Film

Zusammenleben
von Thomas Fürhapter
AT 2022 | 90 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 46
11.11.2022

Diskussion
Podium: Thomas Fürhapter
Moderation: Sven Ilgner
Protokoll: Marius Hrdy

Synopse

In den „Startcoachings“ der Stadt Wien sollen Migrant:innen lernen, wie Integration gelingt. Immer danke sagen, nie rülpsen, beim Thema Sexualität wird aus einem Kissen eine Vulva. Die Kurse sind Anleitungen und Foren des Austauschs. Vergleiche zwischen dem Eigenen und dem Fremden werden angestellt. Die Kamera liegt lange auf den Gesichtern und liest in ihnen: Konzentration, Erstaunen, Langeweile. „Integrieren heißt nicht sich selbst verlieren.“

Protokoll

Regisseur Thomas Fürhapter und Moderator Sven Ilgner nehmen am Podium Platz. Ilgner entschuldigt sich für das technische Problem der verzögerten, asynchronen Untertitel vorhin bei der Vorführung. Dabei erreicht dieser zufällige Defekt eine spannende Irritation für das Sprechen über einen Film, dessen festgezurrtes Bildkonzept seine Protagonist:innen in nah angeschnittene Porträtkader zwingt und bei dem sprachliche Übersetzungsarbeit eine wesentliche Rolle für dessen Deutung spielt. Dadurch wirkt der Kamerablick auf die Teilnehmenden der thematischen Intergrationskurse der Stadt Wien – wie Stimmrecht, Schwangerschaft/Sexualität/Ehe/Tod etc. – noch zuhörend-befremdlicher.

Vielleicht steigt Ilgner auch deshalb mit der Beobachtung in die Diskussion ein, dass „Zusammenleben“ für ihn ein Film ist, bei dem man den Menschen beim Denken zusehen kann. Er fragt wie Fürhapter darauf gekommen ist diese Gesichter zu finden und ob er dazu recherchiert hat oder nicht? Fürhapter antwortet sehr institutionsbezogen – Kurse wurden gefunden, Kursleiter:innen kontaktiert, Kursteilnehmende – auch wenn erst kurz davor und bereits im Klassenzimmer – um Dreherlaubnis gefragt. Das Konzept war eine Reihe von Porträtaufnahmen „um die Menschen in ihrer Vielheit und ihrer Individualität zu zeigen“.

Einen wichtigen Punkt spricht Ilgner dabei an – „welche Bilder man sucht, wenn man selbst nicht alle Sprachen spricht, die in dem Film vorkommen? Fokussiert man dann eher auf die menschlichen Reaktionen und sucht eine inhaltliche Logik nach der Übersetzung später im Schnitt?“ Fürhapter gibt zu beim drehen tatsächlich nichts verstanden zu haben. Er sieht dies aber als Vorteil um sich auf die Stimmung im Raum und die Situationen selbst zu konzentrieren. Ilgner bohrt nach mit dem Einwand, dass man „durch diese Entscheidung so offen zu erzählen schnell auf das Thema Stereotypen kommt“. „Wie habt ihr da im Schnitt angesetzt, weil ihr ja auch dazu Aussagen trefft?“ Für Fürhapter ging es um eine Breite der Themen und Sprachen. Und diese Breite sieht auch Ilgner im Film, in dem man keinen Protagonist:innen einzeln folgt, sondern von Kurs zu Kurs springt. „Wie schwierig war es diese Form zu finden, oder gab es auch Überraschungen?“

Für Fürhapter sind die Überraschungen mehr thematischer als formaler Natur. Ilgner verweist auf den Katalogtext, dass Fürhapter dort eine Sorge vor dem kolonialistischen Blick anmeldet. Fürhapters Antworten drehen sich im weiteren Verlauf mehr um die Organisation der Institution denn um die Menschen die hier von ihm abgebildet werden. Was will er uns damit erzählen? Was will der Film uns vermitteln? Will er etwas über Integrationserfolg aussagen? Die Situation in Integrationskursen? Die Abläufe der Stadt Wien?

