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State of the Art

Duisburger Filmwoche 29
05.11.2005

Podium: Inge Classen (ZDF/3sat), Reinhard Wulf (WDR/3sat), Jörg Adolph (Filmemacher), Stefan Hayn (Filmemacher), Reinhard Braun (Camera Austria)
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Natalie Lettenewitsch

Protokoll

Für diese in Kooperation mit 3sat angesetzte Diskussion bleibt, gemessen am Potenzial des Themas und am Umfang des Podiums, wenig Zeit – als „kleine reflexive Pause“ leitet Werner Ruzicka sie ein. Unmittelbarer Anlass sind drei Filme aus dem Programm der diesjährigen Filmwoche, die sich mit benachbarten Künsten bzw. Kunstproduktion befassen: Malerei heute, Houwelandt und Richard Serra – Thinking on your feet (außerdem die nächtliche „Musikschiene“). Die Verhandlung von Kunst im Dokumentarfilm ist nichts Neues bzw. hat ihre Traditionen; hier geht es aber auch um mögliche alternative Zugangsweisen. Ruzicka wendet sich nochmals gegen die während des Festivals angeklungene Behauptung, Film sei als Medium nicht wirklich geeignet, Felder wie Wissenschaft, Wirtschaft oder Kunst darzustellen. Das Festivalprogramm selbst widerlege dies – eine Grenze des Beschreibens soll es nicht geben.

Inge Classen beschreibt die Arbeit der Filmredaktion ZDF/3sat zum Thema Film und Kunst. Von einer wirklichen „Programmatik“, wie im Katalog veranschlagt, kann man zwar nicht unbedingt sprechen, aber doch von einem deutlichen Schwerpunkt in der Programmarbeit, auch in Bezug auf die Eigenproduktionen. 1995 stellte sie die umfangreiche und sehr heterogen bestückte Reihe „Film und die anderen Künste“ zusammen, die viele Künstlerporträts beinhaltete, aber z.B. auch Experimentalfilme von Richard Serra (der in der aktuellen Produktion von Maria Anna Tappeiner wiederum selbst porträtiert wird). Das Motiv wurde immer wieder aufgegriffen, zuletzt mit der Reihe „Film und Malerei“, in deren Rahmen Malerei heute ausgestrahlt wurde. Andere Beispiele sind Besuch im Louvre von Straub & Huillet (Duisburger Filmwoche 2004) oder Stillleben von Farocki (Koproduktion mit der Documenta).

Reinhard Wulf beschreibt sich demgegenüber als „Einzelkämpfer“ beim WDR; der Dokumentarfilm muss hier „nebenher“ von einer Person bewältigt werden, deshalb gibt es auch nicht so viele Eigenproduktionen. Bildende Kunst allerdings ist sein Interessensschwerpunkt. Im Zentrum steht die Frage „Ist es möglich, den kreativen Prozess einzufangen?“ Er persönlich hat sie sich so beantwortet, dass die Darstellung am besten durch Beschränkung funktioniere, durch Reduktion, durch Konzentration auf den Künstler selbst. Er möchte sich möglichst intensiv der einzelnen Künstlerpersönlichkeit nähern; Umfeld und Verwertungsprozesse interessieren ihn dabei nicht.

Werner Ruzicka dankt für die „angeknackste Brücke“ zu Jörg Adolph (der sich in Houwelandt mit eben solchen Kontexten befasst) und fragt, was für ihn das Spezifische der künstlerischen Arbeit ausmacht, im Vergleich etwa zum Sport in Kanalschwimmer und Klein, schnell und außer Kontrolle. Adolph möchte da gar keinen großen Unterschied machen. Er interessiert sich für die Arbeit anderer Menschen, ohne sie deshalb „porträtieren“ zu wollen, seine Methode besteht darin, Entwicklungen zu beobachten, in Prozesse einzudringen, sportliche oder auch künstlerische. On/Off the record und Houwelandt möchte er zu einer Trilogie vervollständigen. Eine echte Herausforderung läge für ihn gar nicht unbedingt in einem Film über „andere Künste“, sondern einem Film über das Filmen, der kein klassisches „Making Of“ ist.

Zu seinem Film Malerei heute wird Stefan Hayn gefragt, ob es darin überhaupt um Kunst oder mehr um Politik geht. Natürlich beides, der Kunstbegriff ist mit der gesellschaftlichen Verfasstheit verschränkt. Es geht um die Autonomie von Einstellungen, den Bruch von Genres (am Dokumentarischen hat ihn nie das „Genre“ interessiert). Der Titel Malerei heute stellt einen Bezug zum Bildermachen her; das Anliegen ist die Sichtbarmachung einer Epoche der Restauration, in der emanzipatorische Errungenschaften wieder ins Konservative gewendet werden.

