewusst gesetzt ist, um mit anderen in ein Gespräch zu kommen. Die schnelle Montage und die Unter- bzw. Übertitel sieht sie als Teil eines wichtigen Gesamttexts. Es erinnert sie an ihre eigene Persönlichkeit, die sie mit uns teilt und durch die man sich kämpfen muss. Sie fühlte, dass die offene Wut, die sie nach der rassistischen Attacke erlebte, ihr nicht guttat. Daher wollte sie sich und ihre Schwester nicht von Anfang an im Bild exponieren, sondern legte den Fokus zunächst auf das Essen, um nach und nach das Zeigen ihrer Schwester und ihr an den/die Zuschauer:in freizugeben.

Schließlich bezieht sich Koppe noch auf die Schwesternbeziehung selbst– wie hat sich diese durch das filmische Herantasten an das Thema verändert? Kang-Gatto meint es habe die beiden enger aneinander gebracht, da durch die geographische Distanz (sie lebt in Deutschland, ihre Schwester in Seoul) die Beziehung vielleicht davor etwas oberflächlich war. Ihr war wichtig, dass sich auch der Humor zwischen den beiden abbildet, dass sie und Ji Hoe als Schwesternpaar zu sehen sind. In ihrer künstlerischen Arbeit, in der sie sich oft mit koreanischen Familienverhältnissen beschäftigt, hat sie bemerkt, dass die Realität in Korea ganz anders funktioniert als in Deutschland—und sieht, dass sie an diese selbst mit anderen Augen herangeht, quasi eine deutsche Identität angenommen hat, obwohl ihr genau diese oft andere Deutsche absprechen. Durch dieses reflexive Weben zwischen Ort und Ort, Schwester und Schwester entsteht mit Vlog #8998 ein Familienalbum, das in seiner Erzählung spürbar und unmittelbar lebendig wirkt.