Duisburger Filmwoche 26
_was geht?
4. bis 10.11.2002

Preisträger:innen

3sat-Dokumentarfilmpreis für den besten deutschsprachigen Dokumentarfilm

Gambling, Gods and LSD
von Peter Mettler

Der Film in seiner visuellen Neugier zeigt uns weniger die Räusche, in die Menschen sich versetzen, als den Wunsch und die Techniken, sich im Rausch zu verlieren und zu erkennen. Peter Metller allerdings hat als Regisseur in nüchternem Zustand gearbeitet. Er erkannte in Visionen die Traurigkeit von Illusionen. Er fand eine Balance von Distanz und Nähe oder auch von Diskretion und Erbarmungslosigkeit der Beobachtung. Seine filmische Virtuosität überzeugt immer, verlangt vom Zuschauer aber nicht, in Bewusstlosigkeit zu verfallen. Eine umherschweifende Kamera registriert Orte und Situationen staunend, teilnehmend und ohne sich zu ereifern. Und so schlägt uns Gambling, Gods and LSD in seiner formalen Entschiedenheit viele mögliche Lesarten von Wirklichkeiten und Sehnsüchten vor.

ARTE-Dokumentarfilmpreis für den besten deutschen Dokumentarfilm

schlittenschenken
von Erwin Michelberger, Oleg Tcherny

Der Film „schlittenschenken“ von Erwin Michelberger und Oleg Tcherny entwirft ein biografisches Kaleidoskop der ermordeten Schriftstellerin Renate Neumann. Dieser schlüssige wie unabgeschlossene Versuch einer Annäherung zeichnet sich aus durch eine angemessene Skepsis der Filmemacher gegenüber dem eigenen Projekt. Durch die Montage unterschiedlichen Materials – Erinnerungen von Freundinnen und Eltern, Texte der Schriftstellerin, Kindheitsbilder und verstörende Aufnahmen aus Palästina – werden Deutungsangebote gemacht, ohne dass abschließende Urteile gefällt werden. Der Film besitzt somit eine für das dokumentarische Arbeiten wesentliche Qualität: Er zeigt, was es heißt, über das Leben eines Menschen zu sprechen, ohne diesen auf anmaßende Weise zu vereinnahmen.

Förderpreis der Stadt Duisburg

Tehran 1380
von Solmaz Shahbazi, Tirdad Zolghadr

Der Film Tehran 1380 von Solmaz Shahbazi und Tirdad Zolghadr zeichnet sich dadurch aus, dass er vereinfachende Vorstellungen von den Lebensbedingungen im Iran problematisiert, indem er die Stadt Tehran als eine Metropole beschreibt, in der „Moderne“ und „Tradition“ auf komplexe Weise miteinander verschränkt sind. Durch eine visuell beeindruckende Studie exemplarischer architektonischer und städtebaulicher Situationen macht der Film die Komplexität der städtischen Realität von Tehran anschaulich. Er gibt keine einfachen Antworten, sondern präsentiert einen Konflikt zwischen unterschiedlichen Standpunkten in Bezug auf die Identität und Zukunft der Stadt. Solmaz Shabazi und Tirdad Zolghadr setzen sich engagiert mit ihrem Gegenstand auseinander, überprüfen zugleich aber auch sorgfältig und selbstkritisch die Wahl ihrer filmischen Darstellungsmittel. Wir würden uns sehr darüber freuen, wenn der Förderpreis der Stadt Duisburg dazu beitragen könnte, dass Solmaz Shabazi und Tirdad Zolghadr viele weitere Filme machen.

Publikumspreis der Rheinischen Post für den beliebtesten Film

Elsewhere
von Nikolaus Geyrhalter

Jurys

3sat-Dokumentarfilmpreis für den besten deutschsprachigen Dokumentarfilm

Sandra Kegel, Isabella Reicher, Christoph Schneider

ARTE-Dokumentarfilmpreis

Mark Stöhr, Birgit Kohler, Jan Verwoert

Kommission

Jutta Doberstein
Geboren 1966. Assistenztätigkeiten bei Filmfestivals und Standphotographie. Filmstudium in London. Seitdem eigene Dokumentarfilme und Bühnenprojektionen für verschiedene Theater. Außerdem arbeitet sie als Kamerafrau und Übersetzerin. Filme: „Skin Fields“ (1991), „Ewig und Drei Tage“ (1993, zusammen mit Volker Köster).

Hilde Hoffmann
Geboren 1968. Studium der Film- und Fernsehwissenschaft, Politik und Neuere Geschichte in Bochum und Glasgow. Konzeption und Realisation von Medienprojekten, Tagungen und Festivals. Seit 1999 Wissenschaftliche Mitarbeit am Institut für Film- und Fernsehwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Mitglied der Bochumer Diskurswerkstatt. Mitgestaltung des regionalen Film- und Videofestivals „Blicke aus dem Ruhrgebiet“. Publikationen im Bereich Film- und Fernsehwissenschaft zuletzt mit Judith Keilbach: „Spielleiter zwischen Medienkritik und Normalismus — Beobachtungen zur Darstellung des Fernsehens in Spielfilmen“ zusammen mit Judith Keilbach. In: Gottschalk, Kerner und & Co; Hrsg. Parr, Rolf & Thiele, Matthias. 2001 Edition Suhrkamp

Vrääth Öhner, Dr. phil.
Geboren 1965 in Linz. Studium der Publizistik- und Kommunikations- sowie der Theaterwissenschaft an der Universität Wien. Freier Film-, Medien- und Kulturwissenschafter. Lehrbeauftragter an der Universität Wien. Mitbegründer des Verlagsprojekts PVS Verleger. Von 1995 – 1999 Redaktionsmitglied der Filmzeitschrift „Meteor“. Arbeitet derzeit im Rahmen von zwei Forschungsprojekten über „Repräsentation von Jugendkultur im Fernsehen“ sowie über „Fernsehen – Geschichte – Gedächtnis“. Lebt in Wien.

