Film

Vaterland
von Thomas Heise
DE 2002 | 90 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 26
08.11.2002

Diskussion
Podium: Thomas Heise, Peter Badel (Kamera)
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Aycha Riffi

Synopse

Topographien eines historischen Territoriums. Die Militärgebäude aus Kriegs- und Nachkriegszeiten stehen leer, die wenigen Bewohner des kleinen Örtchens in Ostdeutschland treffen sich am liebsten in der Dorfkneipe. Draußen liegt eine nicht zu verortende Melancholie in der Luft, und es scheint, als würden die eigenen vier Wände den nötigen Schutz bieten, um von sich und seinen Befindlichkeiten zu erzählen.

Protokoll

Ergänzungen zum Film:

Der Ort liegt in Sachsen-Anhalt; ein Dorf an einer Nebenstraße; ein Ort, an den „man so nicht kommt“. Dort war ein Arbeitslager für jüdische Mischlinge, in dem der Vater des Regisseurs und dessen Bruder die Briefe ihres Vaters erhalten und beantwortet haben. Die Briefe hatte Thomas Heise schon lange. Den Ort besuchte er 1987/88 – jetzt war neben dem Dorf ein Flughafen für sowjetische Flugzeuge – und es entstand das im Film verwendete Videomaterial.

„Im Zentrum des Dorfes“ in Ottis Kneipe, begann das Interesse für die Menschen des Ortes. Damals traf man dort Kinder, erwachsene Frauen, Männer. Im Heute des Films sitzen in der Kneipe nur noch die Männer; Weihnachten ist die Ausnahme.

Die ‚altenʼ Videoaufnahmen sollten der Beginn eines frühen Filmprojekts sein, das damals nicht verwirklicht wurde. Im Film wirken die Aufnahmen vielleicht wie ein „Vorher–nachher-Kontrast“, denn sie belegen zum Beispiel die permanente Geräuschkulisse durch den Flughafen damals im Vergleich zu der heutigen Stille: Heute liegt der Flughafen und das gesamte Gelände brach. Trotz dieser Chronologie interessiert Thomas Heise die Gleichzeitigkeit von verschiedenen Zeiten, die in dem Ort zu finden ist. („Die Russen sind nicht mehr da und doch noch da.“)

Feststellungen:

Dass es verschiedenen Formen von Vaterschaft gibt – wird gesagt. Auch dass der Kneipier „ein Vater des ganzen Dorfes“ ist und dass es Darstellungen von misslungener und „nicht errungener Vaterschaft“ gibt.

Erklärungen:

Um in die „Kugelwelt“ hineinzugelangen, brauchte es Zeit, Geduld und Offenheit. Während der Dreharbeiten wollte das Filmteam den Ort nicht verlassen und blieb vier Wochen, wohnte im Haus eines Dorfbewohners. So kann Vertrauen entstehen. Und trotzdem gab es Inszenierungen (zwei werden von Werner Ruzicka genannt). Die Inszenierungen liegen hauptsächlich auf der Tonebene und zeigen auf neue/zusätzliche Motive, die der Zuschauer nutzen kann – oder auch nicht, sagt Thomas Heise.

Auch werden Szenen, die die Protagonisten „nicht gut aussehen lassen“, in die Diskussion eingebracht.

Noch einmal: Das „langsame Herantasten“ an die Dorfbewohner ließ Nähe zu. Jeder wurde gezeigt wie er ist, nichts wurde verändert: „Wir fallen über niemanden her“, sagt Peter Badel. Über eine Tonaufnahme befragt, wird aufgeklärt, dass es sich um ein nicht–bearbeitetes Tondokument des letzten Angriffs auf Berlin handelte.

Ob ein Kontrast zwischen der starken, der hoch gestochenen Sprache der Briefe und der der Protagonisten gewollt sei und dass die Briefe und die Filmhandlung nicht zusammengebracht werden konnten, ist eine Frage und Bemerkung aus dem Publikum.

Für Thomas Heise finden sich in den Brieftexten Motive, die auch für das Dorf und die Dorfbewohner Bedeutung haben, und er verweist zusätzlich auf eine besondere Sprache, die sich auch bei den Dorfbewohnern finden lässt:

„Ich bin froh, dass ich hier bin. Ich muss ja nicht glücklich sein.“