Film

Eigentlich eigentlich Januar
von Jan Peters
DE 2022 | 100 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 46
11.11.2022

Diskussion
Podium: Jan Peters
Moderation: Dominik Kamalzadeh
Protokoll: Johanna-Yasirra Kluhs

Synopse

Der neue Film beginnt dort, wo der letzte aufgehört hat: im Hubschrauber. „Als wäre ich 20 Jahre nur geflogen.“ Atemlose Selbst- und Bildbespiegelung in unvermittelten Cuts: mit den Kindern in den Bergen wie Nanuk, leere Litfasssäulen und Walter Benjamin, Unsterblichkeit für alle. Das Filmmaterial blitzt und flackert, wehrt sich gegen Belichtung, zuweilen gegen Bedeutung. Jan Peters sammelt die Zeit ein.

Protokoll

Dass man ja eigentlich den Film schon hätte protokollieren können. Oder war der selbst ein Protokoll? Und dass wir eigentlich ja schon sehr lange zugehört haben jetzt, nach 31 Super8-Clips, die nahtlos hintereinandergeschaltet (ok, es gibt so etwas wie kleine Sehpausen, zumindest von dokumentarischen Bildern, wenn am Ende jedes Clips nur noch der Film übrig bleibt), und durchgehend von gesprochenem Text ohne Atempausen begleitet waren. Dass der nächste Film eigentlich gleich losgeht, aber die Diskussionszeit trotzdem eingehalten werden soll. Dass dieses Mal eigentlich alle von Anfang an mitreden dürfen, weil doch alle was zu sagen haben nach so viel Zuhören, aber der Moderator trotzdem mit seiner persönlichen Vorgeschichte mit Jans Tagebuchfilmen anfangen will, weil er schon 98/99

November 1-31

Dezember 1-31

gesehen hat und total interessant fand.

Und er das Gefühl hatte beim Sehen, dass dieser neue Film das Prinzip des Regelbruchs irgendwie von Anfang an einführt. Weil eben keine Zeit war zum jeden Tag filmen. Ob das ihm wohl einfach passiert wäre oder das absichtlich altersgemäß gewesen sei? Dass es eigentlich schon bei November 1-31 und Dezember 1-31 nicht der Fall gewesen sei, antwortet Jan. Und dass man das auch spätestens in Dezember 1-31 schon sehen könne. Aber es stimme schon. Mit der Lektüre von „Navid Kermani: Dein Name“ wäre die Idee, dass die verschiedenen Titelversionen Teil des Films seien, in diesem Fall von Anfang Teil des Plans gewesen.

Was war denn nochmal dieser Kermani-Gedanke? Ich wühle in den Notizen, die ich mir beim Screening gemacht hatte. War es

„Geschichte zerfällt in Bilder

der Müll ist unsere Geschichte“

 

oder

 

„Don Quixote

Geschichten

Alles bricht ohne Ende ab,

Alles fängt ohne Ende an

Dass etwas ohne Ende abbricht“

 

oder

 

„Das Ende aller Dinge ankündigen

aber an der Liebe festhalten

wollen“

?

Jedenfalls sei der Auslöser für diesen späten dritten Tagebuchfilm eigentlich gewesen, dass er aufräumen wollte. Das Material loswerden. Einmal alles sortieren, irgendwo einbauen und dann alles weg. So habe das angefangen mit den Lost photos (private Fotos, die er über Jahre auf den Straßen Berlins und sonstwo gesammelt hat), Briefen (von Freund:innen etc.), und so weiter. Er habe gedacht, er könne sich erleichtern, wenn er das einfach alles in EIN PROJEKT einbaue. Das stimmte dann nicht. Das meiste sei noch in seinem Atelier und er habe schon wieder tausend Ideen, was man daraus auch noch machen könnte. Die Jugend fotografiert-Fotos (er hat mal zufällig alle Einreichungen – vielleicht nur die abgelehnten? – von dem Foto-Wettbewerb eines Jahres in einem Trödel gefunden) zum Beispiel.