Werner Ružička
Geboren 1947. Studium der Germanistik, Philosophie und Sozialwissenschaften in Bochum. Ab 1974 Leiter der kommunalen Filmarbeit in Bochum. 1978-82 Mitarbeiter am dokumentarischen Langzeit-Projekt „Prosper / Ebel – Eine Zeche und ihre Siedlung“ als Regisseur und Produktionsleiter. Nach 1982 verschiedene Arbeiten für Fernsehen und Theater. Seit 1985 Leiter der Duisburger Filmwoche. Juror u.a. bei den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen, den Österreichischen Filmtagen Wels und beim Adolf Grimme Preis. Lehraufträge für Dokumentarfilm, u.a. an der Hochschule für Film und Fernsehen München, sowie Goethe-Institut-Seminare über Dokumentarfilm u.a. in China und Israel.

Gudrun Sommer
Geboren in der Steiermark. Studium der Philosophie in Graz und Bochum. Mitarbeit bei verschiedenen Film- und Fernsehfestivals wie der International Public Television Screening Conference, den Kurzfilmtagen Oberhausen und den Internationalen Filmfestpielen Berlin. Jurymitglied der deutschen INPUT Vorauswahl. Seit 1998 Festivalorganisation bei der Duisburger Filmwoche.

Fred Truniger
Geboren 1970. Studium der Filmwissenschaft und Germanistik an den Universitäten Zürich, FU und HU Berlin. Ab 1992 Mitarbeiter des Int. Film-, Video- und Multimediafestivals VIPER Luzern und dort 1995 Gründer und Leiter des Multimedia-Programmes. Konzeption von Filmprogrammen und Symposien u.a. des Sonderprogrammes „Nützliche Bilder“ an den Kurzfilmtagen Oberhausen 1998. Seit April 2001 Assistent am Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur an der ETH Zürich, Lehr- und Forschungsbeauftragter im Bereich filmischer Raum- und Landschaftswahrnehmung.

Filme

Behind Me (Norbert Wiedmer | CH 2002)
Elsewhere (Nikolaus Geyrhalter | AT 2001)
Jericho-Verschwörung (Robert Bosshard, Friedhelm Schrooten | DE 2002)
Auf allen Meeren (Johannes Holzhausen | AT 2001)
Macau Handover (Hanspeter Ammann | CH/CN 2002)
der wackelatlas- sammeln und jagen mit H. C. Artmann (Emily Artmann, Katharina Copony | AT 2001)
Voll Spezial. Berliner Jugendliche im Zeltlager (Michael Fetzer | DE 2002)
Mein kleines Kind (Katja Baumgarten | DE 2001)
A Bookshelf on top of the Sky (Claudia Heuermann | DE 2002)
Sea Concrete Human (Michael Palm | AT 2001)
Paralleluniversen (Carolin Schmitz, Heike Mutter | DE 2001)
schlittenschenken (Erwin Michelberger, Oleg Tcherny | DE 2002)
Laut und deutlich (Maria Arlamovsky | AT 2002)
Auf demselben Planeten (Katrin-Charlotte Eißing | DE 2002)
On/Off the Record (Jörg Adolph | DE 2002)
Tehran 1380 (Solmaz Shahbazi, Tirdad Zolghadr | DE 2002)
Sarajevo Guided Tours. A Journey To A Real And Imagined Place (Isa Rosenberger | AT 2002)
Peiden (Mattias Caduff | CH 2002)
Vaterland (Thomas Heise | DE 2002)
Gambling, Gods and LSD (Peter Mettler | CH/CA 2002)
Mirabella / Sindelfingen (Andreas Pichler | DE/DK/IT 2001)
Unternehmen „Paradies“ (Volker Sattel | DE 2002)
Karma Cowboy (Sonja Heiss, Vanesse van Houten | DE/US 2001)
Hamlet – This is your family (Peter Kern | DE 2001)

Extras

thanatotronics – ein praktikum zur medienarchäologie. Ein Projekt von monochrom, Gebhard Sengmüller, Herwig Turk

Daneben, dahinter, dazwischen, dabei: Bedingungen und Versionen des Authentischen im Fernsehen
Der Polizeistaatsbesuch (Roman Brodmann | DE 1967)
Der Tag, der in der Handtasche verschwand (Marion Kainz | DE 2001)
Schwarzwaldhaus 1902 – Das Leben vor 100 Jahren (Volker Heise, Rolf Schlenker)

Motto

_was geht?

Was geht im Dokumentarfilm im Zeitalter televisueller Massenproduktion? Was geht in Duisburg im Zeitalter kultureller Massenveranstaltungen? Das Verlangen nach „wahren“ Bildern ist groß, der Sättigungsgrad mit Formaten von überraschender formaler Gleichheit längst erreicht. Stillstand in der Bewegung. Kommende regional-kulturelle Großveranstaltungen an historisch besetzten Orten fördern die kulturelle Nivellierung und verklären das Bewusstsein für (die eigene) Geschichte. Biografische Schnittmuster dienen nicht selten als Aufklärungsangebot für die persönliche und mediale Vergangenheit. Momente werden konserviert, differenzierte Standpunkte eingeebnet. Und immer ruft die Gegenwart: Es geht doch sowieso schon alles, oder? Und was geht überhaupt in Österreich? Und was geht überhaupt in der Schweiz?