Film

Kinder der Schlafviertel
von Korinna Krauss, Janna Ji Wonders
DE 2005 | 35 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 29
01.11.2005

Diskussion
Podium: Korinna Krauss, Janna Ji Wonders
Moderation: Vrääth Öhner, Lars Klostermann
Protokoll: Torsten Alisch

Synopse

Junge Punks am Stadtrand von Moskau, in den Plattenbauten des Kommunismus. Sie sind die verlorene Jugend zwischen Gestern und Morgen und können mit den Erwartungen der Erwachsenen nichts mehr anfangen. „Trink, hab Spaß! Rasier dir schnell ’nen Iro und du wirst sehen, was wirklich zählt.“ Und das ist Freundschaft, Wodka und vor allem: Punk!  

Protokoll

Parfümierte Punks mit Computern und E-Gitarren.

Ein „Jack Kerouac für Anfänger“.

Moskauer PUNK®.

Eine „Gruppenarbeit“ aus der Filmhochschule.

Korinna Krauss und Janna Ji Wonders sind auf der Suche nach „provokativen Künstlerinnen“ und landen auf einem Punk-Konzert in Berlin. Die russische Vorgruppe führt sie nach Moskau.

“Punk“ wird in diesem Film sozial verortet, in den kalten Betonbauten der Vorstädte, im gleißenden Neonlicht leerer Hausflure und blanker Metalltüren. Im „Schlafviertel“ ziehen sich die Protagonisten zurück in ihre Wohnungen und Punk-Kinderzimmer. Die alte Punk-Rock-Szene hängt vergilbt an der Wand und über Prodigy und Nirvana wird diskutiert. Es gibt keine öffentlichen Plätze, Kneipen oder Konzerträume für ihre Pubertätsphantasien: Belmondo-like wird im Treppenhaus nervös geraucht und light- philosphiert. Ein globaler Mode-Punk, der auf der ganzen Welt anzutreffen ist: Brasilien, Türkei, Israel. Und nun eben Moskau. Ein gutbürgerlicher Proto-Punk, mit Parfüm, Computer und E-Gitarre.

Punk als Jugendbewegung GEGEN das Bestehende wird von einigen Zuschauern eingefordert, aber in diesem Film nicht gefunden. Auch zu „Strukturen der russischen Punk-Szene“ weiß niemand etwas zu sagen.

Die Interviews wurden ohne Russisch-Kenntnisse geführt, im Moment der Aufnahme wussten die Filmemacherinnen nicht, worüber geredet wird. Die Arbeit des Kameramanns Tim Fehlbaum wird gelobt, selbst in den engen Wohnungen lässt er den Personen ihre Distanz und schafft es, Spannungen zwischen ihnen einzufangen: Intensive Bilder der Vorstadt.

Den Film durchzieht eine grundlegende Sympathie für alle auftretenden Personen. Was sie in ihren eigenen Bildern vermissen, ist die „Angst“, die die beiden Filmemacherinnen beim Dreh hatten: Punks werden im „Schlafviertel“ ständig verprügelt und das Mädchen wurde während der Dreharbeiten zusammengeschlagen. Das Verhältnis zwischen Filmemacherinnen und Punkern war von gegenseitiger Achtung geprägt: Man nahm sich als Musik- bzw. Film-Künstler wahr, es gab nichts „Trennendes“, nur eine gewisse Fremdheit („aus einer anderen Welt“) – und allenfalls Diskussionen, ob der Film wirklich „echt“ und „authentisch“ sein könne.

In den „Anti-Pop-Songs“ manifestiert sich eine konkrete Liebesbeziehung zwischen den Protagonisten: Lieber melancholisch den modrigen Leichenduft der Geliebten riechen statt eines Tages als Kistenschlepper in einer Milchfabrik wegzudämmern.

Auf die Frage, warum der Film hauptsächlich Nacht-Bilder zeigt, lautet das Schlusswort: „Der Punk schläft tagsüber“. Ein „Film der abwesenden Väter“, der manchmal etwas zu „gediegen“ junge Künstlerträume hervorkehrt, so eine der wenigen kritischen Anmerkungen in dieser nächtlichen Diskussion.