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Das Bild in der Hand. Dokumentarische Zugänge zum Bildregime Social Media

Duisburger Filmwoche 46
10.11.2022

Podium: Andreas Bolm, Yana Höhnerbach
Moderation: Hannah Pilarczyk
Protokoll: Marius Hrdy

Schon immer war die Medienkompetenz von Protagonist:innen eine Herausforderung dokumentarischen Arbeitens – durch die Omnipräsenz und Demokratisierung der Bilder in den Sozialen Medien hat sie eine neue Qualität erreicht. Wie gehen Dokumentarfilmer:innen damit um? Wie und wie so jemanden porträtieren, die bereits eigenständig ein Bild von sich in die Welt sendet? Welches Potenzial liegt in der vermeintlichen Konkurrenz der Bildregime? Ein Gespräch über die Verschiebungen dessen, wer sich ein Bild macht und wer eines entwirft.

Protokoll

Nach einleitenden Worten von 3sat-Redakteur Udo Bremer und Alexander Scholz nehmen Filmemacher Andreas Bolm (Mein letztes Video) und Filmeditorin Yana Höhnerbach (Searching Eva) gemeinsam mit Moderatorin Hannah Pilarczyk Platz auf dem Podium.

Zum Aperitif wird ein Ausschnitt aus „Mein letztes Video“ (Andreas Bolm 2017) gezeigt, in dem wir den Youtuber Anton sehen, der über sich selbst erzählt: „Ich will Regisseur werden“.

Pilarczyk dann zu Bolm: „Wie begegnet man einen Protagonisten der eigentlich schon Regisseur ist?“ Bolm war bis zu einem gewissen Grad eher neugierig an Anton. Er hat sich sehr viel mit Fiktion und Inszenierung von Social Media auseinandergesetzt. Anton ist Profi in dieser Selbstdarstellung. „In welchen Momenten hat Anton kontrolliert?“ will Pilarczyk wissen. Bolm: „In allen.“ Manchmal hat er versucht ihn ein bisschen aufs Glatteis zu führen.

Anton sagte „man kann alles machen, man muss es nur wollen“. Sie wollten das hinterfragen im Konzept, aber es ging sich nicht aus. Man hätte sich auch eine Schauspielrolle für ihn ausdenken können, er war dafür bereit gewesen.

Der Fokus schwenkt dann zu einem weiteren Ausschnitt, diesmal aus „Searching Eva“ (Pia Hellenthal 2019). Wir sehen eine Szene in der Eva nackt vor dem Badspiegel eines Hotelzimmers stehend Posen einnimmt und sich mit dem Mobiltelefon photographiert. Sie hat gerade zuvor zum ersten Mal Sexarbeit geleistet. Ein Textinsert sagt weiß auf schwarzem Grund: „Mehr Selfies bitte“. In der nächsten Szene läuft sie über eine Brücke, die Kamera ihr hinterherfolgend.

Auf die Frage nach der ersten Begegnung mit Eva gesteht Höhnerbach, dass sie Eva zuerst eher als oberflächlich wahrnahm und sie mit diesem Gedanken an das Schnittmaterial ging. Wohl hat sie das Phänomen Eva interessiert und das Potenzial von Social Media, eine Identität zu dekonstruieren. Sie hat sich sehr bald in ihren Vorurteilen erwischt gefühlt. Es gab das riesige Textmaterial vom Blog das dann im Film als Voice Over und mit den Performance Shots, wo Eva im Bild ist, Ausdruck findet.

Für Pilarczyk ist diese Szene ein Doppelselfie zwischen Eva im Kamerabild durch den Spiegel und dem Selfie, dass sie gleichzeitig mit ihrem Mobiltelefon für ihre Follower macht. Pilarczyk kommt auf die abgebildeten Texteinträge von Evas Followern zu sprechen: „Warum mussten diese Schriften rein?“ Für Höhnerbach bedient Eva mit diesem Selfie ihre Follower und mit der Reaktion des anonymen Kommentars darauf wird eine Art erweiterte Resonanz zwischen Follower-Ebene und Filmteam hergestellt.

