Duisburger Filmwoche 25
happy birthday
5. bis 11.11.2001

Preisträger:innen

ARTE-Dokumentarfilmpreis für den besten deutschen Dokumentarfilm

Der chinesische Markt
von Zoran Solomun, Vladimir Blazevski

Der Film von Z. Solomun und V. Blazevski macht den abstrakten Prozeß der Globalisierung faßbar durch die konkrete Beschreibung des sogenannten chinesischen Marktes in Budapest. Im Schatten der globalen Kapitalflüsse entsteht hier seit 1992 eine Form der Warenzirkulation, die nichts gemein hat mit den Börsengeschäften der „Global Players“, sondern eher einer frühkapitalistischen Form des Kleinsthandels gleichkommt. Der Film zeigt Menschen, die von diesem Handel leben. Sie kommen aus Rumänien, Mazedonien, Bosnien und anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks und legen unter größten Mühen hunderte von Kilometern zurück, um auf dem Markt billige Waren zu kaufen und für einen geringen Gewinn in ihrer Heimat zu verkaufen. Dem Film gelingt es, konkrete Bilder für wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge zu finden, ohne jemals deren Komplexität zu reduzieren. In zahlreichen Momentaufnahmen von Szenen auf Märkten, an Grenzübergängen, in Privatwohnungen beschreibt der Film die sozialen Hintergründe und Überlebensstrategien von Menschen, die unter dem Druck der neuen wirtschaftlichen Verhältnisse um ihre Existenz kämpfen. Auf beeindruckende Weise entwirft der Film prozesshaft ein Netzwerk aus sich überkreuzenden Biographien und Handelswegen und bringt so sowohl die strukturelle Dimension der wirtschaftspolitischen Zusammenhänge als auch die existentielle Dimension der menschlichen Schicksale, die durch diese Zusammenhänge bestimmt werden, zur Darstellung.

3sat-Dokumentarfilmpreis für den besten deutschsprachigen Dokumentarfilm

Aufnahme
von Stefan Landorf

Beeindruckt hat uns unter anderem, wie sich „Aufnahme“ – ein Langfilmdebüt – seinem Gegenstand nähert: Er führt in Bild „und“ Ton filmisch schlüssig die Klinik als Maschinerie vor Augen — eine Maschinerie, die Personal und Patienten unweigerlich mit einschließt. Er rückt systemimmanente Routinen, Handgriffe, Abläufe als ebensolche in den Mittelpunkt, die den Klinikalltag ebenso prägen wie sie üblicherweise unsichtbar bleiben.
Die Entscheidung war diesmal nicht leicht — und sie ist deshalb auch nicht einstimmig ausgefallen.

Förderpreis der Stadt Duisburg

Danach hätte es schön sein müssen
von Karin Jurschick

Jurschicks Film erzählt von den Möglichkeiten und Grenzen der Verständigung mit dem eigenen, 91-jährigen Vater — eine Verständigung, die durch den frühen Freitod der Mutter belastet ist. Mit ihrer Gegenüberstellung eines radikal subjektiven Kamerablicks, der die eigene Person nicht verschont, und eines Kommentars, der das wenige Objektivierbare dieser Familiengeschichte versammelt, entwirft die Regisseurin ein verstörendes Vexierbild von Nähe und Fremdheit. Zugleich tastet Karin Jurschick in zu Chiffren verdichteten Bildern ein Stück Zeitgeschichte ab: Deutschland privat, was sich zeigen läßt — aber auch, was sich dem Zugriff der Kamera entzieht.

Publikumspreis der Rheinischen Post

Absolut Warhola
von Stanislaw Mucha

Jurys

ARTE-Dokumentarfilmpreis

Birgit Kohler, Mark Stöhr, Jan Verwoert

3sat-Dokumentarfilmpreis

Pierre Lachat, Christiane Peitz, Isabella Reicher

Kommission

Jutta Doberstein
Geboren 1966. Assistenztätigkeiten bei Filmfestivals und Standphotographie. Filmstudium in London. Seitdem eigene Dokumentarfilme und Bühnenprojektionen für verschiedene Theater. Außerdem arbeitet sie als Kamerafrau und Übersetzerin. Filme: „Skin Fields“ (1991), „Ewig und Drei Tage“ (1993, zusammen mit Volker Köster).

