Film

Drei Frauen
von Maksym Melnyk
DE 2022 | 85 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 46
12.11.2022

Diskussion
Podium: Maksym Melnyk
Moderation: Serpil Turhan
Protokoll: Noemi Ehrat

Synopse

An einem Ort, wo die Briefmarken immer aus sind, im ukrainischen Teil der Karpaten. Eine Postbeamtin verteilt die Rente an der Haustür. Eine Biologin erforscht den losen Auspuff ihres Autos. Und eine Witwe ist die traurigste Frau der Welt. Horoskope, Schnaps und ein veganer Kameramann. Die Besucher aus Deutschland bringen eine andere Welt mit. „Es ist lange her, dass ich gelacht habe.“

Protokoll

Der Film „Drei Frauen“ von Maksym Melnyk lotet Grenzen in verschiedener Hinsicht aus. Da ist die geographische Lage, wo der Film verortet ist: im Dorf Stuschyzja in den ukrainischen Karpaten, umgeben von Polen, Ungarn und der Slowakei. Im Voice-Over zu Beginn des Films sagt Melnyk, er habe vom Dorf gehört und wollte wissen, wer da lebt. In Stuschyzja treffen wir Bäuerin Hanna, Postbotin Maria und Biologin Nelya. Hanna sagt, sie wolle nicht gefilmt werden, läuft weg. Etwas später treffen wir sie auf einer Bergwiese wieder, sie benennt die umliegenden Länder. Doch für die Ukraine fehlt ihr surrealerweise die Orientierung, wie Melnyk im Gespräch mit Serpil Turhan sagt. Damit ist das Thema Grenzen schnell politisch.

Doch Melnyk bleibt trotz Hannas abweisender Haltung beharrlich und filmt weiter, trifft sie immer wieder. Auch Maria und Nelya begleitet er bei der Arbeit, Maria sagt sogar, „man sollte einen Film über das aussterbende Dorf machen“. Denn im Dorf, dessen Name „kalter Ort“ bedeutet, stehen viele Häuser leer. Männer sind fast keine zu sehen. Wenn sie im Film vorkommen, dann als Autos segnende Priester oder Betrunkene mit einer Kettensäge. Als die Dorfgemeinschaft den Präsidenten wählt – es ist 2019 und sie fragen sich, ob ihnen ein Komiker helfen können wird – bemerken sie, dass die Wahlkommission nur aus Frauen bestehe. „Was sonst, hier herrscht ein Männermangel“, lautet die lakonische Antwort.

Dabei begleitet Melnyk seine Protagonistinnen nicht bloss distanziert. Im Gegenteil. Im Laufe des Films erscheint er selbst immer öfters vor der Kamera, wie auch Kameramann Florian Baumgarten, von Hanna nur der „Deutsche“ genannt (sein Name sei zu kompliziert gewesen zum Aussprechen). Es ist diese Betrachtung der Entwicklung der Beziehung der Filmemacher zu ihren Protagonistinnen, die immer mehr in den Fokus rückt und den Film auszeichnet. Mit Nelya suchen Baumgarten und Melnyk in Höhlen nach Fledermauskot, mit Maria sind sie auf Postbotengang und kommen beschwipst zurück, was im Kino für Lacher sorgt.

Bäuerin Hanna spielt dabei eine besondere Rolle. Vom nicht gefilmt werden wollen verändert sich ihre Beziehung zu den „Jungs“, wie sie einmal sagt, immer weiter. Sie schneidet Baumgarten die Haare, kocht für die beiden, fragt Melnyk nach seinem verstorbenen Vater. Schlussendlich sagt sie, sie möge die beiden so, „wie eine Mutter ihre Söhne mag“. Melnyk wiederum schenkt ihr ein Ferkel und die Filmemacher feiern mit ihr Weihnachten.

Die Idee des Films als Porträt dreier Frauen stammt übrigens von einer Freundin Melnyks. Nachdem er sie in die Region, auch der er selbst stammt, eingeladen hatte, fragte sie ihn, warum er nicht einen Film über drei Frauen mache. Erst hatte er unabhängig voneinander mit Forscherin Nelya und und Beamtin Maria Kontakt, weil er als Journalist für eine Geschichte recherchierte. Dann fand er eine dritte Hauptfigur, die vor Drehbeginn starb. Als er verzweifelt unterwegs war, sah er per Zufall Hanna vom Berg herunterkommen mit ihren Kühen. Er wollte ihr Milch abkaufen, sie sagte, „dir verkaufe ich nichts“. Und er hatte seine fehlende dritte Protagonistin gefunden.

