Preisträger:innen
3sat-Dokumentarfilmpreis für den besten deutschsprachigen Dokumentarfilm
Weiße Raben – Alptraum Tschetschenien
von Johann Feindt, Tamara Trampe
Der Krieg in Tschetschenien dauert schon mehr als neun Jahre. Über diesen Krieg wird in Russland nicht viel gesprochen, er ist tabu. Aber in diesem Schweigen bricht er mit Macht in das zivile Leben ein. Weisse Raben werden die Soldaten genannt, die als Veteranen aus Tschetschenien zurückkommen und als Verlierer mit ihren Erfahrungen allein gelassen werden. Von den inneren und äußeren Zerstörungen dieser Menschen und von den zerstörerischen Auswirkungen auf die russische Gesellschaft erzählen Tamara Trampe und Johann Feindt. Sie erzählen von den Müttern, deren zerstörte Söhne bei ihnen entsorgt werden. Sie erzählen von den Männern, die die Täter sind und nicht selten zugleich selbst zu Opfern ihrer Tat werden. In diesen komplexen Beziehungen von Schuld, Sühne und Verantwortung verweigern die Autoren den Zuschauern die einfache Zuordnung. Weisse Raben ist ein hochkonzentrierter und vielschichtiger Film, perfekt in Rhythmus und Montage und von einer Eindringlichkeit, die im Zuschauer noch lange nachwirken wird.
ARTE-Dokumentarfilmpreis für den besten deutschsprachigen Dokumentarfilm
Between the Devil and the Wide Blue Sea
von Romuald Karmakar
In Between the Devil and the Wide Blue Sea beobachtet Romuald Karmakar mehrere Bühnenauftritte von Bands und DJs aus der elektronischen Musikszene, einem sonst im Dokumentarfilm vernachlässigten Bereich der Gegenwartskultur. Die konzeptuelle Strenge des Films – radikale Plansequenzen, ungeschnittene Einstellungen mit nur einer Kamera – setzt sich in Opposition zur üblichen visuellen Repräsentation von Musik in MTV-Clips, Konzertmitschnitten oder Bandporträts. Die offenkundige Faszination am Gegenstand selbst äußert sich in einer überbordenden Energie, die via Bild und Ton direkt den Körper der Zuschauer erreicht. Man glaubt sich im Club. Interessanterweise sitzt man im Kino. Die subtile Dramaturgie des rohen, kaum bearbeiteten Materials erlaubt es, sich mitten im Geschehen wieder zu finden und es zugleich von außen zu beobachten. Auf diese Weise eröffnet Karmakar in unerhörter Geistesgegenwart neue Räume für das Wahrnehmen von Musik im Kino und für bislang wenig genutzte Möglichkeiten des Dokumentarfilms.
Förderpreis der Stadt Duisburg
Slide Guitar Ride
von Bernd Schoch
Kinder der Schlafviertel
von Korinna Kraus, Janna Ji Wonders
Beide Filme visualisieren auf sehr unterschiedliche Weise ein Lebensgefühl, das sich in und mit Musik ausdrückt.
In Kinder der Schlafviertel wird Punkrock zum Ausdruck der Verweigerung für die Jugendlichen einer trostlosen Hochhaussiedlung am Stadtrand von Moskau. Dem Traum von neuem Wohlstand der älteren Generationen bieten sie mit renitenten und aggressiven Songtexten trotzig paroli. Die Filmemacherinnen beobachten und analysieren mit Sorgfalt und Genauigkeit die Ausweglosigkeit ihrer Protagonisten. Sie stellen Zusammenhänge her zwischen den Jugendlichen, ihren Eltern und deren Leben in einer Architektur der Gleichgültigkeit.
Ganz anders wirkt Musik in Bernd Schochs Slide Guitar Ride. Der texanische Blues-Gitarrist Bog Log III zelebriert sein Leben als glamouröser Rockstar und Hedonist auf der Low-Budget Ebene. Diese Do-It-Yourself-Attitüde von Rock und Fun spiegelt sich auch in Schochs filmischer Gestaltung wieder. Er variiert auf findige Weise das Format der Musik-Doku mit kleinen Animationseinlagen, witzigen Interviews und gewiften Kamerablicken und überträgt so mühelos die Energie von Rock’n’Roll auf die Bilder im Kino.
