Film

The Making of
von Viola Stephan
DE/LU 2005 | 86 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 29
03.11.2005

Diskussion
Podium: Viola Stephan, Karin Jacobs (Schnitt)
Moderation: Fred Truniger
Protokoll: Natalie Lettenewitsch

Synopse

Wie Wirklichkeit gemacht wird: die Hirnforschung wartet seit geraumer Zeit mit verblüffenden Erkenntnissen auf. Der Film fügt Fakten, Hypothesen, Theorien und Philosophien zu einem komplexen Essay in fünf Akten nebst Prolog und Epilog. Wie sehen wir diesen Film? Was haben Dalis Frau Gala und Abraham Lincoln gemeinsam? Ein Forscher sagt: Eigentlich sind Bilder keine Wirklichkeit, sondern Fiktion.  

Protokoll

Es findet zunächst wenig Erkenntnisgewinn statt. Die Neuronensignale fließen zäh; es dauert lange, bis die Diskussion auf beiden Seiten in Gang kommt, zu lange – als es soweit ist, muss sie abgebrochen werden.

Viola Stephan fühlt sich wohl mit dem Festivalmotto „Freunde der Realität“. Es findet seine Fortschreibung im Motto der Transmediale, wo die nächste Vorführung ihres Films stattfinden wird: „Reality edits“. Dann fühlt sie sich nicht mehr ganz so wohl oder sagt jedenfalls lange nicht mehr viel.

Fred Trunigers Einleitung wird von einem imposant anschwellenden Mikro-Brummen untermalt (Physik / Metaphysik?). Making Of sieht er als eine „Geschichte des Scheiterns“ und bleibt in dieser Einschätzung hartnäckig, auch auf den Einwand hin, es gehe um das Suchen und nicht um das Finden: „Man kann auch im Suchen scheitern“. In den fünf Akten des Films geht es um die Methode den Suchens, um den „Königsweg“ sogar – doch am Ende bleibt nur das Gefühl: Dabei sein ist alles.

Der Gegenstand von Making Of ist für Truniger nicht mehr ganz „taufrisch“. Für Viola Stephan ist Neurobiologie nach wie vor der Forschungszweig, in dem die entscheidenden Dinge passieren (vor fünfzig Jahren wäre vielleicht Atomphysik ihr Sujet gewesen). Und in so einem Labor, sagt sie, wird mehr Philosophie betrieben als an einer ganzen philosophischen Fakultät. Und wie immer bei Wissenschaftlern, die an Grenzen stoßen, bleibt irgendwann nur noch die Metaphysik.

Nochmal ein Versuch, worum es geht: Making Of ist ein Film über die Produktion von Erkenntnis. Und über die Analogie von Filmen und Forschen. Um die konkreten Erkenntnisse selbst geht es nicht so sehr. Aus den Filmzuschauern sollen keine Wissenschaftler werden.

Was von den Ausführungen der Neurologen bleibt, ist was sie über den Prozess des Sehens zu sagen haben. Sehen bedeutet nicht einfach, dass „Wirklichkeit ins Auge fließt“. Der größere Teil findet erst durch Integration von Erfahrungen, durch Interpretation und Ergänzung im Gehirn statt. Also bedeutet Sehen die Erzeugung einer Fiktion. Es kommt darauf an, sie in möglichst günstige Übereinstimmung mit der Welt da draußen zu bringen, um z.B. nicht gegen einen Baum zu fahren. Und: „Man muss sich auf eine bestimmte Wirklichkeit einigen.“

Den Film kann man als Zwischenfazit verstehen, als Grundlage zur Weiterarbeit. Auch in der Wissenschaft gibt es nie einen Abschluss. Stets muss ein neues Ziel da sein, um an das eigene Projekt weiter glauben zu können. „Man muss immer weiter“ – wie die Heuschrecke, die die Lücke überqueren muss, sobald sie einmal angefangen hat, sich von ihrem ursprünglichen Standort zu lösen.

Fred Truniger fragt nach der Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern und deren Bilderwelt. Wie steht sie zu diesen Bildern, von denen sie letztlich nur wenige zeigt? Für Viola Stephan spiegeln sie die Tendenz zur „Quantifizierung des Lebens“, die Vorstellung, durch Datenkomprimierung werde die Welt anschaulicher, den Glauben, durch immer kleinteiligere Messungen etwas relevantes über den Menschen aussagen zu können.

Wissenschaftler wissen selbst nur zu gut um die Brüchigkeit des Konzepts „Wirklichkeit“. Warum beharren sie trotzdem auf dem Wert „Objektivität“ (zumal die Neurobiologen, in deren Forschungsfeld es um Subjektivität geht, um die Interpretation von Signalen)? Bemerkenswert, dass sie diese Objektivität auch dem Dokumentarischen unterstellen. Was sie sagen, wenn sie die Sparte wechseln und sich über Film äußern („du zeigst doch jetzt hier die Wirklichkeit“). Making Of stellt seine Unzuverlässigkeit als Wirklichkeitsabbild selbst durch Jump Cuts aus. Bei Vorführungen vor Wissenschaftlern wurde das aber oft gar nicht wahrgenommen.

