Film

Unterm Glanz
von Gregor Eppinger
DE/PL 2021 | 71 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 46
8.11.2022

Diskussion
Podium: Reiner Krausz
Moderation: Mischa Hedinger, Dominik Kamalzadeh
Protokoll: Maxi Braun

Synopse

Ihre Aufgabe ist, den Alltag von anderen angenehmer zu machen. Lydia bügelt und schrubbt, geht mit den Hunden raus und fischt Blätter aus dem Pool. Einmal die Woche fährt sie in ihre polnische Heimat, pflegt ihre Angehörigen. Hier Haushaltskraft, dort Lebenshelferin. Keine Pause und kein Ort, sich zur Ruhe zu setzen. Bald im Rentenalter, gilt Lydias Sorge stets den anderen.

Protokoll

Putzen. Pendeln. Pflegen. Woche für Woche, jahrein, jahraus. Lydia arbeitet seit 30 Jahren als Haushaltsbegleiterin – darauf legt sie wert, denn sie ist mehr als eine Reinungskraft – in einer Berliner Villa. Privat, nicht so richtig offiziell, wahrscheinlich ein Minijob mit extra Bargeldzahlung. Mit anderen Worten: schwarz. Ihre Rente wird zum Leben nicht ausreichen, weder hier, noch in Polen. An den Wochenenden fährt sie mit anderen Frauen zurück in das kleine, polnische Dorf, wo es keine Arbeit gab und geben wird. Trotzdem kommt sie immer wieder, kümmert sich regelmäßig um ihre pflegebedürftige Mutter und ihren Bruder. 15 Stunden sitzt sie dafür jede Woche im Zug.

Meistens ist sie allein. Das spiegelt sich auch in der filmischen Form. Ihre Gedanken spricht sie nie on Screen. Wir hören ihr aus dem Off zu, während wir sie auf der visuellen Ebene durch ihren (Arbeits-)Alltag begleiten und erleben sie so meist entkoppelt von ihrer Umgebung. Wenn sie montags aus Polen zurück zu ihrer Arbeitsstelle kehrt, warten und freuen sich nur die beiden Hunde auf sie. Noch immer scheint sie fremd an dem Ort, wo sie seit Jahrzehnten den Großteil ihres Lebens verbringt. Lydias Welt ist trotzdem mitnichten grau. Sie trägt knallige Farbkombinationen, ungewöhnliche Schnitte, wilde Frisuren und präsentiert eine modische Mützenauswahl. Manchmal tanzt sie Ballett, schminkt sich stark, blüht auf. In einer markanten Szene in der Mitte des Films schminkt sie sich noch sorgfältiger und macht Selfies für ihr Dating-Profil. Ihr Dialog aus dem Off vermittelt die realistische Einschätzung ihrer Situation. Sie hat keine Zeit und buchstäblich auch keinen Raum für eine partnerschaftliche Beziehung, das virtuelle Interesse an ihr und die Komplimente ist, was sie genießt.  

Editor Reiner Krausz, der für den kurzfristig erkrankten Regisseur Gregor Eppinger auf dem Diskussionspodium ein- und somit ins kalte Wasser springt, sieht in genau dieser Szene beinah eine Verwandlung von der Raupe zum Schmetterling, den Ausbruch aus einem Kokon. Alexander Scholz findet eher, dass der Film hier den Finger noch tiefer in die Wunde legt und zeige, dass bei aller Carearbeit und Aufopferung für andere Lydia selbst und ihre Bedürfnisse auf der Strecke bleiben. Krausz verweist auf das Vertrauensverhältnis und die Nähe zwischen Lydia und Bildgestalterin Christiane Schmidt, die den Dreh solch intimer Szenen erst ermöglicht hätten. Eben diese Nähe hinterfragt Dokumentarfilmregisseurin Therese Koppe mit wachem, feministischen Blick: Braucht es so viele Einstellungen, in denen sich Lydia an- und auszieht? Gleitet der Kamerablick nicht ziemlich lang über den schlafenden und somit arg- wie wehrlosen Körper der Frau? Die visuelle Betonung von Lydias exaltierter Seite exponiert sie auch vor unseren Blicken und legt eben nicht frei, was unter Glanz und Glitzer liegt, sondern arbeitet sich an ihrem Äußerlichen ab. 

Während einige „emotional gepackt“, „fröhlich und traurig zugleich“ sind und unbedingt mehr über Lydia erfahren wollen, sieht eine junge Frau im Publikum das anders. Die Art der Diskussion und die Fragen, die gestellt würden, offenbaren ihrer Meinung nach die privilegierte Position, aus der wir den Film sähen. Wer hier von der Ausbeutung und den geschilderten Verhältnissen enttäuscht sei, solle sich lieber „Unsichtbare Hausarbeiterinnen“ ansehen, ein Dokumentarfilm von 1999, in dem fünf illegalisierte Hausarbeiterinnen ihre Geschichten erzählen. Danach wird sie noch deutlicher: Die Frauen in Beschäftigungsverhältnissen wie Lydia hätten keine Handhabe, würden erpresst, unter Druck und manchmal unter Drogen gesetzt. „Ehrlich gesagt finde ich Ihren Film deswegen viel zu harmlos“, schließt sie ihr Statement ab. Krausz gibt sich sichtlich Mühe, dem etwas entgegenzusetzen. Dabei wird allerdings deutlich, das ihm und vielleicht auch Eppinger bei der Faszination für ihre Protagonistin der Fokus leicht verrutscht ist. Statt, wie Moderator und Mitglied der Auswahlkommission Dominik Kamalzadeh es eingangs beschrieb, ein „Profil des Prekariats“ zu zeichnen, entsteht der Eindruck eines individuellen Psychogramms mit sichtlicher Schaulust.

Vielleicht ist auch die männliche Perspektive auf Lydia ein Problem, für die das Publikum sensibler scheint. Als Krausz anekdotisch berichtet, den Förderantrag mit dem Zitat „Wenn Gott gewollt hätte, dass Frauen putzen, hätte er Staub rosa gefärbt“ begonnen zu haben, heben sich diverse Augenbrauen vor dem Podium skeptisch. Der danach noch provokativ in den Raum gestellte Vorwurf, warum der Regisseur denn keinen Film über die weibliche Altersarmut deutscher Frauen gemacht hätte, kann allerdings als durchschaubarer Whataboutism abgehackt werden. Denn trotz der verpassten Chance, Lydia als Stellvertreterin für einen nötigen, gesellschaftlichen Diskurs über prekäre Beschäftigungsverhältnisse in Pflege, Hausarbeit und Kinderbetreuung zu etablieren, bleibt „Unterm Glanz“ doch das Porträt einer hart arbeitenden Protagonistin, der man jede Sekunde auf der Leinwand gönnt.