Film

Ghost Fair Trade
von Cheikh Ndiaye, Laurence Bonvin
CH 2022 | 38 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 46
10.11.2022

Diskussion
Podium: Laurence Bonvin
Moderation: Mischa Hedinger
Protokoll: Johanna-Yasirra Kluhs

Synopse

Waren werden in die pyramidenförmigen Pavillons geschleppt, an den Wänden die letzten Kabel verlegt. Jedes Jahr findet in Dakar eine große Handelsmesse statt. Das Gelände ist ein Monument des Modernismus, in den 1970er-Jahren erbaut von zwei Franzosen als Aufbruch zu einer neuen senegalesischen Architektur. In statischen Einstellungen treten die Widersprüche dieses Ortes hervor, zwischen Avantgarde, Animismus und alltäglicher Betriebsamkeit.

Protokoll

„Im Film geht es um Architektur. Um die Beziehungen zwischen Räumen und Leuten und wie sie die Räume benutzen und beleben. Deswegen ist es wichtig, auch die nicht-menschlichen Wesen darzustellen. Ameisen sind ein Teil davon. Sowie die Katzen, Hunde, Vögel, …. Sie bewegen sich auf und unter dem gleichen Boden. Es ist Teil der Kosmologie.“ Eine sensorische Ortserkundung (so kategorisiert Mischa Hedinger). Wir streifen über ein großes Messegelände im Zentrum von Dakar. Eckige Gebäude, mal belebt, mal verlassen. Handel, Feste, Arbeit. Ein Ameisenhügel. Eine maskierte Figur. Menschen sprechen über das Gelände. Schwarz-weiße Archivbilder zeigen Teile seiner Vergangenheit. Plastik im Wind. Ein Baobab, eingeparkt. Einst lagen hier die Felder und heiligen Orte der Lébous. Das CICES (Centre International du Commerce Extérieur du Senegal) ist eines der großen Bauprojekte nach der senegalesischen Unabhängigkeit am 20. August 1960 von der französischen Kolonialherrschaft, die seit 1895 das Land regiert hatte. 1974 gewannen zwei bis drei Architekten einen Wettbewerb um die Planung eines internationalen Messegeländes in der Hauptstadt. Der damalige Präsident Léopold Sédar Senghor, der auch Essayist, Theoretiker und Lyriker war und dem die (Mit-)Entwicklung der Idee der Négritude zugeschrieben wird, rief die (Re-)Konstruktion einer senegalesischen Nationalkultur aus – und dazu gehörte auch die Entwicklung einer spezifischen Architektur.

„Something new produces an imbalance.“ Senghor vertrat das Formprinzip der asymmetrischen Ähnlichkeit („asymmetric parallelity“). So spielt der Entwurf der Gewinnerarchitekten auf der Basis von pyramidenähnliche Formen mit Ungleichgewichten. Wenn man die Archivbilder zum Bau des Messegeländes im Film anschaut, fallen vor allem zwei junge weiße Männer auf. Jean-François Lamoureux and Jean-Louis Marin werden in den meisten Quellen als das Architekten-Duo der CICES genannt. Es braucht eine genauere Recherche und ein wenig Misstrauen (im Internet ebenso wie vor Ort) um zu bemerken, dass ursprünglich ein Trio das Projekt in Angriff genommen hatte: Férnand Bonamy (verstorben erst im Februar 2022), ein senegalesischer Architekt, der auch das Wohnhaus der Senghors entworfen hatte, war Teil des Teams. Ist aber aus den Archiven beinahe verschwunden. Auch in „Ghost Fair Trade spricht er nicht. Überhaupt sei es anspruchsvoll gewesen, Archivmaterial zu finden, nur wenig sei aufbewahrt. Letzten Endes bezieht der Film historisches Footage aus zwei Quellen: Dem Archiv der Zeitung „Le Soleil und dem der „Direction de l’Urbanisme de Dakar – aus dem auch das einzige Bewegtbild kam, das direkt zu Beginn des Films zu sehen ist.

