Film

Mein Bruder. We’ll Meet Again
von Thomas Heise
DE 2005 | 57 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 29
03.11.2005

Diskussion
Podium: Thomas Heise, Peter Badel (Kamera)
Moderation: Werner Dütsch
Protokoll: Aycha Riffi

Synopse

Eine winzige südfranzösische Gemeinde. Durchsagen über die Dorflautsprecher. Hier lebt Andreas, der Bruder. Berlin kehrte er den Rücken, um sein vermeintlich letztes Lebensjahr bei seinen Freunden zu verleben. „Wenn du keine Träume mehr hast, ist Schluss.“ Aber es kommt anders: Neuer Atem, neue Liebe, neues Leben. Ein Gespräch mit dem Bruder über Zukunft und Vergangenheit. Und über Micha, der die Brüder Heise für die Stasi ausspioniert hat.  

Protokoll

„Von unordentlichen Sachen wird ordentlich erzählt.“ Werner Dütsch fasst zusammen: Wir sehen zwei Paare, die auseinander fallen. Wir sehen ein Paar, das sich gerade gefunden hat. Wir sehen zwei Brüder, die nicht viel miteinander zu schaffen haben. Die aber verbindet, dass sie bespitzelt wurden. Wir sehen einen Spitzel, der dreimal zu sehen ist, bevor er reden darf. Wir sehen/hören von einer widerlichen Geschichte. Und es gibt etwas Offenes, indem der Film andere Themen einfließen lässt. Beispielsweise eine Kirche, die nie jemand besuchen wird. Und immer wieder Natur. – Wie kommen die Berge in den Film?

Die Natur: sichere Bilder

Thomas Heise wollte einen Film über/mit/bei seinem Bruder drehen – vielleicht den letzten mit ihm – und fuhr nach Frankreich. Was dann dort geschehen würde, war nicht abzusehen: unsichere Bilder. Die Berge sind ein sicheres Bild. Am Anfang der Dreharbeiten wurde das Dorf gefilmt, die Landschaft, die Berge. Der nähere filmische Kontakt mit Andreas, Micha und Yvonne kam dann nach und nach. Und so wurde das Interview mit dem Bruder, das am Anfang und am Ende des Films zu sehen ist, erst am letzten Drehtag gefilmt.

(Wohn-)Arrangements

Zwei (sehr) gute Freunde unter einem Dach: Ein Spitzel und ein Bespitzelter. Wie geht das? Manche Dinge muss man aushalten können, so die Antwort.

Männer resümieren

Im Film sagt Micha: „Glücklich, wer nicht gefragt wurde.“ Und Andreas sagt: „Ich weiß nicht, was gewesen wäre, wenn sie mich gefragt hätten.“ Pausen entstehen. Und Thomas Heise drängt nicht, hakt nicht nach. Nicht weil er – so sagt er in der Diskussion – schonen will, sondern weil er nicht „bohren“ möchte. In seinen Filmen sollen die Leute nur erzählen, was sie erzählen wollen. Und Micha, der nicht wegrennt, wollte erzählen und sich erklären, „er wollte leiden“.

Die Auswirkungen, durch die Tätigkeit des informellen Mitarbeiters auf das Leben von Thomas Heise, waren gewaltig: „Man erfährt, dass man über 10 Jahre nicht wirklich selbstbestimmt gelebt hat. Aber das ist nicht Thema des Films.“ Für Thomas Heise war es schon wichtig, „dort hin zu fahren und sich in die Augen zu sehen, und das reicht dann auch“. Wäre Micha weggerannt, er wäre ihm nicht hinterhergelaufen.

Frauen arbeiten

Bleiben die Frauen in diesem Männerkosmos außen vor? Sie sind nicht viel zu sehen. Sind sie daher nur Beiwerk und kommen gar schlecht weg?

Während die Männer in ausreichender Filmlänge in ihrer Vergangenheit und ihren Beziehungen graben, gräbt Yvonne in der Erde. Auch wenn nicht viel von Yvonne zu sehen ist, wird doch viel über sie erzählt. Der Film – ein ungewöhnlicher Heise-Film, wird gesagt – erzählt mit Auslassungen „übers Leben’. Die zu hörenden Sprachfragmente werden durch die Stille zu ganzen Sätzen.

35 mm Konzentration

14 Drehtage standen zur Verfügung. Gedreht wurde auf 35 mm Resten, die aus verschiedensten Quellen angekauft wurden. 35 mm ist prädestiniert für Landschaftsaufnahmen, aber man sollte auch bei den Interviews „in den Gesichtern lesen können“, daher griffen Heise und sein Team nicht auf elektronisches Material zurück.

Das Material – jeweils vier Minuten Material standen zur Verfügung – verlangte von allen eine Konzentration in der Zusammenarbeit. „Es gab keinen Zufall, auf den ich mich verlassen konnte.“

Ein ins Stocken geratenes Filmprojekt und die Möglichkeit, die dazugehörenden finanziellen Mittel umzuschichten, ermöglichten MEIN BRUDER. Und obwohl der Film mit einer Länge von 57 Minuten keinem üblichen Kinoformat entspricht, hat er einen Verleih und wird demnächst in zwei Kinos in Berlin zu sehen sein.

Das freut sehr.