Publikumspreis der Rheinischen Post für den beliebtesten Film
Gambit
von Sabine Gisiger
Dokumentarfilmpreis des Goethe-Instituts
Mein Bruder. We’ll meet again
von Thomas Heise
Der Film thematisiert auf eindrucksvolle, unaufdringliche Weise und mit viel Raum für eigene Interpretationen den schwierigen Weg zur Aussöhnung. Eher beiläufig und dafür umso wirksamer schimmern in den Gesprächen die Verletzungen durch das System der DDR auf. In der Offenheit des Films liegt seine Stärke. Nichtgestellte Fragen erfahren fragmentarische Antworten. Wo die Gespräche verstummen, führt die Darstellung der Natur die Gedanken weiter. Mit einfachen Mitteln erzählt Thomas Heise seine private Geschichte, die gleichwohl über das Individuelle hinausweist und sein Publikum in den Gastländern des Goethe-Instituts finden wird.
Jurys
ARTE-Dokumentarfilmpreis
Birgit Kohler (Berlin)
Brigitte Werneburg (Berlin)
Didi Danquart (Freiburg)
3sat-Dokumentarfilmpreis
Wolfram Knorr (Basel)
Alexandra Seibel (Wien)
Fritz Wolf (Düsseldorf)
Dokumentarfilmpreis des Goethe-Instituts
Peter Anders (Sofia)
Friedrich Engelhardt (Abidjan)
Cigdem Göymen (Istanbul)
Gabriela Massuh (Buenos Aires)
Gerda Mentink (Amsterdam)
Frank Werner (München)
Susanne Ponn-Rassmann (München)
Kommission
Werner Dütsch
Geboren 1939. Kindheit, Jugend und Schulen im Rheinland und im Ruhrgebiet. Arbeit in der Chemieindustrie, in Filmclubs, Filmtheatern und der Kinemathek in Berlin. Über drei Jahrzehnte Redakteur beim WDR: Filmprogramme, Produktion von Filmsendungen und Dokumentarfilmen – bis 2004. Dozent an der Kunsthochschule für Medien Köln.
Margarete Fuchs
Geboren 1965. Gärtnerlehre, Studium Foto-Film-Design FH-Dortmund, Rechercheaufträge für Dokumentarfilme und Entwicklung von Dokumentarfilmstoffen. Freie Autorin und FilmemacherIn. 1994 „Eupen“, 1995 „Alps“, 1996 „Gretchens Stube“, 1997 „Letter to N.Y“, 2003 „Für den Schwung sind sie zuständig“.
Vrääth Öhner
Geboren 1965 in Linz. Studium der Publizistik- und Kommunikations- sowie der Theaterwissenschaft an der Universität Wien. Film–, Medien– und Kulturwissenschafter. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Demokratiezentrum Wien. Lehrbeauftragter an der Universität Wien. Von 1995 – 1999 Redaktionsmitglied der Filmzeitschrift „Meteor“. Arbeitet derzeit an Forschungsprojekten über „European Icons“, „Digitale Archive“ sowie zum Themenkomplex „Fernsehen – Geschichte – Gedächtnis“. Lebt in Wien.
Werner Ružička
Geboren 1947. Studium der Germanistik, Philosophie und Sozialwissenschaften in Bochum. Ab 1974 Leiter der kommunalen Filmarbeit in Bochum. 1978-82 Mitarbeiter am dokumentarischen Langzeit-Projekt „Prosper / Ebel – Eine Zeche und ihre Siedlung“ als Regisseur und Produktionsleiter. Nach 1982 verschiedene Arbeiten für Fernsehen und Theater. Seit 1985 Leiter der Duisburger Filmwoche. Juror u.a. bei den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen, den Österreichischen Filmtagen Wels und beim Adolf Grimme Preis. Lehraufträge für Dokumentarfilm, u.a. an der Hochschule für Film und Fernsehen München, sowie Goethe-Institut-Seminare über Dokumentarfilm u.a. in China und Israel.
Gudrun Sommer
Geboren in der Steiermark. Studium der Philosophie in Graz und Bochum. Mitarbeit bei verschiedenen Film- und Fernsehfestivals wie der International Public Television Screening Conference, den Kurzfilmtagen Oberhausen und dem Forum der Internationalen Filmfestspiele Berlin. Konzeptionen für Filmreihen (Hartware Projekte, Dortmund: 2001 „passengers – dokumentarische Positionen beim Anblick der Grenze“, 2002: „was bisher geschah: erinnerungstechniken im dokumentar- und experimentalfilm“) und Ausstellungen (u.a. G.R.A.M., Peter Piller, thanatotronics) für die Duisburger Filmwoche. Gelegentlich Beiträge für das Feuilletonmagazin „Schreibkraft“, zur Zeit redaktionell für den Themenschwerpunkt „Mitte“ tätig. Seit 2001 Projektleitung von „doxs! Dokumentarfilme für Kinder und Jugendliche“.
