Film

Auf allen Meeren
von Johannes Holzhausen
AT 2001 | 95 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 26
05.11.2002

Diskussion
Podium: Johannes Holzhausen, Johannes Rosenberger (Produktion), Michael Palm (Schnitt)
Moderation: Jutta Doberstein, Fred Truniger
Protokoll: ?

Synopse

Der Flugzeugträger „Kiew“, einst Stolz der sowjetischen Kriegsmarine, ist am Ende des ausgehenden Jahrtausends ein Geisterschiff, das nur noch durch die Erinnerung der ehemaligen Besatzung kreuzt. Doch schließlich findet man eine neue Verwendung: Der ehemalige Schrecken der Meere fungiert bald in China als Freizeitpark. Auf allen Meeren wird es dann allerdings nicht mehr unterwegs sein.

Protokoll

Wie metaphorisch sind Bootsfahrten?

Form I

Die inszenierte Märchenstunde ist der Einstieg für Jutta Doberstein: Warum steht das Märchen, das der Mann seinem Enkel erzählt, als Einführung?

Der Regisseur begründet zweifach:

1. methodisch-thematisch: Der Märchen-Prolog ist mein Zugang zu der Weitergabe dessen „was man als Tradition versteht“

2. motivisch: Die romantischen Gründe der Ex-Offiziere sind auch märchenhaft. Deshalb wurde hier alles durchinszeniert, es sind Spielfilmszenen.

Form II

Nun zum Sound: Jutta Doberstein bemerkt, dass der Ton den Spielfilm offen hält und das Schiff zu einer Bühne werden lässt. Und noch weiteres Lob erfährt das Sound-Design: So öffnet z.B. das Geräusch des Echolots imaginäre Räume.

Dies bestätigt Michael Palm und schildert den „Versuch, eine Melodie der Kiew herzustellen“, die als Leitmotiv Verwendung findet. Es sollte ein Ton geschaffen werden, der nachhallt und mit den Protagonisten korrespondiert, die von der Bühne gefegt sind und deren historische Verdienste auch nur noch mit Mühe vernehmbar sind.

Große und kleine Portraits:

Die Annahme (von Jutta Doberstein), der Autor habe nur zu dem russischen Jungen und der chinesischer Schlepperbesatzung ein ungebrochenes Verhältnis gehabt, bestreitet der Autor zwar und schildert, dass er nur den Marinemaler nicht aushalten konnte – aber führt ihn zu einer Formulierung über den Zusammenhang von ‚kleinen‘ Geschichte und ‚großer‘ Geschichte: Erst im Verlauf des Filmens sei ihm klar geworden, dass Weltpolitik und Privatleben zusammengehören, was sich (etwas ungenau, aber immerhin aphoristisch) auf die Formel bringen ließe, dass der ‚kalte Krieg‘ dem Ehekrieg enstpricht.

Große Portraits:

1. Ex-Besatzung der Kiew (Kapitän, Offiziere, techn. Personal)

Für Jutta Doberstein ist der Film den Hochofenfilmen artverwandt: Hier wie dort geht es um Männer, die große Schrauben verlieren. Allerdings sei das Schraubenverlieren hier besser gelöst: Weil nicht nur die Schrauben verwschwinden, sondern mit der Kiew gleich die gesamte Filmkulisse.

Dass den Ex-Besatzungsmitglieder der Boden unter den Füßen weggerutscht war, wurde zwar vom Regisseur bestätigt und als ein zentrales Motiv für den Film genannt, war aber gleichzeitig so evident, dass allgemein eher die Frage der Paralleletät von Untergang des UdSSR-Imperiums und dem Absacken seiner ehemaligen Marinesoldaten thematisiert wurden.

So gab es aus dem Publik den Einwand, dass der Film zu gut gelungen sei: Die sterbende/ tote Kiew sei die perfekte Metapher für den Untergang der UdSSR, die Einzelschicksale gruppierten sich perfekt ergänzend drum herum – wo bleibt da die Frage nach dem Monströsen des SU-Imperiums?