Wir sehen jetzt einen Ausschnitt von „Mein letztes Video“, in dem Anton seinen Karrierewechsel in Hollywood anstrebt. Als er diese Entscheidung für seine Follower auf einer Wohnungsterrasse aufzeichnet, filmt das Filmteam ihn. Man hört Hubschrauber und Polizeisirenen. Anton: „Von daher–Los Angeles wird gelebt.“

Pilarczyk sieht in dieser Einstellung ein pas de deux der zwei Kameras, wie sind Bolm und sein Team da vorgegangen?

Bolm erzählt, dass Anton zu diesem Zeitpunkt mit Youtube aufhören und Hollywood-Blockbuster-Regisseur werden wollte. Er fand diese Leidenschaft faszinierend „wie Anton in etwas Neues hineingeht.“ Mit langen Einstellungen und dem Mitgehen der Kamerabewegung Antons brachen die beiden Kameraästhetiken auf. Es entsteht im Film eine Spannung die konträr läuft zu dem was Anton macht, der sich in seinen Videos immer selbst inszeniert. Wie konnten sie sich da mit Antons ästhetischen Vorgaben arrangieren? – fragt Pilarczyk. Bolm sagt, Anton kannte ihren Kameramann schon und hatte Respekt vor dessen Kameraarbeit, also gab es keine Vorgaben. Sie haben zwar viele Interviews geführt, aber genau bei diesen Bewegungen konnte man mehr über Anton ergründen.

Wir sehen eine weitere Szene von „Searching Eva“. Nach dem Vollzug der Sexarbeit blickt Eva seitlich nackt auf dem Bett liegend in die Kamera, während sich im Hintergrund ein Mann anzieht und zuerst auf sich selbst, dann auf jemanden hinter der Kamera einzureden scheint. Dazu hämmert ein Hardcore Punk Lied auf der Tonebene. Evas intensives Starren macht das Publikum zum Komplizen. Sie schmunzelt am Ende.

Pilarczyk: Wie würde Höhnerbach ihr Verhältnis zu Eva bezeichnen— „ist es von Komplizenschaft geprägt?“ Höhnerbach stimmt ihr zu: „Komplizenschaft ja, aber nicht immer abgestimmt auf alle Entscheidungen, sondern eher als Tanz miteinander, mit dem Spaß zu beobachten.“

Pilarczyk: „Was hatten die Protagonist:innen für eine Idee von Dokumentarfilm?“

Bolm fängt an: Anton hat maximal Reportagen gesehen, aber seine Generation beschäftigt sich generell mit einem anderen Medium.

Höhnerbach: Bei Eva gab es etwas Angst davor sie würde durch den Film gänzlich beschrieben, definiert werden. Sie ist gegen fixe Identitäten, da hilft ihr Social Media, um andere Indentitäten anzunehmen.

Pilarczyk: „Hattet ihr deren Publikum versucht irgendwie zu begegnen?“

Höhnerbach: Für sie war das stattfinden von Social Media interessant um mehr über Eva zu erfahren, aber ihre Arbeitsweise hat sie nicht einer schnelleren Erzählweise für Social Media angepasst. Auch bei Bolm war ein hybrides Wesen –Dokumentarfilm x Social Media– nicht interessant. Für ihn war auch die Frage wichtiger, wie er mit Antons Material umgeht, um ihn erzählen zu können oder um ihn herum und weniger wie Anton selbst, so zielgerichtet ans Publikum.

Pilarczyk dann weiter: „Inwieweit kann man die Vorurteile von Social Media im Verhältnis zum Dokumentarfilm sehen?“

Höhnerbach: Ganz oft sieht man, dass man mit einem Vorurteil hineingeht. Haltung wird da oft mit Moral verwechselt. Das hat teilweise etwas mit der Zuspitzung zur Dramaturgie im Dokumentarfilm zu tun. „Wir sind als Filmemacher als Teil des Dreiecks: es gibt die, die Ankucken, die zurückkucken und dann noch das Publikum. Machen wir Filme über die Plattformen oder über die Personen selbst? Wir müssen nicht mehr so viele Filme über die Leute und ihre Reichweite machen. Ich komm halt mit meiner Kamera in eine Welt mit vielen Kameras, was bedeutet das dann denn? Was sagt das über uns?“

