Film

Voll Spezial. Berliner Jugendliche im Zeltlager
von Michael Fetzer
DE 2002 | 42 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 26
06.11.2002

Diskussion
Podium: Michael Fetzer, Klaus Charbonnier
Moderation: Fred Truniger
Protokoll: Malte Krückels

Synopse

Sommerferien. Eine Clique aus Berlin-Neukölln im Jugendzeltlager an der Ostsee. Wer ist cool und wer ist ein Opfer? Jeder in der Gruppe sucht seinen Rang. Mädchen begleiten den Sonnenuntergang mit „Schwabbel dabbel dudel daa…“. Matze präsentiert seinen Spruch „Kripo Mannheim, lassen sie die Hosen runter!“.Überdosis Hormone – Pubertät – voll spezial!

Protokoll

Voll die Ethnologie von Jugendgruppen

Gegen Ende der Diskussion bemerkte jemand aus dem Publikum, dass filmtechnische und formale Aspekte nicht behandelt worden seien, sondern die überwiegende Mehrheit der Beiträge sich auf den Zustand der Jugend im Allgemeinen und der Neuköllner Sommerferienlagerfahrer im Besonderen bezöge, um dann selbige Kerbe mit einem gezielten Schlag nochmals zu vertiefen.

Diese Gesamteinschätzung trifft teilweise, aber nicht ganz ‒ und außerdem hatte mit der Anmerkung von Fred Truniger, er habe am Anfang des Films einen Voyeurismusverdacht gehegt, der sich aber im Laufe des Filmschauens aufgelöst habe, eigentlich doch alles ganz gut angefangen. Michael Fetzer zeigte sich überrascht vom Voyeurismusvorwurf (wie er insgesamt von kritischen Bemerkungen etwas überrascht war). Er führte aus, dass es den Jugendlichen nichts ausgemacht habe, gefilmt zu werden, oder es ihnen egal bzw. es schon normal für sie gewesen sei. Nur anfangs dachten die Jugendlichen, es sei Big Brother, aber das gab sich nach einigen Tagen. Allerdings führte das dazu, dass der Kameramann nach fünf Tagen feststellte: „Wir ham noch nüscht.“

Dass sich das Gehabe vor der Kamera legte, spiegelt sich auch insofern im Film, als dass das Material größtenteils entstehungschronologisch montiert worden ist.

Dann wurde es allerdings thematisch. Und meistens war das Thema ‚Liebe‘, ‚Jugendsprache‘, ’soziale Rollenfindung von Jugendlichen‘ etc. Insgesamt gesehen eine Ebene, die sich filmwissenschaftlichen Kategorien verweigerte.

So führte der Regisseur Michael Fetzer aus, dass er selbst jahrelang als Betreuer auf solchen Sommerlagern gewesen sei, dass die Jugendlichen ihre soziale Rolle suchten, dass die von Gewalt geprägte Sprache („Chemo-Opfer“) zeige, wie hart diese Rollenkämpfe sind. Die (vermutlich soziologisch intendierte) Frage von Fred Truninger, wieso gerade Neuköllner Jugendliche filmisch begleitet worden seien, wurde analog mit dem persönlichen Bezug des Filmemachers begründet ‒ darüber hinaus gab’s kollektive Qualitätszuschreibungen der Art: „Berliner sind derb, aber echt und herzlich.“

Die kritischen Anmerkungen des Publikums waren wohl etwas vom Unbehagen über diese doch leicht stereotypen Einschätzungen geprägt.

Auch Fred Truniger wollte dem Diktus der verdorbenen und versauten Jugend nicht so recht folgen, sondern charakterisierte das Verhalten als ein urbanes, das sich bestimmter Codes bedient und bedienen muss. Er stellte die These auf, dass diese Codierungsfindung ein befreiendes Moment hat. Aber auch diese sprach-soziologische Anmerkung wurde vom Regisseur umgangen: Für Michael Fetzer war es das Verhältnis von Kindlichem zu Erwachsenem, das er als besonders interessant empfand. Verliebtsein sei das Thema Nr. 1 ‒ aber auf noch kindliche Weise diskutiert. Der Sex werde (aber auch?) als Waffe eingesetzt. Es ginge nur darum, qua sexuelller Erfahrungen seinen Coolnessfaktor zu steigern. (Gerade seine eigene nachfolgende Bemerkung, dass Sex fast nur sprachlich und nicht real praktiziert wurde, hätte den Filmemacher auf die Spur bringen können, dass es vielleicht weniger um sexuelle Erfahrungen denn um das Sprechen darüber ankommt.)

Der Versuch von Aycha Riffi, die (sprachlichen) Selbstdarstellungmöglichkeiten der einzelnen Personen zu markieren, dem die Beobachtung zu Grunde lag, dass manche Jugendliche sich (gut) positionieren konnten, während andere auf einen ‚running gag‘ reduziert wurden, ging auch weitestgehend schief.

Die Autoren pflegten hier weiter das Ethnologien-‚Misssverständnis‘, sich selbst nur in einer beobachtenden Position zu befinden. Sie hätten die Szenen ausgewählt, auf denen die Jugendlichen ’natürlich‘ wirkten. Auf Nachfrage zu dieser Kategorisierung ’natürlich‘ vs. ‚unnatürlich‘ erfolgte allerdings eine gewisse Relativierung: Auch dramaturgische Überlegungen hätten die Szenenauswahl bestimmt: Jemand ungelenk in die Kamera grüßen zu lassen, sei einfach nicht spannend, sondern ein Proto-Home-Video.

Aber das Zeltlager sei halt ein Modell des Sozialen. Als Vergleich wurde Lord of the Flies angeführt (und für alle Unwissenden kurz nacherzählt), wo es auch um eine brutale Rollenfindung ginge. Es seien auf dem Sommercamp sogar Ansätze von Massenhysterie sichtbar geworden und tierähnliches Verhalten.