Hilde Hoffmann
Geboren 1968. Studium der Film- und Fernsehwissenschaft, Politik und Neuere Geschichte in Bochum und Glasgow. Konzeption und Realisation von Medienprojekten, Tagungen und Festivals. Seit 1999 Wissenschaftliche Mitarbeit am Institut für Film- und Fernsehwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Mitglied der Bochumer Diskurswerkstatt. Mitgestaltung des regionalen Film- und Videofestivals „Blicke aus dem Ruhrgebiet“. Publikationen im Bereich Film- und Fernsehwissenschaft zuletzt mit Judith Keilbach: „Spielleiter zwischen Medienkritik und Normalismus — Beobachtungen zur Darstellung des Fernsehens in Spielfilmen“ zusammen mit Judith Keilbach. In: Gottschalk, Kerner und & Co; Hrsg. Parr, Rolf & Thiele, Matthias. 2001 Edition Suhrkamp

Vrääth Öhner, Dr. phil.
Geboren 1965 in Linz. Studium der Publizistik- und Kommunikations- sowie der Theaterwissenschaft an der Universität Wien. Freier Film-, Medien- und Kulturwissenschafter. Lehrbeauftragter an der Universität Wien. Mitbegründer des Verlagsprojekts PVS Verleger. Von 1995 – 1999 Redaktionsmitglied der Filmzeitschrift „Meteor“. Arbeitet derzeit im Rahmen von zwei Forschungsprojekten über „Repräsentation von Jugendkultur im Fernsehen“ sowie über „Fernsehen – Geschichte – Gedächtnis“. Lebt in Wien.

Werner Ružička
Geboren 1947. Studium der Germanistik, Philosophie und Sozialwissenschaften in Bochum. Ab 1974 Leiter der kommunalen Filmarbeit in Bochum. 1978-82 Mitarbeiter am dokumentarischen Langzeit-Projekt „Prosper / Ebel – Eine Zeche und ihre Siedlung“ als Regisseur und Produktionsleiter. Nach 1982 verschiedene Arbeiten für Fernsehen und Theater. Seit 1985 Leiter der Duisburger Filmwoche. Juror u.a. bei den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen, den Österreichischen Filmtagen Wels und beim Adolf Grimme Preis. Lehraufträge für Dokumentarfilm, u.a. an der Hochschule für Film und Fernsehen München, sowie Goethe-Institut-Seminare über Dokumentarfilm u.a. in China und Israel.

Gudrun Sommer
Geboren in der Steiermark. Studium der Philosophie in Graz und Bochum. Mitarbeit bei verschiedenen Film- und Fernsehfestivals wie der International Public Television Screening Conference, den Kurzfilmtagen Oberhausen und den Internationalen Filmfestpielen Berlin. Jurymitglied der deutschen INPUT Vorauswahl. Seit 1998 Festivalorganisation bei der Duisburger Filmwoche.

Fred Truniger
Geboren 1970. Studium der Filmwissenschaft und Germanistik an den Universitäten Zürich, FU und HU Berlin. Ab 1992 Mitarbeiter des Int. Film-, Video- und Multimediafestivals VIPER Luzern und dort 1995 Gründer und Leiter des Multimedia-Programmes. Konzeption von Filmprogrammen und Symposien u.a. des Sonderprogrammes „Nützliche Bilder“ an den Kurzfilmtagen Oberhausen 1998. Seit April 2001 Assistent am Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur an der ETH Zürich, Lehr- und Forschungsbeauftragter im Bereich filmischer Raum- und Landschaftswahrnehmung.