Geklappt, allerdings eigentlich nicht so geplant, habe dieses Vorhaben allerdings im Fall des privaten Familienfotoarchivs, dem seiner Eltern. Von langer Hand geplant hatte er, dieses Album irgendwie zu thematisieren. (Da gab es diese Foto-Alben, wo der Großvater, ein Marine-Soldat, zusammen mit Adolf Hitler abgelichtet ist und so einige andere Beweise der aktiven Verstrickung der Familie in das NS-Regime. Allerdings klebte in dem Album auch eine Entnazifizierungs-Urkunde. Also alles nicht so doll integriert in das Selbstverständnis.) Jedenfalls habe man das vor dem Fall mal zusammen durchgesehen, gesprochen, fast gestritten. Und er habe noch mal darüber reden wollen, solange es mit den alternden Eltern noch möglich sei. Es ist ein spektakulärer Leak passiert an dem Abend der Aufnahme (nämlich dass sein Vater ein unscharfes Foto, das auf einem Bild an der Wohnzimmerwand hängt als genau dieses Foto vom Opa mit Hitler enttarnt hat), der Vater sei schnell müde geworden, aber die Mutter noch bis nachts alle Bilder mit ihm durchgegangen und habe eigene Spuren nachverfolgt. Eins nach dem anderen habe sie auf den Tisch gelegt. Jan habe alles auf einer Super8-Rolle aufgenommen. Im Grunde die Idee des Mikrofilms. Später habe er dann erfahren, dass sein Vater danach einfach alles weggeschmissen habe. Jan fand das erst sehr schlimm. Und dann sei ihm klar geworden: Es war die richtige Lösung, die er für sich gefunden hat. Sein Vater ist etwas losgeworden und er hatte es auf der Rolle für DAS PROJEKT.

Q&A

Hier wirkt es jetzt sehr lückenlos, aber in echt gab es viele Pausen, weil: Jan Peters denkt nach. Und die Reihenfolge war auch ganz anders.

Du hast vor dem Film so etwas gesagt, wie: „Wir entwickeln den Film jetzt zusammen.“ Was meintest du damit?

Ein Film ist erst da, wenn man ihn zum ersten Mal mit Leuten gesehen hat. Beim Diafilm wird so entwickelt: Negativ, dann Farbe. Aber du kannst dann noch nicht durchgucken, es ist noch dicht. Die Emulsion hat das Bild entwickelt, aber die nicht-entwickelten Partikel sind noch drauf. Die müssen abgespült werden. Da passiert dann das Bleichen und Fixieren gleichzeitig. Und das ist für mich der Vorgang der Film-Premiere.

Wie viel ist vorstrukturiert, wie viel ist von einer spontanen Eingebung geleitet?

Der Film ist komplett vorstrukturiert. Es gibt 31 Rollen. Und das wirkt so, als ob jeder Clip eine einzeln Rolle wäre. Und jede reißt am Ende ab. Dann gibt’s auch noch Schnitt- und Tonregeln, aber das führt zu weit. Es gibt Themenkomplexe, dann werden die Rollen dazu verteilt. Wir haben nicht in der Reihenfolge des Erscheinens gedreht. Ist ja eh klar, dass der Hauptunterschied vom Dokumentarfilm zum inszenierten Film das Budget ist. Dieser Film ist eine Erzählung, die mein Leben sein könnte.

Und das Spiel mit den selbst aufgestellten Regeln, wie geht das genau?

Man projiziert sich irgendwas an. Es gibt eine Regel, einen Rahmen, eine Grundvoraussetzung. Und dann lässt man das Material sich darin entwickeln. Also, man stellt Regeln auf und findet dann Wege, sich drumherum zu drücken. Daraus entsteht Form. In diesem Fall: Vermeintlich (das wird auch wirklich im Film so gesagt) ist jeder Clip 3 Minuten lang, eine Rolle eben. In echt ist aber der kürzeste Clip 2 Minuten und der längste fast 5.

Es sind sehr viele Bilder, die in den drei (= 2-5) Minuten erscheinen, aber noch mehr Text. Wie ist der Text entstanden?

Ich mache ständig während des Arbeitsprozess Notizen. Und als Marie-Catherine für drei Monate nach Saudi-Arabien gegangen ist in der Entstehungszeit des Films, da mussten wir uns schreiben. Ganz viel Text ist da entstanden. Zum Beispiel: „Gehen, denken und dafür dankbar sein.“ Das steht dann irgendwo und dann taucht das später wieder auf. Wenn eine Rolle klar ist, dann montiere ich den Text. Und dann gehe ich in die Dusche mit zwei Matratzen, spreche den ein und dann gehe ich wieder an den Schneidetisch. Die Sprechgeschwindigkeit kommt, weil das so wirken soll, als ob das auf der Rolle liegt. Alle Atmer und Lücken werden rausgenommen. Das steigert die Sprechgeschwindigkeit. Dann passt mal was nicht zur Rolle. Dann schmeiße ich Passagen oder einzelne Worte raus. Manchmal muss ich auch neu aufnehmen.