Eine ähnliche (Meta-)Sichtweise zeigte sich im Hinweis von Werner Ružička, der den Zerfall der SU als Geschwür metaphorisierte, dessen Metachstasen in die Gesellschaft hineinwüchsen. Auch seine Fortführung, dass die Einzelbeobachtungen des Films noch was über die Sexualökonomie, den Autoritarismus und Militarismus der post-sowjetischen Gesellschaft(en) zeigten, wurden vom Filmemacher alllerdings nicht analytisch verstanden, sondern intentionalistisch.

Gleiches geschah dann nochmals: Die Fred Truningersche Frage nach dem Männer/ Frauenverhältnis spitzte er selbst zu auf: „Scheiterte die Sowjetunion an uns Männern?“ Gleichgerichtet die Kommentierung aus dem Publikum der Szene in der Kadettenakademie: Auch hier ist es eine Frau, die den Schwachsinnsdrill kritisiert.

Auch wenn der Autor bemerkt, dass „Frauen als Thema“ nicht geplant waren, sondern einfach die Protagonisten immer welche dabei hatten, .trifft doch die Anmerkung von Werner Ružička, dass gerade die Abwesenheit von Frauen die Pointe ermöglicht, dass in der Schlussszene eine Frau auf der ausgemusterten Minsk für die Kamera ihres Manns.

Kleine Portraits

2. Die russischen Jungen

Jutta Doberstein empfindet den Film über die gesamte Zeit als distanziert, unemotional – jeder Protagonist bekomme ein streng markiertes Feld zugewiesen. Erst am Ende als die jungen Militärakademiestudenten „Ich war noch nie im Krieg“ singen, bräche Emotionalität ein. Mit dieser Interpretation ist Johannes Holzhausen weitesgehend d’accord. Er äußert, dass auf das „Gesicht des Jungen“ der gesamte Film hinlaufe und macht hieran auch die moralische Fabel fest: Hier geht es um die Schicksallhaftigkeit, die Zwangsläufigkeit der Abläufe.

3. Der Marinemaler

Den Einwand von Fred Truniger, dass der Marinemaler Pathos bringe, das man nicht braucht und das der Film ansonsten auch nicht auffährt, hält der Autor entgegen, dass der Maler wichtig sei, weil er die (Propaganda-)Bilder herstelle, die das Gedächtnis und die historischen Sinnzusammenhänge schafften, und auch für die narrative Ebene notwendiges Material sei (solche Art von Gemälden schmücken die Rekrutenfeier-Szene). Dass diese Erklärungen nicht zwingend überzeugend waren, liegt darin begründet, dass auch non-personale Lösungen denkbar sind – wie bekannt liegt hier der Unterschied zum Theater.

4. Chinesen

Wieso der Hinweis von Werner Ružička auf die latente Homoerotik an Bord des Schleppers auf Gelächter im Diskussionsraum führt, bleibt unklar: Zu hoffen ist, dass es der Begriff ‚latent‘ war, ließ sich doch in dieser Hinsicht dem Bildmaterial durchaus aktuales ansehen. Dass die Entstehung des Films zweigeteilt war, ließ sich während des Films noch nicht ahnen, während der Diskussion dagegen umso mehr: Auf der einen Seite gab Bilder mit Schiffen und auf der anderen Einzel- und Gruppenportraits. Wenn sich das für den Zuschauer von selbst aufeinander bezieht, umso besser.

Technisches und Untechnisches

– Das erste Bugdetierung war vier Mio. Schilling, am Ende hat der Film gut das Doppelte gekostet.

– Der Film war schon komplett fertig und im Kopierwerk und wartete nur noch auf die Abschlussszenen von der bereits in China umgebauten und als Ausflugsziel genutzten Minsk. – Das Lustigste waren die Norweger, die doch Hektik hatten („You understand that Norwegian Authorieties are somewhat tense.“), dass die Chinesen den Flugzeugträger gegen die Wand respektive auf norwegischen Meeresgrund fahren.