Film

Richard Serra – Thinking on Your Feet
von Maria Anna Tappeiner
DE 2005 | 94 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 29
05.11.2005

Diskussion
Podium: Maria Anna Tappeiner
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Andrea Reiter

Synopse

Am Anfang ist die Leere… Richard Serra beschreibt den Entstehungsprozess seiner gigantischen Stahlskulpturen. Er selbst nennt sich Baumeister, nicht Bildhauer: Es gilt, die Wahrnehmung zu irritieren, den Inhalt des Ortes zu verändern, die Skulptur vom Sockel zu holen. Serras Arbeiten wurden nach Modellvorlagen in der Dillinger Hütte angefertigt und fanden vom Duisburger Hafen ihren Weg nach Bilbao.  

Protokoll

Über den Untertitel führt Werner Ruzicka in die Diskussion ein. Dieser bezeichnet sehr schön den programmatischen Ansatz Serras – und den des Films. „Sehr gut zu Fuß“ organisiert Serra seine Erklärung über die Skulpturen wie eine Führung, was der Film in gewisser Weise übernimmt.

Maria Anna Tappeiner spricht über die dokumentarische Arbeit mit dem Künstler. Der Duktus Serras bestimmt den Ort, den er im Film einnimmt. Man merkt, dass ihm das Dokumentieren seiner Person nicht sehr recht ist, was gerade das Schwierige für die Filmemacherin ist, an ihn heranzukommen. Außer eines ersten, zustimmenden Faxes lief denn auch alle Kommunikation über sein Büro in New York. Er verweigerte sich weitgehend, zeigte eine große Skepsis, die er prinzipiell gegenüber Journalisten hegt und auch ihr gegenüber während des gesamten Drehprozesses nicht ablegte. Serra empfindet das Filmen als störenden Eingriff in seine Intimsphäre. Auch seine Frau entzog sich ihnen völlig. Die Demontage seinerseits, diese Brüche und Widerstände, die sich durch das gesamte Filmmaterial ziehen, wollte die Filmemacherin unbedingt im Film thematisieren.

Gleichzeit ist Serra höchst professionell, er kennt das filmische Arbeiten aus eigener Erfahrung. Er sprach ausführlich und konzentriert über seine Arbeit, doch inszenierte er sich dabei, und Tappeiner kam bis zu einer gewisse Schwelle – nicht näher – an ihn heran. Aber seit 13 Jahren ist sie die erste, die ihn und sein Schaffen dokumentieren konnte. Sicher war es für Serra verführerisch, das 20 Mio.-Projekt mit seiner außergewöhnlichen Formsprache dokumentarisch festhalten zu lassen.

Serra vermittelt eine irisierende Doppeldeutigkeit, wenn er sich unwillig und zugleich begeistert erklärend inszeniert. Dass er ihnen stets einen Zeitrahmen gab, die Situationen kontrollierte, vermutet Ruzicka, hängt vielleicht auch damit zusammen, dass Serra sich bewusst war, dass mit diesem Film, der von renommierten Sendern unterstützt wurde, eine kunstgeschichtliche Festschreibung stattfindet und dieses Bild in der Öffentlichkeit als Referenz bestehen bleiben wird.

Zur Entstehungsgeschichte des Films: Im Zusammenhang mit einem Dokumentarfilm über die Fernsehgalerie Gerry Schum, die auch etwas von Richard Serra zeigte, ergab sich kurz darauf die Möglichkeit, ein Interview mit Serra zu machen. Das Interview war sehr dicht und überzeugend und kann als ein erster Auslöser gelten. Gleichzeitig kommt die Regisseurin eher aus der Kunstgeschichte und interessierte sich für den künstlerischen Sprung, den sie Mitte der 90er Jahre in Serras Schaffen entdeckte.

Werner Ruzicka stellt die Frage zur filmischen Annäherung an den Stoff und erwähnt anerkennend die verschiedenen Angebote des Wahrnehmens, die der Film liefert. Tappeiner führt aus, dass sie sich lange überlegte, wie man sich diesen ungegenständlichen Skulpturen nähern kann, die in ihren riesigen Dimensionen schwer greifbar sind. Sie entschied sich für die Handkamera und Dollyfahrten, um eine Korrespondenz zwischen der formalen Struktur der Kunstwerke und den Bildern herzustellen.

Die Sequenz, in der Serra über die Politik in den USA und das Ergebnis der Wahlen spricht, ist für Ruzicka verblüffend. Für Tappeiner ist sie wesentlich, da Serra sich so selten aus der Reserve locken ließ und sie die wenigen anderen Szenen, in denen er sich öffnete, irgendwie nicht im Film unterbringen konnte. Serras Aussage ist ihr wichtig, dass, wenn sich formal, sich auch inhaltlich etwas ändern kann. Dass sein Sprechen über die Wahlen nicht zeitgleich, sondern rückblickend passiert, ließ sich nicht anders einrichten.

Richard Serras Vokabular von heben, dehnen, stauchen, bestimmte wesentlich aktiver seine früheren Werken – heute braucht er ein großes Team an Ingenieuren, Technikern, Arbeitern, ohne die er seine Arbeiten nicht verwirklichen kann. Dass das Frühwerk nur in kleiner Zahl im Film dokumentiert wird, erklärt Tappeiner damit, dass ihr Film zwar als eine Art Werkporträt zu benennen ist, aber die aktuelle Arbeit für den Film im Zentrum stand.

Ein Diskutant, dessen positive Meinung über den Film von vielen im Saal geteilt wird, eröffnet mit seiner Frage das weite Feld der sinnlichen Umsetzung von Wahrnehmung, die auch beim Betrachter des Films eine neue Erfahrung der Skulpturen entstehen lässt. Diese Thematik hat Tappeiner natürlich beschäftigt, sie ordnete sie dem filmischen, durch Serra bestimmten Duktus zu, und versuchte mit ihren Aufnahmen der Skulpturen deren Besonderheit greifbar zu machen. In dieser ausgeprägten Formsprache, die sie dabei entwickelte, sollte eine Reinheit bewahrt werden, weshalb auch gänzlich auf Musik verzichtet wurde. Eine essayistische Form wäre natürlich denkbar gewesen, hätte aber nach Tappeiners Meinung das Werk Serras vereinnahmt. Die Skulpturen sollten für sich wirken.

Es ist die letzte Diskussion der diesjährigen Duisburger Filmwoche. Werner Ruzicka möchte ein Motto Serras als eine schöne Bilanz ans Ende des Festivals setzen und damit allen Teilnehmenden/Mitwirkenden danken:

Sehen ist Denken