Film

Tehran 1380
von Solmaz Shahbazi, Tirdad Zolghadr
DE 2002 | 52 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 26
08.11.2002

Diskussion
Podium: Solmaz Shahbazi, Tirdad Zolghadr
Moderation: Vrääth Öhner
Protokoll: Andrea Reiter

Synopse

Seit 1980 hat sich die Bevölkerung der Stadt Teheran vervierfacht und zählt damit über 12 Millionen Einwohner. Eine wildwachsende Metropole aus Beton und Neon, die keinen unserer stadtplanerischen oder ästhetischen Maßstäben zu entsprechen scheint. Die Filmemacher dagegen nähern sich dieser Stadt im Orient ohne Wertvorstellungen des Westens, aber auch ohne das Gefühl der vertrauten Heimat. 

Protokoll

Das seltsame, im Film angedeutete Phänomen, dass die Iraner Touristen stets gerne nach deren Eindrücken über das Land fragen würden, führt Vrääth Öhner zu der merkwürdig anderen Version einer einleitenden Frage “Was ist denn besser Iran oder Deutschland?” Ratloses Lächeln der beiden Regisseure – das Essen… vielleicht..?

Der zweite Anlauf ernsthafter: Der Zugang des Filmes zur Stadt Tehran ist besonders, denn in Tehran 1380 dient das Sprechen über Stadtstruktur und Stadtentwicklung als Basis, den Zuschauern einen Blick auf die Menschen und ihre Lebensweise zu eröffnen.

Der Name der Sprecherin Sonja Heise, stellt Tirdad Zolghadr fest, ist unerklärlicher Weise im Abspann nicht zu finden, ein Dank an sie wird an dieser Stelle nachgeholt.

Shahbazi und Zolghadr wollten keine “naheliegende” Annäherung, über das Aufzeigen von Feindbildern, der Religion oder der klassischen, an Vorurteile geknüpften Klischees. Und sie wollten vermeiden, soweit möglich, sich einer herkömmlichen Symbolik zu bedienen. Deshalb kam ihnen die Idee die Stadtentwicklung zum zentralen Thema zu machen. Natürlich würden aus jener Perspektive auch die anderen Themen aufgegriffen.

Blicke aus dem Dazwischen

Könnte man sagen, dass die nicht zu verneinende Ambivalenz der Filmemacher durch den Touristen Benoit Sonntag zum Ausdruck komme, lenkte Öhner das Gespräch auf ihren eigenen Standpunkt im Iran.

Shahbazi und Zolghadr stammen beide aus dem Iran, wo sie als Kinder eine gewisse Zeit verbracht haben, heute leben sie in Deutschland. Man könne beim Zuschauen bemerken, so Zolghadr, dass in ihrem Film eine – vielleicht künstliche – Distanz mitschwinge. Als Erklärung liesse sich vielleicht ihr Gefühl nennen, als Sprachrohr zu fungieren. Weder hätten sie die konkrete Nähe zu Tehran, wie dies die Stadtbewohner hätten, noch die Unverfrorenheit der Touristen, mit der Kamera „einfach draufzuhalten“. Sie bewegten sich in einem “Zwischenraum” der Kulturen.

Vrääth Öhner erwähnt, dass sich ihm beim Sichten der längeren Fassung, die die beiden für die Filmwoche eingereicht hätten, aufgedrängt hätte, Tehran als verkannte Avantgarde zu deuten. Diesen ironischen Aspekt hätte man herausgenommen, da es etwas zu Pathetisches gehabt habe, was vielleicht auf den leicht hysterischen Blick der Auslandiraner auf “ihre Heimat” zurückzuführen sei. Das habe nicht in den Film gehört.

Neben dem Städtebau sind Shahbazi und Zolghadr nicht so sehr an einem “westlichen” Blick auf die Stadt interessiert, wie Öhner vermutet, sondern an den Wirkungsformen der Stadt. Sie wollten an erster Stelle die Wirkung der Stadt auf die Bevölkerung, aber auch auf Touristen oder Auslandiraner vermitteln.

Das erste Werk

Beide sind sie keine ausgebildeten Filmemacher, so begannen sie „hysterisch“ zu filmen, nachdem sie in Tehran angekommen waren. Ihre Idee, kommentarlos die Architektur zu zeigen, redete ihnen ihre Cutterin aus. Sie wollte mehr erfahren über die Stadt.