Dazu Bonvin: „Es kam uns natürlich komisch vor, dass Senghor zwei weiße Architekten und noch dazu Franzosen[1] ausgewählt hat. Die beiden waren im Sénégal gewesen, damit sie nicht in die Armee müssen. Die haben sich dort kennengelernt und am Wettbewerb teilgenommen. Ganz jung, mit etwas mehr als 20 Jahren. Der Film wurde als Installation bei der Dakar Biennale im CICES gezeigt. Eine marokkanische Architektin hatte Geld vom Goethe Institut bekommen, um eine Tagung zu veranstalten.[2] Da kamen dann auch die Arbeiter:innen von dem Gelände. Sie haben den Humor des Films verstanden. Und Bonamy kam und berichtete, dass es Probleme zwischen den Dreien gegeben hatte. Und die beiden Franzosen dann eine Klage gegen ihn eingereicht haben. Und dann haben sie verloren und nie wieder im Sénégal gebaut. Es ist immer komplizierter als man denkt. Es gab ja damals keine Architekturschule im Sénégal.

Das Vergangene nimmt viele Formen an in „Ghost Fair Trade. Das Unsichtbare, das Geisterhafte spielt mit. Das Eigenleben des Geländes, auch wenn keine Arbeiten dort stattfinden – Winde, die durch Pflanzen und Gebäude fahren. Die Erzählung einer Geistermanifestation in der African Union Hall ist einer der ersten O-Töne, den wir hören. Und so verbindet sich diese Geschichte allmählich mit anderen Interviews. Jemand erzählt über die Lébous, eine Volksgruppe, die für den Bau der Messe von ihrem Land vertrieben wurden. Nicht nur Felder hätten sie dort bestellt – auch heilige Orte, die Xams. Über diese Erzählung sei die marokkanische Architektin auch nicht sehr glücklich gewesen – ebenso wie ihrerzeit Lamoureux und Marin. Die haben die Geschichten einfach nicht geglaubt, waren verzweifelt über die Bauverzögerungen, und konnten sich letzten Endes durchsetzen.

Cheikh Ndiaye und Laurence Bonvin hatten vorher schon einen gemeinsam Film gemacht über die Architektur der 1940-80er Jahre in Abidjan. Mit einer Studierendengruppe war Ndiaye, der gebürtig aus Dakar kommt, dann nach vielen Jahren wieder auf dem Gelände des CICES gelandet, das er noch aus seiner Kindheit kannte und hatte Bonvin vorgeschlagen, gemeinsam einen Film darüber zu machen. Gemeinsam fahren sie 10 Tage nach Dakar, um einzuschätzen, ob der Ort einen Film tragen kann. Bereits vor dem Projektvorhaben „hatte Cheikh Ndiaye mir sehr viel von Dakar erzählt, auch über die Sagen, dass es da Geister gibt, die wie Winde durch die Stadt gehen. Die haben meine Imagination von Anfang an geprägt – es war nicht neutral, als ich dahin kam. Ich war auch sehr beeindruckt von den Gebäuden und der Atmosphäre. Das Gelände liegt heute mitten in Dakar (zur Entstehungszeit war es außerhalb, das sieht man auf einer historischen Aufnahme zu Beginn des Films), drumherum ist viel Verkehr, es ist sehr laut. Aber wenn man das Gelände betritt, ist es wie eine Insel, da gibt es viele Vögel, es ist still. Als wir das erste Mal gemeinsam dahin kamen, war es so leer, da dachte ich, es ist vielleicht zu tot um etwas zu machen, aber dann war es plötzlich ab dem nächsten Tag total voll für drei Tage. Dieser Rhythmus hat mich interessiert, dass es ganz voll ist und dann wie eine Geisterstätte. Es war nicht von Anfang an klar, dass wir mit Geistern arbeiten würden. Aber am ersten Drehtag haben wir den Mann gesehen, der davon erzählt, dass er Geister in dem Haus gesehen hat. Er hat direkt von den Xams, den holy places gesprochen – das war eine Bestätigung, dass es die da wirklich gab. Dann haben wir diese Spur während des Drehs wieder verloren – und ich dachte eher, wir müssten ein paar Aufnahmen neu machen, weil es Wind gab und so. Und erst in der Montage habe ich verstanden: Die Aufnahme ist super, die erzählt so viel. Diese Motive eines Eigenlebens sind dann sehr wichtig geworden in der Narration.“

