Synopse
Aquarelle im digitalen Zeitalter, begonnen im Sommer 1998. Aquarelle von Berliner Werbetafeln, jede Zeichnung eine dokumentarische Einstellung. Eine Langzeitbeobachtung der gesellschaftlichen Veränderungen im wiedervereinigten Deutschland: Identitätsmodelle, Glücksversprechen, das Spiel mit Unsicherheiten. Der malerische Umweg lässt die öffentlichen Bilder in neuem Licht erscheinen, jenseits aller medialer Abgeklärtheit.
Protokoll
Der Verwertungsgedanke bzw. der Verwertungszwang scheint in der Arbeit von Anja- Christin Remmert und Stefan Hayn eine große Rolle zu spielen. Während das Filmemachen viel Zeit und Energie bei der Geldbeschaffung verschlingt, und die eigentliche „Zeit des Machens“ recht kurz sei, braucht man sich in der Malerei erstmal nicht mit den Verwertungsgesetzen zu beschäftigen. Nicht nur im Katalog-Text, auch auf dem Podium kommen sie darauf zu sprechen: Ihre bildnerische Arbeit dürfe nicht kanonisiert werden. Stefan Hayn zitiert noch einmal den 1. Satz im Film: Malerei muss gesellschaftlich und persönlich unrepräsentativ sein (nicht vereinnehmbar für irgendwen oder irgendwas, einen Theorie oder einen Diskurs).
Die „Zeit der neoliberalen Restauration“ begann laut Stefan Hayn nicht erst mit der gerade zu Ende gehenden „Schröder-Ära“, aber sie bekam ab 1998 eine andere politische Farbe. Zur gleichen Zeit begannen die beiden Filmemacher mit der bildnerischen Arbeit zu „Malerei Heute“, im Gedanken, dass diese Malerei „auf eine Zeitachse im Film montiert werden soll“. Um die Filmgelder haben sie sich erst ab 2002 gekümmert (mit großer finanzieller Eigenleistung), und es sollte das teure 35mm- Format sein, um die „bestmöglichste“ Reproduktion der Malerei auf das Medium Film sicherzustellen.
„Chancen für Alle. Weniger Sozialstaat bringt mehr Jobs.“ – Dieser Spruch auf einem öffentlichen Plakat sei „eine dreiste Verdrehung jeglicher emanzipatorischer Errungenschaften“ (Hayn). „Malerei Heute“ versuche hier eine Gratwanderung, so Hayn: Diese Bilder nicht „verdoppeln“, sondern selbst „solche“ Plakate und Thesen anschaubar zu machen. Ruzicka spricht von einer „Verseuchung“ der Stadt: Der Film stanze diese Botschaften in ideologischen Satzfetzen aus und stelle das propagandistische Element aus, das uns jeden Tag vor die Augen geknallt werde. Auch andere Zuschauer spürten „diese unglaubliche Gewalt“, die von diesen Plakaten ausgeht. Ganz nebenbei sieht man auch, wie Stadt & Bilder sich in wenigen Jahren verändern können.
Die „neuen Medien“ (von denen der Katalogtext behauptet, dass es sie gar nicht gibt) definiert Stefan Hayn einerseits durch ihre Behauptung von „Interaktivität“ – wohingegen jeder gute Film schon immer interaktiv im geistigen Sinne war und man keine „scheindemokratischen Knöpfchen“ drücken musste – und andererseits durch die Vermischung von malerischen und fotografischen Prozessen bei der digitalen Bilderproduktion. In ihrem Film spüre man Malerei und Film immer getrennt, aber Hayn möchte hier nicht einfach die böse Technik gegen das gute Handgemachte behaupten/ausspielen.
Die im Film mehrfach wiederholte Homosexualitäts-Sequenz blieb mehreren Zuschauern unklar. Hayn argumentierte, wenn man sich politisch so weit aus dem Fenster hängt, müsse man auch die eigene Involviertheit zeigen. Und auch Queer- /Gender-Bewegungen seien schon „umgekippt“ und wollten dann die Welt missionieren.
Der Sprachduktus des Filmtextes sorgte für „Aufmerksamkeit“ (Ruzicka), wurde von anderen aber eher als „irritierend“ empfunden: Normalerweise werden solche Texte für den Zuhörer gesprochen, hier hatten aber einige den Eindruck, der Text werde für einen Leser aufgesagt. Hayn wollte keine dieser „repräsentativen“ Fernsehstimmen, die Autorität ausstrahlen (die ihm zuwider ist). „Malerei Heute“ soll seine Strukturen und die Entscheidungen offen legen und das Kino als öffentlichen Raum betonen: „Es bedeutet etwas, wenn dort jemand seine Stimme erhebt.“
Die Filmmusik legte Klaus Barm schon bei der Komposition darauf an, dass aus diesem eigenständigen und viel längeren Stück nur Teile im Film zu hören sein werden. „Ein Klang-Komplex, der mit Zeitintervallen arbeitet und stark auf den Tonraum setzt. Ein vertikaler Klang, der sich in der Zeit verändert“ (Barm). Die längeren, stummen Passagen im Film sollen mit den musikalischen Stellen in eine Beziehung treten, so Barm. Diese Stille wurde von manchen Zuschauern als „absolut intensiv“ empfunden, die die Bilder hervortreten lässt.
Werner Ruzickas Fazit am Schluss: Hier tue sich eine Zwischenwelt auf, mit Aquarellen voller Fliesen und Kacheln an den Wänden, sodass ein „reales“ Bild des Potsdamer Platzes im Film urplötzlich unwirklich wirke. Und es wird noch mal der letzte Satz aus dem Film zitiert: Es wird weitergehen mit der Malerei. Und allem anderen. Es wird eine Veränderung geben.