Erst nach dem Filmen merkten die beiden Autoren, dass ihr anfängliches Konzept zu wenig reflektiert war, dass sie sich nicht überlegt hatten, wie ein gewisses Basiswissen zu vermitteln sei. So sei aus der Idee, einen “spielerischen” Film zu machen, ein doch eher didaktischer Film entstanden, mit Bezug auf den Kontext eines hiesigen Publikums, merkt Zolghadr an. Ihr Problem sei es gewesen, dass sie den Film mit Ironie und Selbstironie anreichern wollten, diese jedoch von Menschen, die die iranische Kultur nicht kennen, nicht verstanden wurden – das hatten sie beim Konzipieren von Tehran 1380 nicht bedacht.

Vrääth Öhner bemerkt: Der Film operiere mit der Behauptung, Tehran sei eine ganz normale Stadt, gleichzeitig sei er selbst mit der Erwartung an den Film herangetreten, die Stadt in gewisser Weise zu “kennen” – da sitzen die Khomenis rum und so… Sollte das Widersprüchliche, in der filmischen Umsetzung über die Vermittlung der Bilder gerettet werden?

Zolghadr verdeutlicht ihre Situation folgendermassen: Erstaunlich sei gewesen, dass gerade zwei der Protagonisten des Filmes, denen sie den Film gezeigt hätten und bei denen sie Widerspruch untereinander erwartet hätten, diese sich gegen sie „verbündet“ und ihnen eine konservative, romanisierend-traditionalistische Sicht vorgeworfen hätten. Demgegenüber warfen ihnen hiesige Freunde vor, sie würden ein schlechtes Licht auf die Stadt werfen. Dabei wollten sie doch die neuen Probleme einer so massiv schnell gewachsenen Großstadt darzustellen.

Publikumsstimmen

Plädoyer für das Konzept von Tehran 1380

Solmaz Shahbazi erkennt im Film etwas Diashowartiges, was von einem Zuhörer als durchaus positiv gedeutet wird: Die Architektur als Leitmotiv einzusetzen funktioniere, die Identitätsproblematik sei geschickt umgangen worden, der westlich geprägte, orientalische Modernismus sei schön anzuschauen gewesen. Und das Konzept, die sich widersprechenden Stimmen um die “diashowartigen Bilder” hätte ruhig noch radikaler durchgezogen werden dürfen, z.B. durch Weglassen der kritisch reflektierenden Ebene des iranischen Bildjournalisten.

Wunsch nach Darstellung des städtischen Chaos

Vom Chaos wäre zwar verschiedentlich gesprochen worden, doch gesehen habe man es nie, stattdessen nur die “potemkinsche” Fassade der Strasse. Der Blick dahinter habe gefehlt. Eine mögliche Ursache dafür sieht Shahbazi im persönlichen Respekt vor Stadt und Menschen. Möglicherweise hätten sie tatsächlich den gewünschten Blick des Stadtplaners eingenommen. Was aber wäre passiert, wenn sie das Chaos gefilmt hätten? Sie hätten wohl die bereits aus dem Fernsehen bekannten Bilder über städtisches Chaos wiederholen können, so Zolghadr.

Öhner spezifiziert, dass der Film auch gar nicht den Anspruch behaupte, alles zeigen zu wollen.

Eine Metapher

Anekdote zu Truffaut, der seinen Kameramann vor Drehbeginn des ersten Filmes gefragt haben soll, auf was man als Anfänger achten müsse: Auf Großaufnahmen antwortete dieser. Das fehlte dem Zuschauer, dass die Distanz der Bilder soziologische Hintergründe vernachlässigt habe.

Hier zeige sich wieder mal der Wunsch, so ein weiterer Zuhörer, hinter die Fassaden blicken und sich dem Authentischen nähern zu wollen. Aber die Stärke sei doch gerade, dass sich der Blick der Filmemacher davon gelöst habe. Der Film schaffe es doch über “unser” dünnes Wissen hinaus etwas über die Hybridität des Landes und die gesellschaftlichen Strukturen zu vermitteln.

Stadt ohne Eigenheiten

Für einen anderen Redner hat die Stadt einen gesichtslosen Eindruck hinterlassen, die Bilder erinnerten ihn genauso an Ankara oder Istanbul.

Megacity

Neunzig Prozent der Stadt sind erst in den letzten fünfzig Jahren entstanden, das ist so. Shahbazi und Zolghadr wollten den kleinen nicht repräsentativen alten Stadtkern gerade nicht zum Inhalt ihres Filmes machen, als These meinen sie, könne man vielleicht wirklich sagen, dass sie der Position des Stadtplaners entgegengekommen wären. Aber: Auch ohne die traditionellen, uralten Wurzeln hat Tehran eine Identität.