Der Polizeistaatsbesuch
von Roman Brodmann, D, 1967, 45 Min.
Protokoll
Was geht? eröffnet Drehli Robnik das Extra und antwortet absichtlich wort(spiel) reich und assoziativ. Denn, einiges geht. Besonders bei diesem Thema ist die Fragestellung ja sehr ergiebig. Die Frage impliziert was geht authentisch – nicht was ist authentisch. Authentizität als ein verschiebbarer Grenzwert, authentisch „im Sinne von…“. Die Herstellbarkeit des Effektes von Authentizität, die Unterscheidung zur Nicht-Authentizität. Wie geht das, Authentizität herstellen?
Die Frage nach dem Wie sollte nun aus einer historischen Perspektive gestellt werden. Herstellungsweisen des Authentischen, damals bis heute. Was ging damals, was geht heute nicht mehr, was geht noch? Was bleibt?
Zu Beginn seines Vortrags spricht Oliver Fahle drei Besonderheiten von Polizeistaatsbesuch an:
1. Der Film produziert auch eine historische Begebenheit. Der Besuch des Schahs und der Tod des Studenten Benno Ohnesorg in der Geschichte Deutschlands: Mit dem ersten Menschenopfer wurde eine Schwelle übertreten. Die Anfänge der Studentenbewegung. Der Film wohnte einer Situation bei, die entscheidend, auslösend war.
2. Die kritische Haltung des Films: Der Besuch war Anlass für Brodmann, nicht nur den Besuch zu kritisieren, sondern auch den gesellschaftlichen Gesamtzustand Deutschlands kritisch zu kommentieren: Aspekte wie das traditionelle Untertanentum, die militaristische Tradition, und dergleichen.
3. Der Film bringt eine Krise und ein Ereignis zusammen. Der Schuss als das Ereignis, als Höhepunkt der Situation. Die Krise im Sinne der Vorbereitungen und des Ablaufs des Besuches. Das gesellschafts- politische Umfeld als Krise.
Besonders beim letzten Punkt zeigt sich ein wichtiger Unterschied bei dem Dokumentarischen im Fernsehen im Vergleich zum Dokumentarischen im Film. Fernsehen konzentriert sich eher auf das Ereignis, das entscheidende Moment, um authentisch zu sein. Dokumentarfilm konzentriert sich eher auf die Krise rundherum, auf eine länger andauernde Zeitspanne.
Nun setzt Fahle den Film in einen historischen Rahmen. Polizeistaatsbesuch wurde in der SWR Reihe „Zeichen der Zeit“ produziert, in der zahlreiche stark autorenorientierte bzw. –zentrierte Filme gefördert wurden, und in der man auch eine bewusste Opposition von Dokumentarfilm zum aufkommenden Live Fernsehen (neu: MAZ) wollte, da man dabei an mehr kritisches Potential glaubte. Weitere Einflüsse waren Redakteure, die vom Spiegel kamen, und auch die Ästhetik von Sportreportagen.
Der wichtigste Einfluss auf den Dokumentarfilm dieser Zeit waren natürlich Direct Cinema und Cinema Verité, sowie auch die Nouvelle Vague im Spielfilm. Fahle führt in die Konzepte und Ideen von Direct Cinema und Cinema Verité ein. Hierbei mahnt er zur Vorsicht bei der weitverbreiteten Meinung, dass deren Ästhetik durch die damals neue Technik (leichte Kameras, tragbare Tongeräten, Richtmikros, empfindlicherer Film) entstand, denn der italienische Neorealismus hat da entscheidende (ästhetische) Vorarbeit geleistet (Laienschauspieler, Fragmente akzeptiert, etc.). Er hat nicht nur einen ästheitschen Bruch vollzogen, sondern auch einen epistemischen Bruch, da schon hier die Vorraussetzungen abgeändert wurden, für ein Denken das diese Ästhetik ermöglicht oder gar akzeptiert. In anderen Worten: Es wurde vorher schon diese Ästhetik gedacht und vorbereitet (ital. NR), dann gab es die neue Technik dafür.
Fahle will auch nicht Direct Cinema und Cinema Verité gegeneinander ausspielen, sondern festhalten, dass Cinema Verité eben eine Situation bewusst provoziert, Direct Cinema sich eher in eine crisis situation begibt, um dort zu filmen. Cinema Verité beeinflusste auch Godard, dessen Ansatz von der Idee getragen ist, dass jede Art von Wirklichkeit immer schon kodiert wurde, woraus folgt, dass es keinen Unterschied zwischen Doku und Fiktion mehr gibt. Das Dokument ist immer schon fiktional verstellt.
Fahles erste These: Polizeistaatsbesuch vereinigt die Perspektiven von Direct Cinema und Cinema Verié (+Godard).
Der Film versucht bewusst, eine vorgefundene Wirklichkeit einer eigenen Lektüre zu unterziehen. Durch die Kodierung der vorgefundenen Wirklichkeit produziert der Film wieder Wirklichkeit. Soweit der Anteil an Cinema Verité, incl. Godard. Besonders die Szenen der Demonstrationen in Berlin sind, offensichtlicher, dem Direct Cinema zuzuordnen. Dieser Kurzschluss von repräsentiertem und Repräsentation funktioniert laut Fahle besonders im Fersnehen gut als Strategie für Authentizität.
