Synopse
„Diva, you live 10.000 kilometers away, I have never met you.“ Begegnen kann man Diva Cat Thy in ihrem Livestream. Trotz Millionen von Followern ist Diva so gar nicht „Diva“. Von der Bingoshowbühne ins Nudel-Business, bestreitet sie den ersten Lockdown in Vietnam mit Pragmatismus und perfekten Nägeln, hält das Geschäft am Laufen, hostet plastikbestuhlte Charity Events und unterstützt mit dem Geld ihre queere Community.
Protokoll
Nicolas Cilins sagt, es gehe bei „Diva“ nicht nur um Diva und ihre Community, sondern auch um Distanz. Dies manifestiert sich nach dem Screening in Form der Virtualität des Gesprächs mit dem Filmemacher, der über Zoom aus Genf zugeschaltet wird. Nebst Distanz – „Diva“ ist ein Liebesbrief an die in Vietnam lebende Transfrau Diva Cat Thay, der Cilins nie begegnet ist, und die er von ihren Youtube Videos kennt – ist auch Übersetzung ein zentrales Thema. Cilins Partner, der vietnamesisch-stämmige Australier Dustin Duong, hat etwa 15 Stunden an Material übersetzt und untertitelt. Der französischsprachige Cilins spricht mit Moderatorin Therese Koppe und dem Publikum zudem auf Englisch, und damit Koppe die Fragen nicht für den Filmemacher wiederholen muss – „es wäre schade, wenn ich eure Fragen in meine Worte übersetzen muss“ –, dürfen sich die Fragestellenden vor den Laptop am Podium setzen, um direkt mit Cilins zu sprechen. Und schliesslich ist dieses Protokoll wiederum eine Übersetzung der Diskussion ins Deutsche.
Schon im Kino waren nicht mehr massenhaft Zuschauer:innen anwesend, im Diskussionssaal sind es jetzt noch weniger, es ist auch spät. Doch die wenigen verbliebenen wollen mehr über die Entstehungsgeschichte des Films erfahren. Das Projekt habe als eine Art Obsession angefangen, Cilin und sein Partner haben stundenlang die Videos von Diva auf Youtube geschaut. Dieses Social-Media-Format hat Cilin im Film beibehalten. Manchmal werden Videos übereinandergelegt und statt etwa ein Voiceover zu hören, sind parallel zwei Untertitelspuren zu sehen. Während auf der unteren die englische Übersetzung läuft, werden in der oberen persönliche Eindrücke und Bezüge des Filmemachers und seines Partners geschildet – etwa über Duongs Eltern.
Damit kreiert Cilin zwei parallel existierende Ebenen, bestehend aus Divas Material und seinem eigenen Meta-Kommentar dazu. Später antwortet er auf die Frage von Alexander Scholz, wie er sein Werk im Kontext der Projektion auf eine Kinoleinwand verstehe, dass er sich nicht sicher sei, ob er diese Idee des Kinos als Raum mit einer grossen Leinwand möge. Die Untertitel hätten ihm dazu gedient, mit Werkzeugen zu experimentieren, die man eben von den sozialen Medien kennt. „Ich mag es, mit Frustration zu spielen, weil man das Gefühl vermittelt bekommt, dass man sich für eine der zwei Geschichten entscheiden muss“, sagt er. Die visuelle Überladung spiegelt damit auch Cilins und Duongs Erfahrung des Youtube-Video-Schauens. Zu Beginn des Gesprächs hatte Cilin bereits betont, dass für ihn der Prozess davon, wie wir Diva zuschauen, genauso wichtig sei wie ihr Filmmaterial.
Einige aus dem Publikum berichten, damit Mühe gehabt zu haben. Eine Frau beschreibt das dadurch entstandene Gefühl als „angenehme Überforderung“. Als Cilin nachfragt, ob sie dem Inhalt des Films dennoch folgen konnte oder ob sie bloss verwirrt war, antwortet sie: „Vielleicht war ich etwas verwirrt, aber ich mochte es“.
Wie in „Vera“, der direkt vor „Diva“ gezeigt wurde, ist Diva die titelgebende Protagonistin, die man besser kennenlernen will. Mit ihrer unglaublichen Präsenz gibt sie zudem eine starke Hauptfigur. Wie Cilins schon zu Beginn des Films erwähnt, hat er Diva aber nie getroffen. Das Filmmaterial besteht nur aus ihren eigenen Videos, die zeigen, wie sie eine Bingo Show moderiert, Nudeln verkauft, Essen an Obdachlose verteilt oder Geld für ihre Nachbarschaft sammelt. Koppe fragt nach, zu welchem Zeitpunkt Cilin Diva kontaktiert hatte. „Sehr früh“, so Cilins. Diva sei relativ gleichgültig gewesen, sie hätte nicht geglaubt, dass Cilins wirklich ein Film über sie mache. Später hätten sie sie nochmals kontaktiert und ihr den Film gezeigt. „Sie wollte eigentlich zur Premiere an der Berlinale kommen“, so Cilins. Dies sei leider wegen der Pandemie nicht möglich gewesen.
Das Publikum interessiert sich weiter für das Transsein in Vietnam. In einer Szene kommt etwa Deadnaming vor, ihre Tochter nennt sie einmal „Vater“. Was sei der Kontext, wie stehe der Filmemacher selbst dazu? Cilins weist auf Divas Humor hin. Sie reagiert jeweils witzig auf solche Kommentare und macht eine Comedy daraus. Jemand anders will wissen, ob Divas zahlreiches Publikum nicht auch teilweise aus Faszination an ihrem Wesen zu ihr ströme, ohne ihre Identität zu respektieren. Cilins verweist einerseits auf die vietnamesische Tradition der Bingo Shows, die jeweils von Transmenschen moderiert und von Familien besucht werden. Andererseits sei Divas Nudelladen dadurch, dass sie selbst alles filme, selbst eine Art Show, der das Publikum nicht zur zuschaue, sondern Teil davon werde.
Nach Mitternacht schliesst sich das Zoom-Fenster unerwarteterweise und das Ende des Gesprächs wird bereits ausgerufen. Doch plötzlich erklingt Cilins Stimme aus dem Off, nach einigem Rätseln und Lachen findet sich auch das Video wieder. Zwei weitere Fragen werden noch beantwortet, bevor auch dieser surreale Abend zu später Stunde ein Ende findet.