Filme

Absolut Warhola (Stanislaw Mucha | DE 2001)
Moscouw (Joerg Th. Burger | AT 2001)
Normalität 1–10 (Hito Steyerl | DE/AT 2001)
Leben nach Microsoft (Corinna Belz, Regina Schilling | DE 2001)
Konzert im Freien (Jürgen Böttcher | DE 2001)
Dienstleistung: Fluchthilfe (Oliver Ressler, Martin Krenn | DE/AT 2001)
Prüfstand 7 (Robert Bramkamp | DE 2001)
Der kleine Lärm (Marc Helfers | DE 2001)
Der chinesische Markt (Zoran Solomun, Vladimir Blazevski | DE 2000)
El Viaje en Taxi (Nico Gutmann | CH 2001)
Remote Sensing (Ursula Biemann | CH 2001)
Aufnahme (Stefan Landorf | DE 2001)
Fontaine de Vaucluse (Wolfgang Lehmann, Florian Krautkrämer | DE 2001)
Black Box BRD (Andres Veiel | DE 2001)
Danach hätte es schön sein müssen (Karin Jurschick | DE 2001)
Liebe schwarz-weiß (Britta Wandaogo | DE 2001)
Bitterfeld, 1992 (Mathias Knauer | CH 2001)
Die Schöpfer der Einkaufswelten (Harun Farocki | DE/AT 2001)
Limes: Bio-Border/Park/Spektakel (wr | AT 2001)
Asta E (Thomas Ciulei | DE 2001)
50374 Erfstadt (Dirk Lütter | DE 2001)
Rivers and Tides – Fluß der Zeit (Thomas Riedelsheimer | DE 2000)
Gegen den Strom – Eine Bürgerinitiative (Martina Theininger | AT 2001)
Thomas Pynchon – A Journey into the Mind of [P.] (Fosco und Donatello Dubini | DE/CH 2001)

Extras

Regionales Leuchten (Peter Piller)

Das Medium kocht – Über Kochsendungen im Fernsehen

Thomas Heise
Das Haus/1984 (Thomas Heise | DE 2001)
Volkspolizei/1985 (Thomas Heise | DE 2001)

Anmerkungen zur Lage. „It is my hope that in the months and years ahead, life will return almost to normal.“ (George W. Bush, 20. 9. 01) Denkanstöße angesichts der Denormalisierung nach dem 11. September 2001. Vortrag und Diskussion, Jürgen Link (Universität Dortmund)

Flashback. 25 Jahre Duisburg

Motto

happy birthday

Es wird angerichtet!

25 Jahre Dokumentarfilm in Duisburg.

Ein Jubiläum kommt selten allein, sondern transportiert Erwartungen an sich selbst. Es symbolisiert eine Schnittstelle: die zwischen geleisteter Festivalpolitik und künftig zu leistender Arbeit an Bildern. In der Tradition steht das stringente Konzept der Duisburger Filmwoche, jedem Beitrag ausreichend Raum zu bieten und eine hohe Diskussionskultur etabliert zu haben. Die verschiedenen Formen des dokumentarischen Sehens sind eng an das Sprechen über Bilder — die Fortführung des dokumentarischen Blicks — gekoppelt.

Die Filmwoche 2001 will keine unbewegliche Vergangenheitsbewältigung inszenieren. Vielschichtiges Material und spannende Extras zeichnen das diesjährige Festival aus: Sinnliches und Ernstes werden sich in Duisburg begegnen.
Die Suche nach Formaten, die der konstanten dokumentarischen (Ab)bilderflut etwas entgegensetzen, hat bereits begonnen: Ende Juli fand die erste Sichtung statt. Die Zwischenbilanz ist durchaus positiv. Wir harren gespannt der Bilder, die uns im September begegnen werden. Einsendschluß für Beiträge aus Österreich, der Schweiz und Deutschland ist der 24. August.

Entgegen aller Jubiläumstraditionen werden in diesem Jahr neue Gesichter die Bühne betreten. Neben Festivalleiter Werner Ruzicka und der Filmemacherin Jutta Doberstein freuen wir uns, vier neue Kommissionsmitglieder begrüßen zu dürfen, die ein mögliches Verharren in eigenen Festivalstrukturen verhindern und den Bilderdiskurs lebendig halten. Neu an Bord sind die Filmwissenschaftlerin und Mitorganisatorin der „Blicke aus dem Ruhrgebiet“ Hildegard Hoffmann, Medienwissenschaftler Vrääth Öhner aus Wien, der Züricher Filmwissenschaftler und freie Kurator Fred Truniger sowie Gudrun Sommer, langjährige Organisatorin der Filmwoche. In diesem Sinne wird im November ein frischer Wind in Duisburg wehen.

Duisburger Fimwoche 2001: Probieren Sie ein Stück vom Kuchen!