Serjoscha Wiemer fühlte sich beim Sehen nach anfänglichem Interesse an der Beziehung zwischen Empirie und Dokumentarfilm zusehends von der Selbstinszenierung der Wissenschaftler genervt, die nicht wirklich in Frage gestellt wird. Ob es kein Bedürfnis gab, diese Stilisierung zu brechen – indem z.B. auf ein Experiment am Affenhirn geschnitten wird statt auf das zärtliche Streicheln einer Stabheuschrecke. Es wird nicht so sehr die Offenlegung von Grausamkeit eingefordert als die Offenlegung von gewöhnlichen Verwertungs- und Karrierezusammenhängen in der Wissenschaft, jenseits der hehren „Wahrheitssuche“ (ein Beispiel wäre die Nutzung der Biometrie).

Doch auch wenn die Frage nicht dorthin zielte, kommt Viola Stephan durch das erste Stichwort zum schwer beladenen Thema Tierversuche. Bilder von Versuchen an Affen oder anderen Lebewesen mit „Kuscheltiereffekt“ hat sie ausgespart, da sie den Film ihrer übermächtigen emotionalen Wirkung wegen zu sehr dominieren und letztlich kaputt machen würden. Sie hat noch weitere Ausführungen dazu auf dem Herzen, hält sie aber zurück.

Der Begriff „Versuchsanordnung“ spielt eine Rolle, wie schon in der Diskussion zu Massaker. Dokumentarfilme sind oft Menschenversuche: Man versucht Emotionen aus Personen zu melken, speziell in bestimmten Fernsehformaten. In Making Of sind auch die Wissenschaftler selbst Versuchskaninchen.

Inwiefern Wissenschaft in ihrer Komplexität überhaupt abgebildet werden kann, wird gefragt, und ob Film möglicherweise einfach nicht das geeignete Medium dafür ist. Die Reduktion der Komplexität von Wissenschaft führt zu auch visueller Armut: Wir sehen nur noch sich wiederholende Zahlen und Grafiken.

Den Titel Making Of empfindet eine Zuschauerin als geschickte Wahl, da er den Film von Angriffspunkten entlastet und seinen fragmentarischen Charakter wie auch die Film-im-Film-Ebene betont. Das anhaltende Schweigen auf dem Podium verleitet sie schließlich zu der ganz platten Frage, worum es denn nun letztlich ging – was der Film „sagen will“. Viola Stephan: „Wenn ich das jetzt so einfach beantworten könnte, hätte ich mich nicht jahrelang damit herumgeschlagen.“

Neuer Zugangsversuch: die Frage nach der Musikdramaturgie – aber auch sie findet nicht viel mehr Beantwortung. Der Vorwurf der Beliebigkeit wird immerhin zurückgewiesen: „Beliebig ist an diesem Film überhaupt nichts“. Im Gegenteil sei er komplett durchkonstruiert; eben diese Aussage provoziert das Publikum zum Weiterbohren, als gäbe es ein gleichsam mathematisches Prinzip.

An dieser Stelle schaltet sich Werner Ruzicka ein: Es ist nicht Sache der Regisseurin, ihre Konstruktionsprinzipien zu erklären, sondern Sache des Publikums, zu urteilen, ob und wie sie wahrgenommen werden. Er kritisiert auch das vorangegangene Negativdiktum, bestimmte Themen wie „Wissenschaft“ seien filmisch nicht darzustellen (ähnliches wird auch über „Wirtschaft“ bzw. „Kapital“ behauptet, und doch hat der Vorjahres-Preisträger Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen? eine ästhetische Form dafür gefunden). Der Versuch sei in jedem Fall ehrenwert, zumal wegen der wirklich offenkundigen Analogien zwischen Film und Forschung.

Ruzicka will durchaus nochmal zurück zum Thema Tierversuche: Warum hat die Regisseurin nicht doch getrost die Grenze überschritten, den Preis einer Wissenschaft zu zeigen, von dem wir wissen, dass es ihn gibt? Viola Stephan findet zumindest den „ersten“ Blick darauf einfach zu problematisch. Eine Dynamik der Gewöhnung hat sie zwar während ihrer Anwesenheit in den Laboren selbst bemerkt – aber im Film hat sie eben nicht genug Erzählzeit dafür.

Mit Begeisterung berichtet sie von einem alten Pudowkin-Film: Mechanik des Gehirns (in dem heute Undenkbares mit Selbstverständlichkeit gezeigt werde – die Sensibilität der Forschung gegenüber war eben noch nicht dieselbe). Sie erläutert die Wahl der in ihrem Film sichtbaren Tierversuche – die Eule wegen der Analogie zur menschlichen Physiognomie, die Heuschrecke wegen der Reduktion auf die reine Motorik. In diesem Moment, wo sie endlich spürbar aufgetaut ist, wird die Diskussion mit Rücksicht auf den nächsten Film leider beendet.