Synopse
1982 ermordeten christliche Milizionäre in den libanesischen Palästinenserlagern von Sabra und Shatila Tausende Menschen. Zumeist Frauen, Kinder und Alte, über zwei Nächte und drei Tage. Bis heute sind die Verbrechen ungesühnt. Erstmals treten sechs der Täter vor die Kamera. Ihre Gesichter bleiben im Dunkel, doch ihre Erzählungen und die begleitenden Gesten ihrer Körper bringen die Monstrosität eines inzwischen fast vergessenen Massakers zurück ins Licht.
Protokoll
Es ist bereits der dritte, in Duisburg gezeigte Film, der sich – wenn auch auf ganz andere Weise als seine Vorgänger – mit der „Chiffre“ Sabra und Shatila beschäftigt. Shatila. Auf dem Weg nach Palästina von Mirjam Quinte und Pepe Danquart lief 1981, Richard Dindos Genet à Shatila war 1990 an der DF zu sehen. Massaker lässt die Täter zu Wort kommen: „Ein Film über politische Gewalt“, heißt es im Programmtext.
Um einen solchen Film zu machen, braucht es schon ein Stück Besessenheit, meint Monika Borgmann zu Anfang. Sie berichtet über die Motivation des abwesenden, libanesischen Co-Regisseurs Lokman Slim, der, nur wenige Kilometer vom Ort der Massaker entfernt, im Haus seiner Eltern weilte, und erst durch fliehende Menschen, die bei ihnen Unterschlupf suchten, auf die schrecklichen Ereignisse aufmerksam wurde. Erschrocken über die Tatsache, dass sich solche Taten unbemerkt in der eigenen Nachbarschaft ereignen können, wollte er der Frage des Tötens und der Gewalt nachgehen. Monika Borgmann recherchierte als noch sehr junge Journalistin verschiedene Angriffe in anderen Lagern. Einige Zeit nach den Massakern kam sie in die total zerstörten Lager Sabra und Shatila, lernte dort Menschen kennen, mit denen sie Kontakt hielt. Zur Thematik der Gewalt und des Gewalttätigwerdens realisierte sie später u.a. ein Radiofeature über einen Heckenschützen. Hermann Theissen, der als Redakteur und Regisseur am Heckenschützen-Feature beteiligt war, beschloss mit ihr zusammen, in einem Filmprojekt das Thema der kollektiven Gewalt zu ergründen. Es sollten die Täter, nicht nur die Opfer und Überlebenden zu Wort kommen. Dies ist für Theissen eine Herangehensweise, die erst mit Christopher Browning einsetzte, und die er viel zu selten praktiziert findet.
2001 konnte Monika Borgmann den Kontakt zu einem der libanesischen Täter herstellen und die konzeptionelle Arbeit, ihre Filmidee umzusetzen, intensivierte sich. Klaustrophobie und Minimalismus entwickelte sich zum filmischen Ansatz, der später noch radikalisiert wurde. Sie wollten die körperliche Präsenz darstellen, unter der Restriktion, dass die Gesichter nicht gezeigt werden konnten. Der Körpersprache der Dokumentierten sollte viel Raum gegeben werden. Gerade im Minimalisieren, so die Hoffnung von Borgmann, Slim und Theissen, sollte eine universelle Dimension ins Bild rücken. Die Anonymisierung war für sie kein Handikap.
Das Filmen in geschlossenen Räumen, die klaustrophobischen Situationen, waren „sehr gewollt“. Beirut- Aufnahmen und Bilder von Sabra und Shatila wollten sie im Film nicht vorkommen lassen. Dabei war es nicht einfach gewesen, Räumlichkeiten zu finden. Außer bei einem der Männer, der abseits der Stadt mit seinen Katzen lebte, konnte bei den Männern, die mit ihren Familien zusammenleben, nicht gedreht werden. So fanden die meisten Drehs in ihrem Beiruter Büro und ihrer ehemaligen Wohnung statt (Borgmann und Slim leben in Beirut). Der aus dem Publikum problematisierte Einbezug der Katzen, durch die eine menschliche Seite dieses Mannes hervorgehoben wird, war gewollt – ohne dass auf den Sinn dieses Effekts näher eingegangen wird.
Für Werner Ruzicka nehmen in Massaker drei Formen von Bildern eine wesentliche Rolle ein: die gezeichneten Kartografien und Settings, die Fotos sowie Sprachbilder und Fantasien. Durch die Pläne konnten die Filmemacher eine Konkretisierung der Orte Sabra und Shatila erreichen. Theissen führt aus, dass sie dadurch im Film eine Segmentierung bis hin zum Allgemeinen erreichen wollten.
Die Massaker dauerten vom 16. bis 18. September 1982. Nachdem trotz des Geheimhaltungsversuchs erste Gerüchte kursierten, waren Journalisten und Fotografen angereist und hatten die Gewalttaten dokumentiert. Die Fotos hatten die Regisseure in Beirut recherchiert, in Zeitungsarchiven, Bibliotheken und im Internet.