Mark Stöhr
Geboren und aufgewachsen am Bodensee. Studium der Neueren deutschen Literaturwissenschaft und der Film-, Fernseh- und Theaterwissenschaften in Konstanz, Paris und Bochum. Seit 1997 Redakteur beim Filmmagazin „Schnitt“. Zwischen 1999 und 2005 tätig für die Duisburger Filmwoche, den medien kunst verein hartware und filmtank hamburg. Seit 2004 Redaktionsmitglied beim VfL Bochum-Stadionmagazin „Mein VfL“. Lebt in Duisburg und Hamburg und glaubt an den direkten Wiederaufstieg.
Fred Truniger
Geboren 1970. Studium der Filmwissenschaft und Germanistik an den Universitäten Zürich, FU und HU Berlin. Ab 1992 Mitarbeiter des Int. Film-, Video- und Multimediafestivals VIPER Luzern und dort 1995 Gründer und Leiter des Multimedia-Programmes. Konzeption von Filmprogrammen und Symposien u.a. des Sonderprogrammes „Nützliche Bilder“ an den Kurzfilmtagen Oberhausen 1998. Seit April 2001 Assistent am Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur an der ETH Zürich, Lehr- und Forschungsbeauftragter im Bereich filmischer Raum- und Landschaftswahrnehmung.
Filme
Durchfahrtsland (Alexandra Sell | DE 2005)
Moskatchka (Annett Schütze | DE/LV 2005)
Es sollen rote Tulpen blühen (Ingeborg Jacobs, Hartmut Seifert | DE 2005)
Workingman’s Death (Michael Glawogger | AT/DE 2005)
N (Erwin Michelberger, Oleg Tcherny | DE 2005)
Kinder der Schlafviertel (Korinna Krauss, Janna Ji Wonders | DE 2005, Beta, Farbe 35 Min.
Friendly Enemy Alien (John Burgan | DE 2005)
Malerei Heute (Anja-Christin Remmert, Stefan Hayn | DE 2005)
Meine 3 Zinnen (Andreas Pichler | AT/IT/FR/SF 2005)
Katharina Bullin – Und ich dachte ich wär die Größte (Marcus Welsch | DE 2005)
Slide Guitar Ride (Bernd Schoch | DE 2005)
Massaker (Monika Borgmann, Lokman Slim, Hermann Theissen | DE 2005)
Der Bootgott vom Seesportclub. Die 100 ME – Teil 1 (Robert Bramkamp | DE 2005)
Mein Bruder. We’ll Meet Again (Thomas Heise | DE 2005)
The Making of (Viola Stephan | DE/LU 2005)
verschwende deine jugend.doc (Jürgen Teipel | DE 2005)
Weiße Raben – Alptraum Tschetschenien (Johann Feindt, Tamara Trampe | DE 2005)
Pommerland (Volker Koepp | DE 2005)
Exposed (Heidrun Holzfeind | AT/US 2005)
Gambit (Sabine Gisiger | CH 2004)
Between the Devil and the Wide Blue Sea (Romuald Karmakar | DE 2005)
Klingenhof (Beatrice Michel | CH 2005)
Houwelandt (Jörg Adolph | DE 2005)
Richard Serra – Thinking on Your Feet (Maria Anna Tappeiner | DE 2005)
Extras
Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland, Band 1 (Hrsg. Peter Zimmermann im Auftrag des Hauses des Dokumentarfilms Stuttgart)
Kommst Du mit in den Alltag? Bewegte Bilder und Alltagswirklichkeit
Schnitte in Raum und Zeit. Gespräche und Notizen zur Filmmontage und -dramaturgie von Gabriele Voss – Texte zum Dokumentarfilm, Band 10 (Hrsg. Dokumentarfilminitiative im Filmbüro NW)
Freunde der Realität – Meister der Kamera. Die Kameramänner Peter Badel und Johann Feindt im Gespräch mit Werner Dütsch
Slon Tango (Chris Marker | FR 1993)
Elefanten (Karl Kels | DE 2000)
Die Villa (Calle Overweg | DE 2005)