Synopse
Wo sich das Licht der aufgehenden Sonne mit dem italienischer Lampen mischt, da sind Elke und Klaus zu Hause. Beim Halma-Spiel in guten Wollpullis verbringen sie ihre letzten Jahre. Doch so harmonisch war es nicht immer. Mit Fotos und ausgegrabenen Liebesbriefen tauchen Verflossene und Vergessenes auf und betasten die „selbstgewählte Zwangslage einer liebenden Ehe“.
Protokoll
Am Anfang steht ein Ideal und die Suche „nach den Zutaten für eine so lange Liebe“, wie Lilian Sassanelli es im Gespräch erklärt. Im Mittelpunkt ihres Films stehen ihre eigenen Großeltern Elke und Klaus, mit denen sie als Kind viel Zeit verbracht hat. Sie sind seit 50 Jahren ein Paar, haben drei Kinder. Schon von der ersten Szene an ist klar: das Ideal der Enkelin wird dem Realitätscheck nur bedingt gerecht. Permanente Reibung, Diskussionen und Aushandlungsprozesse sind ebenso fester Bestandteil des Beziehungsalltags wie jeden Morgen nackt in den Pool zu springen und abends gemeinsam ins Bett zu gehen. Die klassische Rollenverteilung ist hier gebrochen. Klaus bringt Elke das Frühstück ans Bett, übernimmt die fürsorgliche Position, kocht und bügelt. Elke hingegen wirkt stark, eigensinnig, abgeklärt. In den regelmäßigen Frotzeleien sind sie einander ebenbürtig und wenn Klaus die Nase voll hat, nimmt er einfach sein Hörgerät heraus.
Sassanelli hat zunächst die alten Liebesbriefe ihrer Großeltern gelesen und dann zwei Monate lang mit einem dreiköpfigen, weiblichen Team gefilmt. Auszüge aus diesen Briefen bilden neben den Beobachtungen des Alltags und Interviewsequenzen eine weitere narrative Ebene, die auch Einblicke in das Prozeßhafte der Liebe erlaubt. Elkes Briefe sind stärker von Zweifeln geprägt. Klaus Briefe wirken zärtlicher, liebevoller. Aber beide hadern durch die Jahrzehnte mit ihren Positionen, der Ehe als Konzept und den Gefühlen füreinander.
In der Diskussion spielt Sassanelli direkt eine Frage ins Publikum zurück. „Findet ihr, mein Großvater wirkt klein im Film?“. Der Dreh habe bei ihr selbst den Eindruck erzeugt, Klaus sei noch sehr verliebt, während Elke wirke, als sei diese Beziehung das Resultat einer rational erwogenen Entscheidung. Vielleicht steckt in Sassanellis Frage aber mehr unser verinnerlichtes Ideal, bei dem Liebe keine bewusste Entscheidung sein darf, sondern eine Naturgewalt sein muss, die über uns hereinbricht?
Wenn Elke im Film am Ende gefragt wird, ob sie Angst davor habe, dass Klaus vor ihr sterben könnte, stockt sie. Sie tröste sich mit der Vorstellung, nach 50 gemeinsamen Jahren müsse doch einfach irgendetwas vom anderen bleiben, oder nicht? Ihre Augen erhalten diesen gewissen Glanz der entsteht, wenn Tränen unterdrückt werden. Da ist mehr als Gewohnheit, Rationalität. Da ist eine innige Verbundenheit und die Gewissheit: Das mit uns kann nicht einfach enden. Wir ahnen, dass sie ihre Liebe vielleicht einfach anders artikuliert als Klaus.
Auch auf Ebene der Bildgestaltung evoziert der Film eine liebevolle Beziehung. Nähe spiegelt sich hier nicht in Zärtlichkeit und ständiger körperlicher Berührungen, wie Mischa Hedinger bemerkt. Die Kamera bleibt in den kleinen Räumen nah bei den Protagonist:innen, die sich ihrerseits meist im selben Zimmer aufhalten. Als wäre es unnötig, einander ständig anzufassen, weil die Präsenz des anderen ausreicht. Deutlich wird das besonders, wenn die Perspektive in eine Totale des Hauses wechselt und so auf unseren eigenen Blick von außen verweist. Eine Perspektive die uns daran erinnert, nie mehr als eine flüchtige Draufsicht auf und eine Momentaufnahme von den komplexen Verflechtungen und Dynamiken einer Beziehung erhaschen zu können.
Ein Ereignis verändert aber gegen Mitte des Films doch noch die Dynamik. Ein Brief, den sie vorliest, erinnert Elke daran, vor Jahren mit einem anderen Man geschlafen zu haben. Sassanelli schildert, wie Elke daraufhin während des Drehs die Initiative ergriffen und Klaus spontan von dem Seitensprung erzählt habe. Aufgrund technischer Probleme genau in dieser Schlüsselszene stellt sich das Gespräch im Film ganz anders dar, was ein glücklicher Zufall ist. „Denn das hätte dem Seitensprung eine viel größere Gewichtung verliehen“, wie Sassanelli im Nachhinein findet. Stattdessen sehen wir nur, wie Elke etwas einfällt, Klaus danach das Haus verlässt und Elke später lakonisch kommentiert „Ich glaube er wusste es wirklich nicht bis dahin. Kann er mal sehen. Aber es hat ja offensichtlich auch keine Rolle für unsere Beziehung gespielt“. Damit ist das Thema für Elke erledigt. Es ist nicht die einzige Gelegenheit, bei der sie sehr energisch agiert. Koppe und Sassanelli selbst erkennen darin eine feministische Haltung.
Eine Stimme im Publikum fragt sich aufgrund dieser Schilderung, ob die Präsenz der Kamera nicht doch Einfluss auf die Elkes und Klaus Interaktion gehabt habe? Sassanelli glaubt eher, dass der Dreh und die damit verbundenen Gespräche Erinnerungen und Konflikte wieder an die Oberfläche beförderten, mit denen sich beide jahrelang arrangiert hatten. Was macht all das mit der Idealvorstellung, die der Ausgangspunkt für ihren Film war? Letztlich findet „Zweisamkeit“ die Zutaten für eine gelingsichere Beziehung nicht, was gut ist. Auch die Frage nach einem Gefälle oder nach der Qualitäten der Liebe in Hinblick auf Elke und Klaus bleibt offen. Wem stünde auch ein Urteil darüber zu? Am Ende bleibt die alte Binsenweisheit das Liebe ist, was Paare in welcher Konstellation auch immer daraus machen.