Film

Unrecht und Widerstand
von Peter Nestler
DE/AT 2022 | 113 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 46
9.11.2022

Diskussion
Podium: Peter Nestler, Rainer Komers
Moderation: Alexander Scholz
Protokoll: Maxi Braun

Synopse

Als die wenigen überlebenden Sinti und Roma die deutschen Vernichtungslager verließen, trafen sie auf eine unvermindert rassistische Gesellschaft. Neuanfang am Rande der Städte, Ausgrenzung als Kontinuum für Generationen. Romani Rose hat zeit seines Lebens versucht, die Verantwortlichen für die Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Die Geschichte seiner Familie und seines Engagements als Bürgerrechtler spannt ein Panorama des Antiziganismus auf, das bis heute virulent ist.

Protokoll

Ein Termin am frühen Mittwochmorgen, dennoch ist das Kino voll. „Ich sage Ihnen, es ist nichts künstlerisches an diesem Film. Er ist sehr dicht und intensiv, sie werden sich anstrengen müssen und es wird weh tun. Sie erwartet rein gar nichts Unterhaltsames“, warnt Peter Nestler bei der Begrüßung sein Publikum vor.

Im Film kombiniert er eine Fülle von Archivmaterialien aus Fernsehen, Zeitungsberichten und seinem eigenen Film „Zigeuner sein“ von 1970. Ergänzt werden diese durch Interviews mit Expert:innen aus der historischen Forschung oder von der Forschungsstelle für Antiziganismus der Uni Heidelberg. Vor allem kommen aber Opfer und Betroffene selbst zu Wort. Daraus setzt sich eine Kollage zusammen, die vage chronologisch die Geschichte der Roma und Sinti in Deutschland nachzeichnet: Von der schrittweisen Ausgrenzung vor 1933, der systematischen, bürokratischen Erfassung, der immer massiveren Verfolgung durch die Nationalsozialist:innen bis zu dem unvorstellbaren Leid, das Roma und Sinti in den Konzentrationslagern angetan wurde. Wieviele in den Lagern ermordet wurden, ist nicht exakt belegt, Schätzungen gehen nach heutigem Stand von mindestens 500.000 Opfern aus.

Die Erfahrungsberichte der Zeitzeug:innen sind schwer auszuhalten. Wie bei Schilderungen jüdischer Holocaustüberlebender entzieht sich einmal mehr unserer Vorstellungskraft, wozu Menschen fähig sind. Wie aber die deutsche Regierung nach 1945 mit den Roma und Sinti umgeht, ist schier unerträglich: Die bruchlose Kontinuität, mit der Täter:innen in sensiblen Positionen wie Pädagogik, Medizin oder Exekutive ihr Leben unbehelligt weiterführen. Die kaltherzige Ungerechtigkeit, mit der die Opfer, den Lagern nur knapp mit dem Leben entkommen, weiter ausgegrenzt und an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Die Unverfrorenheit, mit der Bürokraten in Archiven Akten aus der Zeit der verbrecherischen „rassenhygienischen Forschung“ verstecken. All das ist unbegreiflich und macht wütend.

Wut ist produktiver als Ohnmacht, das weiß auch Nestler. Und so rückt im zweiten Teil des Films die Emanzipation der Überlebenden und Nachgeborenen sowie ihr Aktivismus in den Vordergrund. Sie sind nicht länger Opfer, sondern Handelnde, die mit aller Kraft, juristischen Mitteln, Hungerstreiks und medienwirksamen Aktionen Widerstand leisten. Sie kämpfen für die Anerkennung des Völkermords an den Roma und Sinti durch den deutschen Staat, gegen die fortdauernde Ausgrenzung. Romani Rose, 1946 geboren, wird gemeinsam mit Vater und Bruder zu einem wichtigen Protagonisten dieses Widerstands. Seit 1981 ist er Vorsitzender des Zentralrats für Roma und Sinti und der Film würdigt ihn als unermüdlichen Aktivisten, aber auch als einen Menschen, der weder Rache will noch Hass empfindet, sondern schlicht Gerechtigkeit und Anstand auf seiner Seite weiß. Durch Rainer Komers aufmerksame und zurückgenommene Kameraarbeit und eine kluge Montage des Archivmaterials identifizieren wir uns so mit den Aktivist:innen. Und doch bleibt ein Gefühl der Scham, in diesem Land der Täter:innen geboren zu sein und eine Verantwortung für die Zukunft zu tragen.

Im Diskussionssaal ist es danach still. Entsprechend empathisch beginnt auch Alexander Scholz seine Einführung damit, das Z-Wort nur im historischen Kontext zu benutzen und rät dies auch allen Anwesenden. Einen lokalen Bezug herstellend, skizziert er die Verfolgung der Roma und Sinti in Duisburg von 1940 bis Kriegsende und springt dann wieder in die Gegenwart, um an die rassistischen Äußerungen des Oberbürgermeisters der Stadt 2015 und 2018 zu erinnern. Scholz betont das um zu zeigen: Rassismus und Antiziganismus sind auch in Duisburg virulent. Damit unterstreicht er die Dringlichkeit des Films, den er als „medialen Gegendiskurs“ zur immer noch andauernden Stigmatisierung und rassistischen Klischees versteht.

Nestler berichtet, wie er Romani Rose in Berlin bei einer Konferenz traf und gefragt wurde, wer denn einen Film über Roma und Sinti in Deutschland machen könnte. Komers – der 1980 den dokumentarischen Kurzfilm „Zigeuner in Duisburg“ gedreht hatte – wurde als Bildgestalter Teil des Projekts und wünschte sich dann wiederum Nestler als Regisseur. Auf dem Podium erläutern  beide die aufwendige Recherche und den Umgang mit der Materialfülle, aus dem ein zweiter Film („Der offene Blick“) über das künstlerische Schaffen der Sinti und Roma hervorging. Nestler und Komers erhalten aus dem Publikum auch ein „wahnsinniges Kompliment für die Machart des Films“, dafür, stets den richtigen Ton zu treffen und jeden Schnitt an der richtigen Stelle zu setzen. Scholz bezeichnet das treffend als „Poetik und Politik des Ausredenlassens“.

So wie Nestler im Film seinen Gesprächspartner:innen Raum lässt, ihre Gedanken zu sortieren und zu entfalten, erhält er auch hier die Gelegenheit dazu. Als er eigene Kindheitserinnerungen teilt – von zwei erschöpften Sintize, die einem „Todesmarsch“ entkamen und von seiner Mutter versteckt wurden – wird es noch stiller im Saal. Hilde Hoffmann findet danach die richtigen Worte und beschreibt „Unrecht und Widerstand“ als ein „Gedankenmonument für Roma und Sinti, für Romani Rose und die Bürgerrechtsbewegung“. In Bezug auf den Film ist dem nichts hinzuzufügen.

Einen Denkanstoß liefert Komers am Ende. In einer Drehpause habe er einen jungen Mann, der Poesie und Geschichten schreibe, danach gefragt, wie der den Alltag heutzutage als Roma erlebe. Der habe schnell abgewunken und gesagt, er wolle bloß Schriftsteller sein, sonst nichts. Die Widerstandsbewegung hat so viel erreicht, die Aktivist:innen haben jahrzehntelang gekämpft. Komers ergänzt: „Vielleicht ist an der Zeit, die blockartige Wahrnehmung von Roma und Sinti zu überwinden“. Und das ist unser aller Aufgabe.