Film

5 Dreamers and a Horse
von Vahagn Khachtryan, Aren Malakyan
AM/DE/CH/DK/GK 2022 | 80 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 46
8.11.2022

Diskussion
Podium: Vahagn Khachtryan, Federico Delpero Bejar
Moderation: Mischa Hedinger
Protokoll: Noemi Ehrat

Synopse

Ein Pferd galoppiert durch eine verschneite Gebirgslandschaft. Im Sattel sitzt: ein Träumer. Der junge Mann lebt in einer abgeschiedenen Gegend Armeniens und sehnt sich nach einer Partnerin. Am anderen Ende des Landes kämpfen zwei junge Frauen für eine gendergerechte Zukunft. Und in einem Krankenhaus ist für eine Aufzugsführerin das oberste Stockwerk nicht hoch genug. Nächster Halt: Weltall.

Protokoll

„5 Dreamers and a Horse“ beginnt mit dem titelgebenden Pferd. Obwohl, eigentlich ist die Leinwand erst weiss, dann sind schemenhafte Umrisse eines Baums zu sehen, bevor das Pferd mit seinem Reiter im Schnee erscheint. Ohne Sattel galoppiert er über ein Feld, bis das Pferd stürzt. Zurück muss der Mann zu Fuss gehen, das Pferd auf einer schlammigen Strasse führend.

Mischa Hedinger steigt anhand dieser Eröffnungsszene des Films der armenischen Filmemacher Vahagn Khachtryan und Aren Malakyan direkt in die Diskussion mit Khachtryan und dem ebenfalls anwesenden Cutter Federico Delpero Bejar ein. Hedinger nimmt den Sturz und den Gang zu Fuss zurück als Anlass, mit dem Film nicht nur über Träume, sondern auch Realität nachzudenken. Denn unterschwellig ist immer wieder eine gewisse Gefahr spürbar, sei es in Form von LGBTQ+-feindlichen Ressentiments mit der Protagonist:innen zu kämpfen haben oder der von einem Charakter geäusserten Idee, eine Frau zu kidnappen, wenn sich keine bereitwillige Braut finden lässt.

Generell scheinen im Film nicht nur träumerische und reale, sondern auch fiktionale und dokumentarische Elemente vorhanden zu sein – doch statt Unklarheiten zu beseitigen sagt Khachtryan im Gespräch bloss, zwar möge es manchmal verdächtig erscheinen, wenn das Timing in einer Szene sehr gut sei. Doch „Kräfte, Natur, Gott, an was auch immer man glaubt“, gäbe einem manchmal solche Geschenke. „Ich kann selbst auch nicht erklären, wie es geschieht“, so der Regisseur.

Wer im Publikum also nach dem Screening auf Erklärungen hofft – etwa, wer ist der fünfte im Titel erwähnte Charakter? – wird in der Diskussion keine abschliessenden Antworten finden. Wie Khachtryan später erwähnt, zählt auch er sich zu den Träumer:innen, die sich etwa nach einem freieren Armenien mit mehr Menschenrechten sehnen. Obwohl Khachtryan das eigene Träumerische im politischen Kontext erwähnt, drückt „5 Dreamers and a Horse“ den Traum eben auch filmsprachlich aus: einmal wechseln plötzlich die Farben ins Surreale, die Kameraführung verändert sich von statisch zu dynamisch und fast schon unheimliche Musik ertönt.

Dabei scheinen Khachtryan und Delpero Bejar gar nicht so sehr an einem theoretischen Diskurs über das Dokumentarische interessiert zu sein, wie aus dem Gespräch mit Hedinger und dem Publikum hervorgeht. Gerade Khachtryans Schaffen wirkt mehr wie ein kontinuierlicher Prozess, wo Projekt nahtlos in Projekt übergeht. Als Hedinger nach der Idee zum Film fragt, erzählt Khachtryan, wie sein erster langer Film aus einem Kurzfilm hervorging – und in weiteren Kurzfilmen münden wird. „2013 machte ich einen Film über meinen Cousin, Karen, weil er ein Pferd kaufen wollte aber seine Familie dies verhinderte“. Der Regisseur – selbst Reiter – verliess Armenien und als er Jahre später zurückkehrte, hatte sich der Traum seines Cousins geändert. „Nun wollte er heiraten“. Den Traum vom eigenen Pferd schien er sich unterdessen erfüllt zu haben, da er es ist, der im Film über verschneite Felder galoppiert.

2017 habe Khachtryan seinen Co-Regisseur, Aren Malakyan, kennengelernt, der damals an einem Film über einen 90-jährigen, der davon träumt, nach Paris zu reisen, arbeitete. Der 90-jährige ist zwar nicht in „5 Dreamers and a Horse“ zu sehen, doch Khachtryan und Malakyan seien nun dabei, einen anderen Film über ihn zu drehen.

Um für einmal eine Frage Hedingers eindeutig zu beantworten: Der Startpunkt des Films war die Frage, wie sich Träume ändern, während wir älter werden. Man gebe eine Prise Mythos und Magie dazu, um beim sich gängigen filmischen Vorstellungen verwehrenden Resultat anzugelangen. Denn auch die Geschichte der 65-jährigen Melanya, die in einem Aufzug arbeitet, und davon träumt, Astronautin zu werden, klingt zu gut, um wahr zu sein. Ist sie aber. Khachtryan habe sie kennengelernt, als er seine Grossmutter im Spital besuchen war. Sie stellt zudem das perfekte verbindende Glied zwischen dem traditionell auf dem Land lebenden Karen und den jüngeren Amasia und Sona, die wir auf den Dächern von Hochhäusern kennenlernen, dar.

Der Film endet, wie er begonnen hat: mit einem Baum. Dieser wird aber in die Luft gesprengt. Dies als Sinnbild für die vorerst stillgelegte Revolution – 2020 brach zwischen Armenien und Aserbaidschan der Krieg um Bergkarabach aus, der Tote forderte. „Also wieder ein Traum, der zerstört wurde“, so Khachtryan.

Das Publikum will im Anschluss wissen, wie die Rezeption des Films in Anbetracht der politischen Situation in Armenien war, und ob die Protagonist:innen über den Inhalt des Films informiert gewesen seien. „Ich habe die Protagonist:innen zur armenischen Premiere am Golden Apricot Yerevan International Film Festival eingeladen“, sagt Khachtryan. Melanya sei gekommen, ebenso Karen mit Frau und Kind. Also doch ein weiterer Traum, der in Erfüllung gegangen ist.