Ilgner versucht sich über Paradoxien zu nähern. Der Film erzählt in seiner Breite sowohl über Krieg und gleichzeitig über deutsche Arbeitsmigrant:innen, wo in einem Kurs Kriegsgeflüchtete, in einem anderen eine Personalabteilungsmanagerin und eine Assistentin von einem „Vice-President“ mit eigenem Landhaus vorkommen. Für Fürhapter stellen die unterschiedlichen Realitäten im Gleichklang mit den lebensbedrohlichen Themen eine Balance dar.

Alejandro Bachmann greift nun aus dem Publikum eine Eingangsaussage Ilgners auf. Es wurde ja gesagt, dass es ein Film ist, bei dem man den Menschen beim Denken zusehen kann. Aber für ihn sieht man eher einer filmischen Form beim zusehen zu. Und das hat damit zu tun, dass der Film selbst eine große Konstruktion ist. Es müsste also die Struktur der Konstruktion hinterfragt werden aber auch die eigene Konstruktion des Filmes. Jeder Blick ist im Schnitt eine Konstruktion und erzählt ihm nichts über das was die Leute selbst denken. „Warum werden diese sehr wichtigen strukurellen Momente – warum die Kurse stattfinden und jene, die Fürhapter als Filmermacher strukturieren – hier ausgespart?“

Fürhapter antwortet – etwas ausweichend – er wollte nicht mit Texttafeln arbeiten, weil er findet, dass sich die Struktur selbst aus dem Material ergibt. Seine eigene Position ergibt sich aus der filmischen Form selbst. Sie extra noch zu thematisieren war für ihn nicht relevant. Er sagt der Film „zeigt wie sie auf Augenhöhe mit den Protagonist:innen sind.“ Bachmann entgegnet: „ihr könnt nicht auf Augenhöhe von Protagonist:innen sein, wenn ihr nicht ihre Sprache sprecht.“ Obwohl Fürhapter sich mißverstanden fühlt, da er eigentlich die Kameraposition „auf Augenhöhe“ gemeint habe, gärt diese Aussage im Publikumgeflüster weiter.

Auch die Sequenz im Film, wo in einem Kurs die weibliche Sexualität von einem Mann erklärt wird sorgt für Verwunderung im Publikum. Warum hat er sich entschieden das als Filmemacher einzubauen? Fürhapter begründet die Entscheidung damit, dass männliche Sexualität bei Migration eine wesentliche Rolle spielt. Es hätte auch einen äquivalenten Kurs für Frauen gegeben, aber das Team habe keine Genehmigung bekommen.

Weitere Fragen ranken sich um die Synchronität der Reaction Shots (Brockmann), dem Verhältnis von Porträts zu Gruppenszenen, ob der Schnitt auf Effekt gebaut wurde und eine Unterhaltsamkeit gesucht wurde (Ilgner), welche Verantwortung die Filmemacher selbst fühlten wie sie die Kursteilnehmenden präsentierten? Fürhapter begründet dies alles knapp entweder mit der Aufnahmesituation oder dem vorliegenden Material für den Schnitt. Problematische Szenen sollten ebenso ihren Platz haben, um zu zeigen wie Inklusion/Exklusion in der Institution reproduziert werden. Aber engt dieser Ansatz der vermeintlichen Breite nicht ein?

Eine Reihe von Fragen beziehen sich dann nochmal auf den Blick auf die Kursteilnehmenden selbst. „Dieses starre Ansehen in den Porträts“ hinterließ bei Bettina Henkel ein schales Gefühl, da der Film „sonst keine Möglichkeiten eines anderen Blickens“ anbietet. Auch eine andere Zuschauerin stört es „dass man nicht mehr über deren Leben erfährt. Es wird auf die Personen geschaut aber sie bekommen keine Möglichkeit selbst zu sprechen.“ Fürhapter hat der Diskursraum zwischen Institution und Kursteilnehmenden selbst interessiert. Wie dieser Diskursraum aber nicht einfach so vor der Kamera passiert, sondern durch Entscheidungen im Film selbst konstruiert und eingeschränkt wird, spart er in der Diskussion aus.