Film

N
von Erwin Michelberger, Oleg Tcherny
DE 2005 | 82 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 29
01.11.2005

Diskussion
Podium: Erwin Michelberger
Moderation: Gudrun Sommer
Protokoll: Andrea Reiter

Synopse

Ein Kreis befreundeter Künstler kommt zusammen, zu Zeiten Beuys’ waren sie Studenten der Düsseldorfer Kunstakademie. 30 Jahre später blickt man gemeinsam auf die Nachlassenschaft zurück: Die alten Ideale und Utopien, das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft, die RAF, der Alltag an der Akademie, der Übervater mit dem Hut. Würde man alles noch einmal genauso machen?  

Protokoll

Die dokumentarische Anordnung von Desillusionen

Der Film N, der durch inhaltliche Anspielungen und Bezüge sowie durch ein Spiel mit dem Dokumentarischen vielerlei Assoziationsangebote liefert, basiert auf einer Struktur der Gegenüberstellung. Auf der einen Seite die Gespräche der ehemaligen Studenten der Düsseldorfer Kunstakademie, die mit ihrer Geschichte ringen. Als Gegenpol die Figur Adams, eines Mitte zwanzig Jährigen, der als eine Art imaginärer Sohn zur Folie wird, ein Selbstgespräch führt, sich ähnlich essentielle Fragen stellt, aber andere Wege beschreitet. Diese Anordnung ermöglicht, dass sich der Zuschauer Fragen stellt.

Die Verdichtung

Eine geheimnisvolle Kiste dient dem Regisseur zur Bündelung. Sie ist Aufbewahrungsort für Wesentliches, eventuell für das Liebste. Hierin mag sich befinden, was sich im Laufe eines Lebens an Erfahrungen, an Erkenntnis angesammelt hat. Erinnerungen.

In fortschreitendem Alter stellt sich die Frage, was habe ich erkannt und was davon kann ich oder will ich weitergeben? Dieses Hervorholen kann schmerzhaft sein, wenn die Ideen schon früher starben, oder wie ein Strohfeuer, wenn man den Sinn des Aufbewahrten nicht mehr erkennt.

Die Erkenntnis

Erwin Michelberger assoziiert mit dem Bild der Kiste seine Arbeit als Dokumentarist – und sieht sich als „Chronist der Vergeblichkeit“. Ihm stellt sich die Frage, wo das hinführt, was er erzählt und dokumentiert. Es mag mit viel Wissen angereichert sein, detailgetreu, informativ, doch wird das Moment des Vergeblichen offenbar.

Ähnlichkeit / Differenzen

Liebe, darüber wird an einer Stelle im Film diskutiert, hat nichts mit Sex zu tun. Wenn Adam, sich für Geld verkaufend, ein Motiv des Genusses und gleichzeitig ganz grundlegend eine Arbeit erkennt, ist er in seinem jungen Alter bereits desillusioniert und klar. Die Anderen (die ehemaligen Akademisten) machen eine Trennung, die Michelberger illusionär erscheint. Sie unterscheiden, um dem Schmerz zu entgehen. Sie stellen sich ähnlichen Fragen und Themen, kommen vielleicht zu ähnlichen Antworten, doch der Weg, den sie beschritten haben, um dorthin zu gelangen, wo sie jetzt sind, ist gänzlich anders.

Adams Rolle

Gudrun Sommer nimmt im Film Nuancen des Abgeklärtseins wahr. Handeln aus Idealismus, aus politischer Überzeugung und aus dem Wunsch, einem Selbstbetrug nicht zu erliegen, überlagern sich. Adam scheint sich dem Selbstbetrug gar nicht erst zu ergeben.

Für Michelberger besteht die Hoffnung auf Veränderbarkeit für uns alle – das Glück vielleicht nicht. Der Regisseur ist abgeklärt. Erhoffter Veränderbarkeit kann er nach eingehender Prüfung der Welt, wie sie sich zeigt, nicht mehr allzu optimistisch entgegenblicken. Sieht man die Entwicklungen, mag man darin manche Verbesserung erkennen, doch vertraut Michelberger nicht darauf.

Adams Rolle ist deshalb so wichtig, weil er, ohne dass sein individuelles Leben zum Tragen kommt, in einer verallgemeinernden Position als Folie dient.

… und immer wieder das Illusionistische

Auch wenn Fred Truniger dem Film entnimmt, dass er das Leben als Kompromiss und als Spiel begreift, und deshalb auch selbst als ein Spiel mit dem Leben in seinen unendlichen Variation gelesen werden kann, bleibt für Michelberger der konkrete Bezug zur Gesellschaft wesentlich. Ein Film, wenn er sich außerhalb der Gesellschaft befindet, hat nichts zu sagen.

N ist Niemand passt besser als Du bist Deutschland, präzisiert er seine These.

Sein Film fokussiert die Hoffnung auf Veränderbarkeit, er betrachtet das „ich kann etwas verändern“ und was sich daraus entwickelt. Nur stimmt die gewonnene Einsicht nicht sehr hoffnungsvoll, wenn Zynismus den Künstleraktivisten als Rettungsanker dient, sich der Einsicht des Scheiterns zu entziehen.

Vrääth Öhner versucht der aufgekommenen Grabesstimmung entgegenzuwirken, indem er den Modus der Veränderbarkeit in den Blick rückt. Vom Heroischen, des „Veränderns ohne Wenn und Aber“, könne man sich ohne Verlust verabschieden. Das sieht auch Michelberger so. Woraufhin Brigitte Werneburg das Heroische in ein anderes Licht rückt: Sie als Frau hat profitiert von den heroischen Kämpfen der Frauen, die an Veränderbarkeit geglaubt und „ohne Wenn und Aber“ dafür gekämpft haben. Doch verdanken sich die tatsächlichen Veränderungen größtenteils den gesellschaftlichen Bedingungen, einigen sich die DiskutantInnen.

Auf dieser positiven Wendung lässt es Erwin Michelberger jedoch nicht beruhen: Wenn ein Ziel erreicht werde, müsse gleichzeitig an anderer Stelle Verzicht geübt oder gar Anderes zerstört werden – darin liegt für ihn eine menschliche Grundbedingung.

Einen kalauernden Einwand gibt Vrääth Öhner mit Nietzsche zum Besten: Besser Nichts wollen, als nicht wollen. Aber wenn man was erreichen will, und etwas tut, bekämpft man immer automatisch an anderer Stelle? Für den Regisseur sind andere Möglichkeiten nicht denkbar – wenn er von seinen Protagonisten etwas will, steckt darin etwas Verletzendes.

Nach Werner Ruzickas skeptischem Aufgreifen des Lebenskästchens, aus dem der Dokumentarist schöpft, um dann doch nur eine Botschaft des Vergeblichen vermitteln zu können, klärt der Regisseur ein weiteres Mal seinen Standpunkt: Wenn er ein Bild geben will und dies ernst meint, arbeitet er mit dem Zwiespalt, akzeptiert die Vergeblichkeit, die sich ihm oft zeigt – und trotzdem genießt er die schönen Momente des Filmemachens.

So spiegelt der Film die Brüchigkeit der Verhältnisse in denen wir leben, lässt aber in den Gesichtern und Gesten der Menschen eine Schönheit gewahr werden.

Dass von kritischer Seite der Film aus dem Rahmen der bis jetzt gezeigten Filme fällt, kann als Kompliment verstanden werden. Trotz eines deprimierenden Tenors fängt er aktuelle Fragestellungen ein, und weist durch die Tatsache, dass Hoffnung auf Veränderbarkeit der Antrieb für Taten ist, über das Festival hinaus in eine (!) Zukunft.