Sie konfrontierten auf unterschiedliche Weise alle sechs Täter mit den Fotos, und wählten die eindrücklichsten Sequenzen aus – nicht so sehr die Bilder selbst sind für den Film wichtig, als vielmehr die Konfrontationen und die Reaktionen der Männer.
Im Publikum besteht Interesse an der Motivation dieser Männer, sich den Dreharbeiten auszusetzen. Borgmann erzählt, dass die offizielle Politik nach Kriegsende ein Sprechen über die Taten möglichst zu verhindern suchte. 1991 folgte ein Generalamnestie aller Täter. Sie denkt, dass die sechs Interviewten wohl nie über ihre Taten gesprochen hätten. Daher hatten sie ein Bedürfnis – und gleichzeitig hatten die Filmemacher ein Vertrauen aufgebaut, das die Männer zum Sprechen brachte. Vielleicht hatte es für die Männer die Wirkung einer Therapie, obwohl dies für die Filmemacher nicht Teil ihrer Arbeit werden sollte, sondern sich unwillkürlich ereignete. Die Gesprächssituation war klar definiert, erläutert Theissen: sie waren Zuhörer, nicht Richter. Auch nahmen sie keine verurteilende Position ein. Verstörend fand Borgmann, dass die Interviewten keine Reue zeigten. Sie wollten mit dem Film nicht stereotypisieren, aber es gab in den 60 Stunden Material kein Nachdenken über die Opfer, kein Mitleid mit den Getöteten. Fast hätte sie das Gefühl, die Männer könnten heute wieder anfangen.
Wenn nun der Film die Täter sprechen lässt, um Täterstrukturen zu analysieren, und eine Entgrenzung von Gewalt und ein Leichterwerden des Tötens durch Wiederholung thematisiert wird – so will ein Diskutant wissen, was denn nun das Spezifische dieser Tätergruppe ist. Borgmann entgegnet, dass es ihnen gerade darum ging, sich allgemein mit kollektiver Gewalt zu beschäftigen. Borgmann glaubt, dass ein Gewaltpotential in jedem steckt, die Frage ist für sie, wie man es kontrolliert.
Eine Frage zielt auf die Wahrhaftigkeit der Fakten, die man durch die Interviewten erfährt, gerade wenn sich, wie Borgmann zuvor noch erwähnt hat, durch die Erinnerungen der Männer nicht zu einer absoluten Wahrheit zu gelangen ist. Diese Wahrhaftigkeit sei gegeben, meint Borgmann. Dass die Israelis während der Massaker für die Logistik zuständig waren, lasse sich zum Beispiel auch anhand Sharons Biografie überprüfen, in der er selbst von den eingesetzten, israelischen Bulldozern schreibt.
Zurück zur Form. Jemand aus dem Publikum fragt, ob es nicht Absolution wäre, wenn man das Zuhören als formale Struktur verwendet und gleichzeitig davon ausgeht, dass Gewaltpotential in jedem steckt. Nein, wird erwidert. Die Position des Zuhörens hat nichts mit Komplizenschaft zu tun. Sie hätten nicht verurteilen können, denn sie wollten diese Männer ja zum Reden bringen – aber, – natürlich, – dass außerhalb der Drehsituation in ihnen viel abging, das ist klar, ist aber unabhängig von ihrer Suche nach Antworten, wie und warum diese Männer zu Mördern wurden.
Gegen Ende bekommt die Diskussion einen leicht aggressiven Unterton. Das Ausblenden nationaler Formen von Gewalt wird den Filmemachern vorgehalten. Die Tötungsmaschinerie der Deutschen im 2. Weltkrieg, das Spezifische deren Form der Gewalt wird den Massakern im Libanon bezüglich nationaler Spezifika gegenübergestellt. Auf dem Podium sieht man das anders: Es gibt allgemeine Mechanismen von Gewalt bei Massakern und der Vergleich zum 2. Weltkrieg führt weg von ihrem Thema. Jemand hinterfragt, wie die Filmemacher Distanz wahren konnten, trotz der schrecklichen Berichte – und Kritik an der Einseitigkeit wird laut, dass nur die Handlanger, nicht deren Instrumentalisierung durch die Machthaber im Film thematisiert werde.
Nach nochmaliger Darlegung des Schwerpunkts von Massaker kommen kurz der Produzent Jochen Ortmann, und Co-Produzent Werner Schweizer zu Wort. Sie berichten über den schweren Stand, einen solchen Film, der den narrativen Strukturen des Fernsehens nicht entspricht, heute zu produzieren. Werner Ruzicka betont einen kulturellen Auftrag, den das Fernsehen habe und meint, dass solche Filme auch weiterhin entstehen müssen.
Es wird eingeladen, den Film Weisse Raben – Alptraum Tschetschenien, der am Freitagmorgen läuft, in thematischer Verknüpfung zu Massaker zu diskutieren.