Film

Elsewhere
von Nikolaus Geyrhalter
AT 2001 | 240 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 26
05.11.2002

Diskussion
Podium: Nikolaus Geyrhalter, Wolfgang Widerhofer (Schnitt)
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Andrea Reiter

Synopse

Ein Tableau in zwölf Episoden. Im Jahr 2000 begibt sich der Filmemacher für jeweils einen Monat an zwölf verschiedene Orte dieser Welt und hält Momente des alltäglichen Lebens fest. Zwei Männer beklagen sich über Brigitte Bardot, Kinder spielen Nintendo in der Wildnis, zwei Frauen erzählen von ihrem Leben mit dem selben Ehemann. Woanders ist überall und nirgends, eine Frage der eigenen Sichtweise.

Protokoll

Nikolaus Geyrhalter, von einem riesigen Team unterstützt – „was dahinter steckte“ wurde im Nachspann eindrucksvoll bewiesen, zeigt mit Elsewhere eine Welterfahrung durch Welterkundung. Vorführend – für das Publikum nachzuempfinden.

Werner Ruzicka nimmt einen Anklang „milden Größenwahns“ wahr, möchte auf das gesucht Durchlebte und Durchstandene zu sprechen kommen, was durchaus als Kompliment zum Wagnis, sich physisch und mental auf beeindruckende Weise disloziert zu haben, verstanden werden könne. Erst einmal wird er über die Struktur des Filmes aufgeklärt. Es war die Idee, einen Film über das Jahr 2000 zu drehen und die Situation ethnischer Minderheiten innerhalb einer zeitlichen Positionierung zu schildern. Naheliegenderweise in zwölf Kapitel gegliedert, stellt die zeitliche Orientierung nur ein Moment der formalen Strukturierung des Filmes dar. Tatsächlich sind die Zeiten „authentisch“. Der März in Namibia wurde tatsächlich in jenem Monat gedreht.

Länder und Koordinaten sollten im Film ebenso variieren wie klimatische Gegensätze. Mit gleicher Priorität wollte man Abwechslungsreichtum innerhalb der Dramaturgie des Filmes erzielen. So mussten wiederum die logistischen Möglichkeiten berücksichtigt werden, denn das Filmteam war mit zentnerweise Gepäck unterwegs.

Hinter der schematischen Gliederung in zwanzigminütige Episoden steckte die mediale Weitsicht, eine Art fernsehtaugliches Format zu schaffen, zugleich sollte ein „simpler Aufbau“ für den Zuschauer unterstützend wirken. Dass sich aus diesen Vorgaben eine „Kunststruktur“ ergeben würde, war eine durchaus bewusste Entscheidung.

Schmunzelnd den Begriff des Größenwahns aufgreifend, spricht Geyrhalter das hohe Produktionsbudget an, das ihm u.a. durch österreichische Filmfördermittel zur Verfügung gestellt wurde und angemessen ausgegeben werden sollte. In einem Nebensatz findet ein finanzieller Engpass nach Ende der Dreharbeiten Erwähnung.

Als das Exquisite an der Kamera von Nikolaus Geyrhalter bezeichnet Werner Ruzicka die außergewöhnliche Physikalität, die die Protagonisten in dessen Filmen erhalten. Schon aus seinen Dokumentarfilmen Das Jahr nach Dayton und Pripyat bekannt, werden in den Bildern Räume geschaffen, in denen die Porträtierten agieren.

Das Prinzip scheint für Geyrhalter einfach beschreibbar: Er suche jeweils nach Etablierungsbildern und idealen Kamerapositionen und konzipiere dabei eine Geometrie des Bildes, die eine lange Drehsequenz ermögliche. Genaues Beobachten und viele Gespräche – durch die vermittelnden/dolmetschenden Interviewer, die den Protagonisten außergewöhnliche und prägnante Geschichten entlocken sollten – helfen ihm, dass „auf der Bühne“, wie er seine Bilder beschreibt, nichts mehr schief geht. Das bewirke diesen speziellen, inszenatorischen Charakter, eine Art „Bühnenkonzept“.

Die Taxonomie des Fremden, auch dessen Bewältigung, war für Geyrhalter und sein Team oft anstrengend und überwältigend. Unter Zeitdruck arbeitend, fehlte ihnen die Ruhe, gänzlich einzutauchen und sich auf die Situationen einzulassen. Den fremden Lebenswelten und Differenzen konnten sie sich nur bedingt hingeben. Sie mussten filmen, was sich ihnen in den jeweils dreiwöchigen Drehzeiten darbot – ohne darüber nachdenken zu dürfen, was sie hätten filmen können.

Sie verursachten Aufregung, eine Art Zirkus, für viele Protagonisten war das Filmen wenig oder gar nicht bekannt, so dass eine gegenseitige Neugierde aufrecht erhalten wurde. Er merkte, dass er nicht als Person Nikolaus Geyrhalter dort filmte, sondern eher als „Europäer in der Fremde“, auch wenn er nach Drehschluss immer wieder zu sich selber kam. Elsewhere, durch den Titel des „Anderswo“ verdeutlicht, spiele mit der Globalisierung, der den konkreten Ort des Blicks vage halte, obgleich dieser wiederum im Subtext deutlich hervorscheine. Näher geht Geyrhalter auf diesen „europäischen“, polemisch vielleicht imperialistisch zu nennenden Blick nicht ein.

Mit wissendem Lächeln, sich der Tragweite und den Brüchen innerhalb der Projektkonzeption bewusst, hätte Geyrhalter gerne mit etwas mehr Kritik bedacht werden dürfen. Das Publikum schien nach den vier Stunden des Miterlebens eines Blickes auf „das Fremde“ den Schwung für weiterreichende Bemerkungen noch nicht wiedererlangt zu haben.