Extra

Freunde der Realität – Meister der Kamera

Duisburger Filmwoche 29
04.11.2005

Podium: Peter Badel, Johann Feindt
Moderation: Werner Dütsch
Protokoll: Andrea Reiter

Trotz aller Wertschätzung stehen sie immer etwas im Hintergrund – und fühlen sich dort meistens auch recht wohl: Die Kameraleute des Dokumentarfilms. Für den schönen Anlass des AG-Dok-Jubiläums möchte die Duisburger Filmwoche zwei von ihnen ins wohlverdiente Licht rücken: Peter Badel und Johann Feindt,  die wie wenige andere Kameramänner ihren eigenen, unverwechselbaren Stil ausgebildet haben. Anhand von Beispielen aus ihren Arbeiten wird das Spezifische ihrer Stile besprochen werden wie auch die gesellschaftlichen, ökonomischen und technologischen Veränderungen, die ihre Arbeit bestimmten wie widerspiegeln.  

Protokoll

Mit der Podiumsdiskussion trägt die Duisburger Filmwoche zum 25-jährigen Jubiläum der AG DOK bei, deren Gründungsort sie ist. An der DF unterzeichneten am 19. September 1980 neunzig Dokumentaristen die Duisburger Erklärung, um den Dokumentarfilm zu stärken, und die Diskussion um ihn zu fördern, wie Thomas Frickel von der AG DOK in seinen einführenden Worten erzählt.

Werner Dütsch eröffnet die Diskussion mit einer Gegenüberstellung. Beide Kameramänner, die dem Publikum durch viele bemerkenswerte Arbeiten weitreichend bekannt sein dürften, sind etwa gleich alt. Ihre Arbeitsweisen haben jedoch sehr unterschiedliche Ursprünge: Peter Badel besuchte die Filmschule in Babelsberg. In der DDR gab es eine Bildtradition, die bis in die 20er Jahre zurückreichte. Diese Tradition ausdrucksstarker Bilder, wohlüberlegter Kompositionen, angelehnt an Fotografie und Malerei, und die schwarz/weiß-Tradition hochhaltend, wurde in Babelsberg vermittelt und galt als oberstes Gebot. Demgegenüber erlernte Johann Feindt sein Handwerk an der Westberliner Filmschule. Hier experimentierte man mit neuen Formen der Bildgestaltung, beeinflusst durch Nouvelle Vague und Direct Cinema, durch Filmemacher wie Jean Rouch, Klaus Wildenhahn, Pennebaker oder Leacock. Perfektion wurde auf beiden Seiten hochgehalten, doch gab es im Westen nicht mehr die Richtlinie einer klassischen Bildkomposition, man variierte die Stile je nach Filmidee.

Was heißt das nun für die Arbeiten von Badel und Feindt? Werner Dütsch stellt die These auf, dass die Arbeiten der beiden Kameramänner von Anfang an, aufgrund von Material, Ausbildung und Tradition zu sehr unterschiedlichen Resultaten in den Bildkompositionen führte – diese Prägung sei noch heute zu erkennen.

Zwei Filmausschnitte werden präsentiert: Die von Feindt gedrehte Sequenz aus dem Film Mein Freund der Minister zeigt in einer einzigen Einstellung mit unterschiedlichen Bildgrößen und einem langen Schwenk, wie ein Haitianer mühevoll einen Karren durch den Dreck zieht und fast scheitert. In der aus Vaterland stammenden Sequenz sehen wir auch eine Arbeitssituation. In ihr werden Holzscheite gestapelt. Die Sequenz beginnt mit einer klassischen Totalen, es folgt eine Montage von wohl komponierten Bildern.

Natürlich, meint Badel, sind sie beide unterschiedlich geprägt, und die Arbeitsweisen sind verschieden, doch glaubt er nicht, dass sich große Unterschiede in ihrer Bildkunst ausmachen lassen. Ein Unterschied fällt ihm spontan ein: In Bildern, die Feindt mit dem Regisseur Kufus im damaligen Leningrad gedreht hatte, steht in kyrillischer Schrift „Heldenstadt“ auf einem Schild, das im Bild aber abgeschnitten ist – in Unkenntnis der Sprache. Während Badels Bewusstsein wohl ein propagandistisches Moment des ästhetischen Dokumentierens zugrunde lag. Das Publikum lacht, die Stimmung ist ausgesprochen entspannt. Feindt macht deutlich, dass seine auf DV gedrehte Sequenz sehr typisch ist: Die technische Seite der Arbeit ist stark an die Entstehungssituation geknüpft, und das Bild stammt von einer Recherchereise durch Haiti, bei der er sich alleine aufgemacht hatte, das Land, in dem „sein Freund Minister sei“, zu erkunden. Das Ausharren sei typisch. Vielleicht gibt es eine gewandelte Haltung der Kameraleute gegenüber den Regisseuren, sie besitzen mehr Autonomie in der Bildgestaltung. Aber Feindt betont, dass auch bei eigenständig entstandenen Bildern ein Gleichklang zwischen Regie und Kamera wesentlich ist, den er auch sucht. Wenn er mit einem Regisseur zusammenarbeitet, ist er dienend, meint er flapsig, und – wenn Kameraleute zu Regisseuren würden, wäre das oft weit weniger schlimm, als wenn Regisseure zu Kameramännern würden.