Das Sprechen hat ja eine Doppelform: So eine Direct-speech- und eine Flüsterfußnoten-Qualität. Das hast du zum ersten Mal so gemacht, oder?

Ja, das war für mich das Riskanteste. Ich war mir bis zum Schluss nicht sicher damit. Pit Przygodda, mit dem ich ganz intensiv am Ton gearbeitet habe, meinte: „Wenn du es am Schluss nicht aufgelöst hättest (es wird irgendwann kommentiert, dass es das gibt und dass es eigentlich nicht mehr nötig ist, jetzt, wo man es gesagt hat), hätte ich es dir ausgeredet.“ Und es gibt ja auch noch andere Arbeit am Sound: Zum Beispiel haben wir einen Silhouetten-Synthesizer benutzt, der aus Licht Töne macht. Das war die Fläche, auf die der Text gesetzt wurde. Ich war sehr fasziniert von den Tagebuchfilmen von Anne Charlotte Robertson, zum Beispiel „Five-Year Diary“. Die spricht teilweise mit drei Stimmen. Ich wollte damit aber auch Hinweise geben, dass der vermeintliche flow of thought auch total getextet ist. Dass der Text aus der Post-Produktionszeit kommt.

Die Textur der Bilder ist großartig. Wie so ein Palimpsest. Man sieht Schichten, die sich auf den Bildern bilden. Zum Beispiel das Tati-Degrading (es gibt eine Rolle, die vom Aufhängen eines Tati-Posters im Haushalt handelt und in einem eigenartigen Rot-Ton gefärbt ist). Die historische Spur wird am Material selbst manifest. Habt ihr nur unterschiedliche Filme oder auch unterschiedliche Kameras verwendet?

Seit langen Jahren werden bei mir die Kameras gehortet. Ich stehe im Austausch mit anderen Leuten, bin auch Mitglied bei LaborBerlin. Welcher Film passt in welche Kamera? Wie kriege ich das entwickelt? Muss es E6 sein? Lohnt es sich, das neu kaufen, um nur noch eine letzte Rolle zu entwickeln? Oder könnte man etwas anderes verwenden – und was würde das für einen Effekt ergeben? Es ist ja auch sehr teuer und zudem schade für die Umwelt mit dem E6. Das ist alles Teil der Konstruktionsüberlegungen. Was spricht wie miteinander? Tati, „Playtime“, Technicolor. Und was daraus geworden ist.

Wie hast du die Zwischen- und Endtitel gemacht: Sind die eingeritzt oder ist das digital draufgesetzt? Und soll das so bleiben, dass alle Beteiligten durch ihre Unterschrift genannt werden? Man kann die ja gar nicht lesen.

Das Prinzip der Unterschrift ist klar. Die Leute entscheiden selbst, wie sie sichtbar sein wollen. Ich habe allen die Wahl gelassen und Viele haben sich für unleserlich entschieden. (Für die, die’s wissen wollen: https://24fs.org) Dann sind aber auch noch bei der DCP-Produktion die beiden Abspanne aus Versehen hintereinander gesetzt worden. Ich habe gesagt: „Ok, wir machen einen digitalen Abspann.“ Dann gab es Übersetzungsprobleme mit einem Macprogramm – und plötzlich tauchen Pixel auf. Ich war geschockt! Ich hatte überlegt, ob ich am Ende in die Vorführkabine gehe und die Hand davor halte. Nikola Debik, mit dem ich an der Farbe gearbeitet habe, und der vom Digitalen kommt, hat dann gesagt: „Es ist ungerecht, wie du beim Analogen auf Neues abfährst und wenn das Digitale was Eigenes macht, bist du dagegen.“

Du hast ja eigentlich einen Influencer-Film im Social-Media-Style gemacht. Du dokumentierst dich und deinen Alltag.

Ich habe kaum ein Verhältnis zu Social Media. Es ist mir zu anstrengend.

(Vorher hat mal jemand seine Frage eingeleitet mit. „Fantastischer Film! Ich frage mich: Ist er vor allem für ältere Männer faszinierend? Was denken die Jungen?“ Vor der Tür meldet sich dann noch ein Jüngerer zu Wort – siehe unten.)

Apropos anstrengend: Ich war ermüdet. Man ist einer Bilderflut ausgesetzt über 100 Minuten und der Text ist sehr anspruchsvoll. Ist dieses eins nach dem anderen die einzige mögliche Form? Könntest du dir vorstellen, dass in Miniaturen zu zeigen, zum Beispiel in einer Ausstellung?