Im Gespräch will Serpil Turhan wissen, wie Melnyk das Vertrauen der Frauen gewinnen konnte. „Man muss manchmal frech sein“, antwortet dieser. Das Spielen mit Grenzen habe sie den ganzen Film lang begleitet. Irgendwann hatte er tatsächlich das Gefühl, diese Grenze überschritten zu haben, sagt er weiter. Dem Kameramann habe er dies aber nicht gesagt. Die Grenze überschritten zu haben bedeutet in diesem Kontext für Melnyk, dass es für ihn ab einem gewissen Zeitpunkt wichtiger war, im Dorf zu sein und Zeit mit den Frauen zu verbringen, als den Film zu drehen. Die Kamera sei dabei zum Mittel geworden, um immer wieder zurückzukehren.

Turhan hakt nach, ob dadurch nicht auch eine Ambivalenz entstanden sei. Schliesslich hätten sie das Dorf am Ende des Drehs verlassen müssen. Und sie seien in einer privilegierten Position, wie etwa durch das Schenken des Ferkels verdeutlicht wurde. Eine Person aus dem Publikum geht sogar weiter und fragt, ob Melnyk kein schlechtes Gewissen gehabt hätte, nach Deutschland zurückzukehren. „Ich bin noch in Kontakt“, stellt Melnyk gleich klar. Zudem sei Hanna eine pragmatische Frau. Der Abschied sei wohl auch für sie schmerzhaft gewesen. Doch während er in Berlin erst mal krank wurde und wochenlang karpatische Musik hörte, habe sie die Arbeit und die Tiere, die sie beschäftigen würden.

Das den Kino- und Diskussionssaal füllende Publikum gibt durchweg positive Rückmeldungen zum Film – „toll, wie sich die Filmschaffenden eingebracht haben“ –, und will dann mehr über diese Entscheidung gegen eine distanzierte, beobachtende Rolle erfahren. Noch im Schnitt habe er gedacht, dass er sich vielleicht nicht reinnehme, sagt Melnyk. „Das war ein verzweifelter Versuch, Kunst zu machen, aber Blödsinn.“ Zwar sollen weiterhin die drei Frauen im Vordergrund stehen. Doch Hanna etwa brauche einen Sparring Partner. Und nach dem ersten, eher beobachtenden Dreh habe sein Betreuer von der Filmuniversität Babelsberg, Konrad Wolf gesagt, Melnyk fehle.

Ebenfalls für Fragen sorgt die einzige Szene, in der nur Männer vorkommen. Darin werkeln sie betrunken mit einer Kettensäge herum. War die Szene nicht unnötig? Das habe er sich auch gefragt, so Melnyk. „Aber ich denke, dass man diese Stelle braucht, weil man auch die Männer irgendwie erzählen muss, die ja schon da sind.“ In Berlin habe ein Freund kritisiert, dass die Männer so klischeehafte Männer seien. „Entschuldigung, was erwartest du von Männern da?“ Auch hier hakt Turhan nochmals nach: „Du entscheidest dich, die Männer wenig zu zeigen und dann gibt es ausgerechnet diese Szene.“ Melnyk will seinen Punkt bekräftigen, die Männer gehörten so halt zum Dorfbild. Während die Witwen im Dorf zusammenhielten, würden die Witwer kaputtgehen.

Turhan spricht zum Schluss noch den Zeitpunkt der Postproduktion an, zu der der Krieg in der Ukraine ausgebrochen war. „Es war schwierig, nach einer Pause wieder zum Schnitt zurückzukommen“, bestätigt Melnyk. Er habe sich gefragt, ob es überhaupt Sinn mache; wozu er den Film mache. Doch seine Mutter habe gesagt, sie müssten zeigen, dass „wir Menschen sind, nicht nur Opfer des Krieges“. Dies ist Melnyk in seinem vielschichtigen Porträt seiner drei Protagonistinnen und ihres Dorfes rundum gelungen – sein „Frech sein“ und Ausloten von Grenzen, auch in Bezug auf sich als Figur des Filmemachers, hat sich gelohnt.

 Foto: Simon Bierwald
Foto: Simon Bierwald