Reinhard Braun, die Theorieinstanz auf dem Podium, fühlt sich nur beschränkt willens und in der Lage, das Verhältnis von Kunst und Film zu bewerten, und kündigt an, dem Film gegenüber eher ketzerisch sein: Vor Filmen über Kunst im Fernsehen „fürchtet“ er sich. Sie sind zu sehr an Konzepten von Abbildung und Repräsentation orientiert – da ist der filmische Kunstbegriff nicht auf der Höhe dessen, was er zeigen will. Selten gibt es wirkliche Transferleistungen, und viel zu oft sind Kunstfilme einfach Künstlerporträts. Der Shift vom Künstler zum Kunstprodukt bei Adolph sei immerhin interessant, insofern er über ein romantisches Projekt hinausgeht. Doch ansonsten zeigt sich in Kunstfilmen meist nicht der hohe Reflexionsstand der Gegenwartskunst. Auch die vielen Kooperationsprozesse, die inzwischen jenseits vom einzelnen „Autor“ stattfinden, können nicht angemessen vermittelt werden.

Den pauschalen Vorwurf der Konventionalität von Kunst im Fernsehen möchte Inge Classen so nicht stehen lassen. Der Wunsch nach filmischem Erzählen ist zu berücksichtigen; aber die Redaktion fördert eben auch Projekte wie Malerei heute. Einen Grund für die zahlreichen Künstlerportraits vermutet Classen in der „Spiegelungslust“ vieler Filmemacher. Werner Ruzicka bringt den Begriff der Hagiographie ins Spiel. Die Ablehnung dieses Konzepts sei verständlich. Doch entkommt man wirklich dem Wunsch, über ein Individuum Zugang zum schöpferischen Akt zu finden?

Der positiven Einschätzung von Malerei heute schließt Braun sich an und lobt dessen Konzept der Konfrontation. Film und bildende Kunst werden darin ineinander verschränkt und vermitteln zudem den sonst unterrepräsentierten politischen Aspekte von Kunst. An Houwelandt bemängelt er das von Jörg Adolphs selbst beschriebene Verfahren, Bilder auszulassen, die den Protagonisten „demontieren“; es sei zuviel Kohärenz in den Bildern anstelle von Brüchen. Adolph entgegnet selbstbewusst, Kohärenz herzustellen sei die größere Herausforderung als Brüche (zudem sei es albern und brächte auch keinen Erkenntnisgewinn, etwa einen völlig verschwitzen John von Düffel zu zeigen).

„Wenn ein Film sehr weit geht, ist es schwierig, weiterzumachen“, sagt Stefan Hayn, nach Anschlussmöglichkeiten an Malerei heute gefragt (doch er hat durchaus Pläne, die er nur noch nicht verraten will). Über die Fernsehausstrahlung ist er froh, da sie die Tendenz des Abschiebens von emanzipatorischer Kunst bekämpft: „Es darf nicht alles in die Hochkultur entsorgt werden“. Ebenso sei der öffentliche Raum des Kinos zu verteidigen. Allerdings sitzt Malerei heute auch zwischen den Stühlen: Für Filmzuschauer ist er teilweise schwer zugänglich, bildenden Künstlern dagegen ist er zu sehr Film. Die Rezeption ist natürlich kontextabhängig. Das bringt Werner Ruzicka zum Thema der verstärkten Berührungspunkte zwischen Dokumentarfilm und Kunstevents – Film für ein „polymorph-perverses Publikum“.

Die Öffnung der Diskussion ins Publikum lässt zeitlich nur noch eine einzelne Wortmeldung von Gudrun Sommer zu. Sie greift Ruzickas Hinweis und die Ausgangsfrage der Darstellbarkeit auf: Es gibt eben nicht nur Kunst im Dokumentarfilm, sondern umgekehrt auch das Aufkommen dokumentarischer Formen im Kunstbetrieb. Und die Übersetzungsproblematik gelte nach beiden Seiten; jedes Medium hat seine eigenen Kriterien. Braun fragt nach, ob diese Kriterien im Dokumentarfilm denn „Naturgesetze“ seien. Allerdings ist er auch nicht an der Auflösung aller Grenzen interessiert – einen „Einheitsbrei der Versöhnung“ brauche man nicht. Das Schlusswort klingt trotzdem versöhnlich.