Wir haben das bei Corona mal in einem Buttermilch-Projektionsfenster gemacht: Einen Tag pro Tag. Das geht. Und du sagst: Du bist ermüdet. Total ok! Es gibt ja alle drei Minuten ein Ende. Kannst ja auch mal Pause machen und in die nächste Miniatur einsteigen?

Die einzige Ruhepause ist ja am letzten Tag. Warum gibt’s denn sonst keine Stille?

Es gibt auch andere kleine! Wir haben viel rumprobiert. Dieses Sprechen sollte so ein Klopf-Rhythmus sein. Weil wenn ich viel mit Lücken arbeiten würde, dann würde der Text wichtiger werden. So ist es der Versuch, zu zeigen: Das ist auch nur eine Sache.

Und dann meldet sich MC – ja die Dramaturgin MC, Marie-Catherine (Theiler). Und sie lacht ein bisschen und ist bestimmt und dreht ihren Kopf beim Sprechen zum Saal hinter sich und sagt, dass sie den Film nun natürlich schon sehr oft gesehen habe. Und dass der Text eine Überforderung sein wolle. Und eben die Aufforderung dazu, den Film noch mal zu sehen und was anderes zu entdecken.

Und Jan flüstert: „Könnte man eigentlich zum Schlusswort machen.“

Und so ist es dann. Und wir haben wir die Zeit bis zum nächsten Film doch fast eingehalten.

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Und nach dem Gespräch stehen wir draußen und ich sage, ich kenne den Film „Nanook (of the North)“ nicht, aber dass ich mich gefragt habe, was es ist. Und Jan spricht ganz engagiert. Dass er ein exotistischer Filmschlager im Paris der 20er gewesen sei und eben klar die Geburtsstunde des Dokumentarfilms. Und dass der Regisseur Robert J. Flaherty mit einer Inuit verheiratet gewesen sei und es deswegen eben nicht klar sei, von wo aus er genau geschaut habe. Und dass aber klar sei, dass er eine Kultur vor dem Vergessenwerden gerettet habe, auch wenn er das Dach des Iglus abgesägt hat ohne dass man es sehen konnte, um ein besseres Bild von drinnen zu bekommen. Und klar, man könne das in diese postkolonialen Debatten einordnen… Und ich sage: Ja genau, dieser Exotismus und meinetwegen auch die postkoloniale Debatte, und dass ich mich wundere, dass niemand diese offenkundige Kontroverse eröffnet hat. Aber auch, dass ich mich frage, was heißt es denn ein Tagebuch, oder auch eine Autofiktion mit so einem Zitat der Veranderung, oder überhaupt eben einer Veranderung zu beginnen? Und dass das doch interessant ist. Dass man erstmal mit dem, was man spielt zu sein, anfängt und überhaupt, dass der Film doch auch ganz stark eine Art Selbstexotisierung als Künstler sei, mit all den Klischees, mit denen er sich da ausstellt. Und dann wird mit anderen Leuten, die da stehen, ganz viel darüber gesprochen, wann genau am Tag man die To do-Listen von einem Tag auf den anderen überträgt (das kommt nämlich auch im Film vor) und wann man sie dann abarbeitet und ob man das Yoga nennen kann. Und ob der Film nicht eigentlich für junge Leute besser funktioniert, weil sie so ein schnelles und einfach abbrechendes Erzählen gewohnt sind. Und wie der junge Verwandte von Jan eher verhalten nickt, aber sagt: Die Schnelligkeit sei wirklich einfach gewesen. Und Jan sagt: „Ich finde es ganz toll, dass du gekommen bist.“ Und ich träume weg und denke an die Stimme von Jan im Film und dass sie so beherrschend war und mich genervt hat wegen Maskulinität und deren selbstverständlicher Raumgreiferei. Und dann fallen mir aber diese Momente ein, wo andere auch zu hören waren, was nie im Vordergrund passiert ist, aber eben doch passiert. Und ich halte Jan noch mal auf und sage ihm das. Und dann sprudelt er so los, dass mindestens die Hälfte der Arbeit am Sound bestanden hätte und dass man darüber ganz lange reden könnte. Wann ein Fußball oder eine Tür zu hören sei.

(Und am Ende kommt doch noch ein 1:1-Protokoll aus dem Film, auch wenn es ziemlich am Anfang stand:)

„Ein Rhythmus ist keine

Wiederholung.

Ein Rhythmus ist eine Erneuerung

auf eine andere Weise.“