Die erste Publikumsfrage kommt von Udo Bremer. Die Vorbereitung von einem Social Media Video Inhalt geschieht schneller als von einem Dokumentarfilm, die Dauer spielt eine wichtige Rolle, wie lange halten wir einen Blick aus. Die Echtheit verschwimmt ja immer zwischen den Medien, „die Frage ist dann was ist denn authentisch?“

Bolm sieht das Spannungsfeld zwischen der Urheberschaft –der „Macht des eigenen Bildes und dem Machen des eigenen Bildes“ selbst. Höhnerbach spricht weiter „es findet ja alles gleichzeitig statt“. „Was ist dann echt und nicht echt?“ Was sie „ein bisschen langweilt“: „ich schau mir unser Dokumentarfilmkamerabild an und das gilt dann als das „echte Leben“ und dann mache Overlays zu machen mit Tiktok das sieht anders aus—natürlich tut es das.“

Eine andere Publikumsfrage gilt der Geschwindigkeit. In den letzten Tagen habe er in vielen Filmen im Filmwochen-Programm eine „entschleunigte Natur der Filme“ gesehen. Filme, die langsamer als seine Sehgewohnheiten sind. Wie sehen Bolm und Höhnerbach diese Beschleunigung und Entschleunigung, die Langsamkeit der Bilder? Bolm: „das ist nicht nur ein Phänomen von jetzt.“ Für Höhnerbach „kommt es darauf an, wo wir einen Film sehen.“ Natürlich lässt man sich anders auf Filme ein, je nachdem, ob sie im Kino oder daheim auf Netflix gesehen werden. „Die Form des Films muss immer für den Inhalt existieren.“

Noch eine Publikumsfrage interessiert sich für inszenatorische Elemente – etwas unglücklich ausgedrückt – mit dem was die Wirklichkeit „davor“ und was „hinter“ dem Film als Wirklichkeit parallel läuft. Ist es das Neue, dass die Protagonisten aus diesem Schema ausbrechen und offen inszenatorisch arbeiten?

Höhnerbach versteht dieses Sprechen über dieses „dahinter“ nicht – Inszenierung ist für sie ja immer wahrhaftig. Das Problem ist, dass im Dokumentarfilm viele oft versuchen zu verschweigen, dass die Protagonist:innen auch in beobachtenden Dokumentarfilmen natürlich immer angesprochen wurden und dass die Filmemacherpräsenz immer auch die Situation beeinflusst. Es gibt ja filmische Methoden Präsenz zu zeigen ohne als Filmemacher:in gleich selbst vor die Kamera zu treten. Generell gibt es kein dahinter, davor oder danach. Alles ist immer gleichzeitig.

Noch eine Publikumskommentar gilt der Inszenierung von Social Media: „Ihr seid ja auch Teil dieser Selbstinszenierung von Eva.“

Höhnerbach: „das sind mehrere Sachen. Wir haben bei dem Film überhaupt nicht über Social Media nachgedacht, wir haben eine Lust am Inszenieren gehabt.“ Sie haben einen Film über Identität und Identitätskonstruktion gemacht, aber nicht über Social Media. Für Höhnerbach geht es auch bei „Searching Eva“ (und für Eva selbst) darum, Sprechberechtigungen zu erkämpfen zu Themen, die man sonst nicht so erzählen darf, daher hatte der Film diese Reichweite. Eva suchte ein Sprechen ohne Einbettung in Diskursen. Sie nahm die Selbstdarstellung als politisches Instrument – ein selbstermächtigendes Verständnis von Social Media.

Udo Bremer erklärt vor Schluss, dass in Exposés von Dokumentarfilmemacher:innen selten das Zielpublikum erwähnt wird, Social Media aber in ihrer Essenz immer ein Zielpublikum mitdenkt. Einnahmen, Geld und Überleben hängen auch von den Followern ab. Diese, wie ich finde, essenzielle Frage der Materialität, die massiv die Inszenierung der Bildregime beeinflusst, blieb am Ende leider am Diskussionsrand hängen.

 Foto: Simon Bierwald
Foto: Simon Bierwald