Die Kamera begleitet den Raum in seinen unterschiedlichen Erscheinungsweisen. Erzählt wird nicht linear. Im Bild erscheinen Totalen. Detailaufnahmen. Unterschiedliche Tageszeiten. Orte jenseits des Geländes. Alles hängt zusammen – hinter der Kamera steht Laurence Bonvin: „Mein Bildkonzept ist sehr von Fotografie geprägt. Der Blick der Zuschauer soll im Bild wandern können. Ich möchte den Blick weniger dirigieren, sondern Zeit und Raum lassen dafür, dass man selbst das Subjekt bestimmt. Im Kino kann das verwirren, weil man da immer zeigen muss, was man sehen soll. Es ging uns auch darum, diese Art des Sprechens abzubilden. Mit den Wiederholungen von Worten, langen Pausen. Nicht nur die Inhalte.“ Aber es gibt auch inszenierte Momente – eine Figur mit einer traditionellen Maske begleitet uns von Anfang bis zum Ende des Films. Was hat es damit auf sich? „Einer der Arbeiter hatte uns eingeladen, zu Tanzproben, die sie ein Mal in der Woche hatten, informell haben sie das Gelände dafür genutzt. Als wir da waren, haben sie gesagt: „Wir haben auch Masken.“ Als ich die gesehen habe, dachte ich: Das passt total zu dem Ort. Diese weiße Maske ist wie eine Figuration des Ortes, von mir und von Cheikh. Am Ende hatten wir unterschiedliche Meinungen. Cheikh fand es nicht so gut. Ich fand es wichtig. Aber die Maske repräsentiert nicht den Geist. Sie ist eine Maske.“ „In der Kommission waren wir uns auch nicht einig. Auch der Sound: dieses Atmen und die Trommel. Erst ist alles so zurückhaltend und dann wird es plötzlich so stark gesetzt.“ „Das hat der Tonmischer entschieden. Wir haben auch diskutiert, ob man den Auftritt der Maske überhaupt wiederholt. Ich wollte gern das Risiko auf mich nehmen. Die Fiktion ins Dokumentarische zu bringen. Ich hatte das vorher nicht gemacht. Ich weiß auch nicht, ob ich das noch mal machen würde. Aber ich finde, es bringt dem Film was.“

Über drei Jahre wurde nicht nur mit unterschiedlichen Kameras gedreht. Auch waren unterschiedliche Leute am Ton beteiligt: Ousmane Coly und Cheikh Ndiaye, später im Mix noch Hugo Leitão. Bonvin beschreibt das als Herausforderung: „Es war komplex, dass Cheikh nicht immer da war. Ein Mal hatte ich eine Residenz[3] in Dakar bekommen, da war er nicht da. Es war auch nicht immer die gleiche Person, die Ton gemacht hat und auch die Assistenz hat gewechselt. Ich habe niemanden aus der Schweiz mitgenommen. Mir war es wichtig, mir Leuten vor Ort zu arbeiten. Mit Cheikh habe ich schon häufig kooperiert, es ist mir wichtig, auch das Schwierige mitzunehmen. Und das was Cheikh gemacht hat im Film, ist etwas, das ich nicht wusste oder konnte. Ich hätte das selbst nicht so gesehen und gespürt. Während des Drehs hatte ich auch seltsame Träume. Figuren, die da erschienen sind. Ich habe auch eine Offenheit für solche Erfahrungen. Im Film hören wir einen Ausschnitt aus einer Radiosendung, die anleitet, Träume therapeutisch zu nutzen.“[4]

Das Publikum interessiert sich für die Komplikationen: „Was genau war schwierig?“