Nächster Diskussionspunkt ist die heutige „Materialflut“: Chancen und Gefahren.

Die Produktionsmöglichkeiten haben sich in den letzten Jahren stark gewandelt, viele analoge und digitale Formate stehen zur Auswahl, doch wundert sich Werner Dütsch darüber, dass ihm als Redakteur meist zuerst Vorschläge auf 35mm angetragen würden – erst aufgrund finanzieller Engpässe wechsle man dann z.B. auf Betacam. Das Spektrum an Möglichkeiten werde selten wahrgenommen, um damit zu experimentieren – obwohl viele Kinogänger heute bei auf 35mm aufgeblasenem Filmmaterial gar nicht mehr merken würden, dass das Ausgangsmaterial DV war. Aber Dütsch merkt auch an, dass für ihn oft ein undefinierbarer Matsch, ein Videobrei, ein Dilemma herauskäme und fragt – sehen das die anderen auch so?

Badel denkt, dass Video gute Möglichkeiten bietet und verweist auf die selten erwähnte Qualität des HD-Materials. Zum Filmmaterial meint er: da setzen sich Filmemacher eine Latte, und dann laufen sie doch unten durch. Beim Ergebnis der Bilder steckt man nicht drin. Doch viel wichtiger als das Material ist für Badel die Diskussion über Inhalte und Stoffentwicklung, auch in enger Zusammenarbeit mit den Produzenten, die oft stark vernachlässigt werde.

Das Für und Wider von Filmmaterial wird angesprochen. Werner Dütsch bemängelt das Verschwinden von 35mm, nicht nur wegen der qualitativen Vorzüge bei der Archivierung, sondern auch, weil mit den digitalen Formaten die Manipulation Einzug gehalten habe. Vielleicht lässt sich darin ein Generationenwechsel erkennen, meint er: Die Filmemacher, die nachrücken, sehen in den neuen Formaten eine Freiheit. Peter Badel kommt auf die Fähigkeiten zu sprechen, die man brauche, um die komplizierte, digitale Technik mit all ihren Menüs und Knöpfen überhaupt zu durchschauen. Er meint, HD wird es schaffen, auch wenn er selbst sich wohl weiterhin „denkmalpflegerisch“ betätigen wird. Auch Feindt geht nicht vom Untergang des analogen Filmens aus, auch wenn er selbst seit 1994 nicht mehr auf 35mm gedreht hat. Er kann jedoch verstehen, dass man die spezifische Bildsprache dieses Formats mit Grobkörnigkeit, Unschärfen etc. manchmal vermisst.

Werner Ruzicka greift eine heute nicht zum ersten Mal angesprochene Debatte über den Rückzug des Fernsehens bei der Dokumentarfilmproduktion auf, woraufhin Werner Dütsch einmal deutlich sagt, dass er, seit er fürs Fernsehen arbeitet, ständig diese Klage hörte, dass er jedoch, wenn er an Festivals geht, eigentlich immer mehr Dokumentarfilme sieht, die durch Fernsehgelder mitfinanziert wurden. Ihn nervt dieser „ewige Singsang“.

Zu guter Letzt wendet sich die Diskussion dem Thema Regisseur und Kameramann in Personalunion zu. Klar ist, dass dokumentarisches Arbeiten viel mit Zufällen und Unvorhersehbarkeiten zu rechnen hat. Feindt arbeitet zwar gerne alleine, betont aber, dass er die produktive Reibung mit Cutter oder anderen Personen aus dem Team stets sucht. Badel hingegen braucht die Reibung mit einem Regisseur, so dass die Bilder, trotz unplanbarer Überraschungen, stets in einer Auseinandersetzung mit diesem entstehen.