Film

Sonne unter Tage
von Alex Gerbaulet, Mareike Bernien
DE 2022 | 39 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 46
10.11.2022

Diskussion
Podium: Alex Gerbaulet, Mareike Bernien
Moderation: Therese Koppe
Protokoll: Mark Stöhr

Synopse

Erst Kurgebiet, dann Abbaugebiet, später Sanierungsgebiet. Von 1946 bis 1990 baute die Wismut in Sachsen und Thüringen Uran für das Atomwaffenprogramm der Sowjetunion ab. Unten strahlte das radioaktive Gestein, oben die sozialistische Zukunft. Eine neue Forschung beleuchtet die Geschichte der Wismut und ihr toxisches Erbe. Eine Retrospektive des Radiums. „Wie lange dauert es, bis eine Erinnerung zerfällt?“

Protokoll

Die Reise eines Rohstoffs, von Pechblende zu Radium zu Wismut. Variationen seiner Verwendung: als Schmuck, Heilmittel, Bombe. Und seine Wiederkehr – als Lungenkarzinom, radioaktive Wolke, Brennstab und strahlendes Sediment unter den Halden der Abbaugebiete. Mareike Bernien und Alex Gerbaulet recherchieren und kartografieren in ihrem Film einen Transformationsprozess, der nicht endet. Bei Uran, schreiben die beiden Filmemacherinnen im Filmwoche-Katalog, habe man es mit einer Zeitlichkeit zu tun, die „weit über das menschliche Maß hinausgeht und auf die Unabschließbarkeit des Atomzeitalters verweist“.
Auf dem Podium präsentierten sie sich als „ostwestdeutsches Team“. Mareike Bernien ist in der DDR geboren, ein Großonkel von ihr arbeitete in der Wismut. Einige Pfarrer, mit denen sie in ihrer Kindheit zu tun hatte, waren in der Umweltbewegung engagiert. Alex Gerbaulet hat 2015 in ihrem preisgekrönten Kurzfilm „Schicht“ eine Archäologie ihrer Herkunft vorgelegt. Ihr Vater arbeitete bei der Salzgitter AG. Ein Konglomerat unterschiedlicher Biografien und Sozialisationen, die in dem Projekt zusammengefunden haben.
Die Wismut habe ihr Wirken und ihre Werte immer versucht, geheim zu halten, sagt Bernien. Daher hätten sie in „Sonne unter Tage“ das Licht weggenommen, vor allem im Dunkeln gedreht. Einige der wenigen Ausnahmen sind die mit einem Infrarotfilter gedrehten Tagesaufnahmen. Ein Verfahren, das, wie Alex Gerbaulet erzählt, in der Forstwirtschaft angewandt würde, um Baumschäden zu identifizieren. Diese weiß fluoreszierenden, wie mit Raureif überzogenen Ansichten legten etwas Unheimliches über die Landschaft, findet Therese Koppe. Gerbaulet stimmt nur eingeschränkt zu. Sie zeigten einen „Ort des Unheimlichen“, ja, mehr noch aber einen „Ort des Widerstands“. „Unsere Idee war es nicht, alles zu verunheimlichen. Uns ging es darum, auf den Aktionsraum hinzuweisen, der sich für die Umweltbewegung unter dem Deckmantel der Nacht eröffnet hatte. Der Film vollzieht dieses Ringen um Wissen, um Sichtbarmachung nach.“

Quellen waren Archive der DDR-Opposition, aber auch der Wismut selbst. Darunter: 100 Werbefilme. „Nur in dreien von ihnen fällt der Begriff ‘Uran’, ansonsten ist immer nur von ‘Erzen’ die Rede.“ Auch der Boden sei von ihnen als Archiv begriffen worden. Bernien: „Unsere Frage war: Wie ist Geschichte in ihm sedimentiert?“ Die übergeordnete Perspektive sei neben der Rolle der Umweltbewegung die der Frauen gewesen, als Aktivistinnen wie als Arbeiterinnen. „Viele von ihnen“, sagt Bernien, „waren unter Tage beschäftigt.“ Aus freien Stücken oder weil sie vor die Wahl gestellt wurden: Mine oder Gefängnis.
Therese Koppe fragt nach den Sprecher:innen, die ihr wie ein Chor erschienen, als eine Art „Suche nach dem kollektiven Gedächtnis“. Grundlage dieser Texte seien Gespräche mit Aktivist:innen, Anwohner:innen und Arbeiter:innen gewesen, erzählt Mareike Bernien. „Es spricht ein mäanderndes Ich, das wie die Körper in der Nacht nicht eindeutig identifizierbar sei. Uns ging es darum, ein Netzwerk zu spannen, nicht, die Geschichte einer einzige Person zu erzählen.“ Mit dieser Mehrstimmigkeit, ergänzt Alex Gerbaulet, wollten sie eine Kollektiverfahrung aller Beteiligten abbilden, aber auch an sich selbst als Regisseurinnen anknüpfen, als Alter Egos aus dem Off. Die Textproduktion bezeichnet sie als „verschränkte Autorenschaft“. Viele poetische Anteile seien direkt aus den Interviews gekommen, da sie in den Gesprächen immer wieder explizit nach Bildern und Beschreibungen gefragt hätten. „Dieses Material verschmolzen wir im gemeinsamen Schreibprozess, wo wir viel mit Verkettungen von Assoziationen gearbeitet haben.“
Eine Diskutantin aus dem Publikum kritisiert die Ästhetisierung im Film. „Dadurch“, findet sie, „wird das Schreckliche mystifiziert.“ Gerbaulet kontert mit einem „mystischen Überschuss“, der in der ostdeutschen Uranregion existierte. Sie und Bernien waren von 2020 bis 2021 Stipendiatinnen des Berliner Förderprogramms Künstlerische Forschung und untersuchten in ihrem Projekt „Ghostly Extractions“ die mythische Figur des Springteufels. In den 1960er-Jahren sei immer wieder von Geistererscheinungen berichtet worden, leuchtende Körper in der Landschaft.

Solche grell leuchtenden Gestalten fluoreszieren auch durch den Film, als Sichtbarmachungen der Radioaktivität, die ungebrochen in den Erinnerungen und Erdschichten strahlt.