Die zweite These: Mit dieser Kombination der Kodierung von Wirklichkeit und dem direkten Lesen von/Eindringen in die Wirklichkeit muss sich der Dokumentarfilm bis heute beschäftigen.
In Brodmanns Film fehlt jedenfalls, so Fahle, das Misstrauen gegen die eigenen Bilder – im Unterschied zu Godard. Brodmann produziert Bilder um sie zu dekodieren. Die alte Idee dabei: Von da auf den Moment der Wahrheit (Konsens) zu kommen, was wiederum zum Aufklärungsgedanken führt. Ein moderner Ansatz würde verlangen sein eigenes Hinterfragen wieder zu hinterfragen, und das wieder zu hinterfragen, etc. Fahle erwähnt Deleuze: Laut ihm gibt es keine Möglichkeit mehr vor die Lüge der Bilder zurück zu kommen, die Bilder produzieren sich selbst. Fernsehen ist wenig selbstreferentiell, funktioniert eher durch Referenzialität. Jeder Dokumentarfillm muss (soll?) eine Spannung haben zwischen über einen Referent verfügen und aber auch selbst verfügen über diese Referenz.
Drehlink eröffnet dann die Diskussion mit der Frage, ob man mit Selbstreflexion dann nicht die eigenen Authentizitätsstrategien aushebelt. Fahle: Das sst beides, da Selbstreflexion einerseits auf jeden Fall eine Steigerung der Authentizität mit sich bringt, also eine Authentizitätsstrategie ist, aber auch eine Verabschiedung von Authentizität, weil ja der dokumentarische Blick negiert wird.
Fahle bejaht die erste Publikumsfrage, ob Brodmanns Ironie im Film nicht auch selbstreferentiell ist. Aber die Grundstrukturierung, die Meinung des Films, ist eine Kritik, bzw. ein Gegengewicht zur offiziellen Version, der er aber durch die Ausstrahlung in der ARD aber auch selbst wieder ein Teil ist.
Die nächste Frage aus dem Publikum eröffnet eine längere Diskussion. Wie ist das im Direct Cinema mit dem Unterschied zwischen Krise und Ereignis? Das Ereignis ist eher punktuell, während die Krise dauerhafter oder nur das Danach ist, versucht es Fahle. Er betont dann aber, dass es da natürlich viele Kopplungen zwischen Krise und Ereignis gebe, vielelicht sogar gegenseitige Bedingungen. Aber eine analytische, medienkulturelle Unterscheidung ist sicher hilfreich.
Fahle und Publikum sind sich auch einig, dass die elektronische Materialität des Fernsehbilldes (schnell) sich eher für „Krise“ eignet als die analoge Materialität des Films/Kinos (langsamer), und sich somit auch einer anderen Wahrnehmung und Rezeption öffnet . Fahle verweist dabei auf McLuhan.
Nach der Frage ob der Schuß im Film echt oder vielleicht doch nachsynchronisiert wurde (Fahle: Material mit dem Schuß war ziemlich sicher echt), kommt der Widerspruch aus dem Publikum, dass der Schuß das Kernelement im Film ist. Er ist vielmehr das Kernelement des historischen Ereignisses, nichts deutet im Film aber darauf hin, dass es darauf zuläuft. Es wird angefügt, dass man damals nicht um den riesigen Effekt des Schusses wußte. Fahle stimmt zu: Aus dokumentarfilmischer Perspektive war es ein „Glücksgriff“, dass die Kaerma da live dabei war. Der Film war sich damals selbst nicht bewusst, welche historischen Folgen das haben würde. Also: Nicht ein unbedingter Telos, aber der Schnitt im fertigen Film läuft schon auch darauf hin Aber Ankunft und Abreise des Schahs bleibt der wichtige Rahmen für das Hauptthema des Filmes,die Staats- und Gesellschaftskritik. Der Schuß ist nicht der einsame Höhepunkt.
Ein Herr aus dem Publikum erinnert sich, dass die Demo in Berlin damals schon ein vorraussehbarer Höhepunkt des Besuchs sein würde, klarerweise nicht der Schuß. Und: Der Film wurde damals sieben Wochen danach im Hauptabendprogramm der ARD gezeigt, und es war sehr mutig den Film an so einem prominenten Sendeplatz zu zeigen, noch dazu einem bürgerlichen Publikum das sicher nicht auf der Seite der Studenten war. Der Film wurde von der Mehrheit der Zuschauer als Anmaßung empfunden, auch weil er ohne damals üblichen, einleitenden Kommentar ausgestrahlt wurde. Er würde gerne heute so einen Film über die heutige Gegenwart sehen.
Dem wird auch aus dem Publikum, angefügt, das da allerdings eine bewusste Ironie für ein vorraussehbares Publikum auch angewandt wurde..
Ein weiterer Kommentar versteht den Film nicht so klar auf der Seite der Studenten, sondern sieht da eher eine „aufgeklärte Fernseh-Ironie-Objektivität“. Der Film erinnert auch an Triumph des Willens, ein Führer kommt im Flugzeug, fiegt wieder weg.
Bald darauf muss Drehlink das Gespröch wegen „Handzeichen aus dem authentischen Hintergrund“ (vgl. Öhners „Topos des ‚Dahinter'“(Katalog,S.93) beenden.