„Ich weiß nicht, ob das wirklich interessant ist. Im Sénégal ist es eben manchmal schwierig. Plötzlich will jemand Probleme machen und dann macht er Probleme. Vor allem Security und Polizei. Und dann dauert das zwei, drei Stunden, bis das erledigt ist. Ich hatte zum Glück viele Männer an der Seite, die das gelöst haben. Und viele Leute wollen nicht gefilmt werden. Es ist sehr ungewöhnlich, dass überhaupt jemand filmt. Dann noch mit Mikro. Ich probiere meistens, nicht so präsent zu sein. Aber ich bin natürlich total präsent mit der Kamera. Ich distanziere mich dann innerlich, um damit zurechtzukommen. Klar: Wenn Leute wirklich nicht gefilmt werden wollten, dann ist klar, dass das nicht passiert. Und natürlich gibt es grundsätzliche Fragen: Soll ich überhaupt da sein und filmen als weiße Frau?“ Später erzählt sie mir, dass sie den Film ohne Förderung gemacht habe, also privat finanziert und, ja, genau das sei sehr schwierig gewesen. Und, dass sie das wirklich nicht noch mal machen würde.

„Da gab’s doch diesen Mann, der über die Geschichte der Lébous erzählt, und der dich irgendwann fragt: Kommst du aus Holland? Du sagst: Nein, aus der Schweiz – aber auch frankophon. Warum hast du das im Film gelassen?“ „Ich fand es wichtig, das zu zeigen, wer da hinter der Kamera steht. Man sieht auch Cheikh. Es sind seine Hände, die das Archivmaterial halten. Es ist wichtig, dass wir beide uns im Film auch manifestieren.“ Die Fragende kritisiert später vor der Tür: „Wie kann man das einfach als verbindende Eigenschaft äußern – die Frankophonie aus Schweizer Perspektive ist doch etwas ganz Anderes als aus Senegalesischer Perspektive.“ Bonvin sagt: „Eine Kollaboration, das ist für mich eine Mischung von Welten. Danach muss man erstmal zu sich kommen. Dann brauche ich meine eigene Welt, wo ich mich unabhängig bewegen kann.“

Am Ende des Films erscheint ein alter Baobab im Bild – einer der alten heiligen Bäume auf dem Gelände. Heute eingebunden, ganz banal, zwischen Straßen, Häusern und parkenden Autos. „Ich würde gern über den Baobab sprechen. Auf der Archiv-Fotografie sieht man einen Baobab, der ganz präsent einzeln in der Landschaft steht. Am Ende sieht man einen Baobab, der total zugeparkt ist. Ist das der gleiche? Der magische Ort, von dem vorher gesprochen wird?“ „Ja, das ist der Baobab. Und das wollte ich auch zeigen. Der Baobab ist ein Baum der sehr wichtig ist für die Lébous. Aber viele Baobab werden grad gefällt in Dakar. Die Modernität hat übernommen und gleichzeitig ist das Alte noch da. Und wenn es da ist, ist es da.“

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[1] Senghor hatte selbst in Frankreich gelebt und studiert, wo er auch gestorben ist. Er lebte in Ehe mit einer weißen Französin. Bereits während seiner Amtszeit gab es Vorwürfe an ihn, die reale Unabhängigkeit von Frankreich nicht radikal genug voranzutreiben. Bonvin: „Senghor ist eine interessante Figur. Er war nah an Frankreich und ist es auch geblieben.“

[2] Der Film wurde im Rahmen dieses Projektes, das Teil der Architekturbiennale war, gezeigt: https://www.azizachaouniprojects.com/sunucices

[3] Es geht um die Black Rock Residence, 2019 ins Leben gerufen von dem afroamerikanischen Künstler Kehinde Wiley: https://blackrocksenegal.org

[4] Bonvin berichtet auf Nachfrage, dass es sich bei dem Sprecher um Franco-Ägypter und  Ethnopsychologen Tobie Nathan handelt, der (aufbauend u.a. auf Franzt Fanon) an einer Praxis dekolonisierter Psychiatrie arbeitet.