Film

Mein kleines Kind
von Katja Baumgarten
DE 2001 | 88 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 26
06.11.2002

Diskussion
Podium: Katja Baumgarten
Moderation: Jutta Doberstein
Protokoll: Aycha Riffi

Synopse

Sie ist Filmemacherin, Hebamme und Mutter. Sie steht vor der schweren Aufgabe, eine Entscheidung fällen zu müssen, die das Leben ihres zukünftigen Kindes betrifft. Mit der Kamera dokumentiert sie Dasein, Geburt und Abschied ihres vierten Kindes . Ein langer und kräftezehrender Entscheidungsprozess. Wie soll, kann und will man sich entscheiden?

Protokoll

Einführung:

Bereits in den Kommissionssitzungen, so Jutta Doberstein, habe es Debatten über den Film bzw. über die Doppelrolle Katja Baumgartens als Filmemacherin und als Protagonistin gegeben. Die enorme Privatheit, in die der Betrachter „reingeworfen“ werde, löste sogar Abwehr aus, die sich erst durch die gemeinsame Diskussion und durch Stichworte wie „Die Politik der Bilder“ durchbrochen wurde.

Die erste Frage, um sich dem Film zu nähern, ist die Frage nach der Entscheidung Baumgartens, diesen autobiografischen Teilabschnitt filmisch zu begleiten.

Katja Baumgarten wusste im Moment der ärztlichen Diagnose, dass sie das Thema für ihren nächsten Film gefunden hatte.

Aufgrund ihrer Arbeit als Hebamme kennt sie die Thematik: Jedes Jahr gibt es aufgrund ähnlicher Pränatal-Diagnosen zwischen 1.000 – 2.000 Schwangerschaftsabbrüche – Kinder werden „aussortiert“. Die Entscheidungen hierzu finden im privaten Raum statt. Der Arzt fällt die Diagnose und weist darauf hin, dass alle weiteren Entscheidungen allein und schnell gefällt werden müssen und dass ein Abbruch der „übliche Weg“ sei.

Öffentlichkeit

Katja Baumgarten ist sich bewusst, dass sie durch ihre Ausbildung mehr Möglichkeiten, mehr Wissen hat, als andere „Betroffene“; so widerspricht sie auch nicht der Einschätzung als „privilegierte“ Person. Eben weil sie in der Lage war, ihre Situation anders einschätzen zu können, ist es ihr ein Anliegen, die Thematik in die Öffentlichkeit zu tragen. Das der Film nun auf Festivals gezeigt wird und ebenso in Hebammenschulen zum Einsatz gelangt, dient dem Zweck einer breiten Auseinandersetzung. Den Film sieht sie – wenn man denn ein Plädoyer heraus sehen will – als Plädoyer gegen das Alleinsein.

Medizin

Die pränatale Diagnostik ist nicht das Problem – so Baumgarten. Das Übel ist, dass eine bestimmte Diagnose den schnellen Schluss des sofortigen Schwangerschaftsabbruchs verlange. Auch die „vordergründigen juristischen Einwände“, die gegen eine Hausgeburt vorgetragen werden, dienen einer Zwangsläufigkeit, die so nicht richtig ist. Das ein Abbruch in der 21. Woche (oder später) eine lange schmerzvolle Sache sein kann, auch darüber wissen Außenstehende nichts.

Sprache

Angesprochen auf die Texteinblendungen und die eingesprochen Passagen, sagt Katja Baumgarten, dass sie eine Kommentierung eigentlich nie gewollt habe. Als sie aber für eine Zeitschrift einen Text über ihre Erfahrungen schrieb, wurde ihr klar, dass zu ihrem Film über die Bilder hinaus Informationen gehören.

Die Verwendung von Sprache eröffnet für Jutta Doberstein auch die Möglichkeit einer neuen Sichtweise: So löst zum Beispiel der Begriff des „Zauberwesens“ als Beschreibung für die totgeborenen siamesischen Zwillinge mögliche Bilder von etwas ‚Monströsem‘ ab.

Filmarbeit

Der Anruf Baumgartens an Gisela Tuchtenhagen galt der Freundin sowie der Kamerafrau. Ihre Statements vor laufender Kamera sind keine Interviews. Die Freundin/Kamerafrau hörte zu und begleite Baumgarten während der nächsten Monate. Welches Bildmaterial Baumgarten aus dieser Zeit im Film verwenden wollte, war noch völlig unklar; dass sie aber selbst den Schnitt vornimmt, stand für sie außer Frage. Erst ein Jahr nach der Geburt und dem Tod ihres Sohnes Martin wurde das Material gesichtet und geschnitten. Zum Abschluss kam der Film erst 3 – 4 Jahre nach den gezeigten Ereignissen.

Form

In der langen Entstehungsarbeit hat Baumgarten zu Beginn chronologisch gearbeitet und erst später durch Zwischenschnitte mit Bildern nach der Geburt durchbrochen. Die gebrochene Chronologie wurde in einem Redebeitrag aus dem Publikum als sehr hilfreich gesehen, den Film nicht als Suspense-film zu rezipieren.

Dass einige Bilder als zu kitschig oder zu symbolhaft verstanden werden können – wie das Bild der Rose oder das Kerzenlicht am Ende des Films – ist Baumgarten bewusst, doch war dies kein Anlass zum Herausschneiden, da diese Bilder für sie stimmig und richtig sind und nicht extra inszeniert wurden.

Debatte

Die Zuschauer auf ihrem Weg vom Kino in den Diskussionssaal waren außergewöhnlich ruhig und still. Worte wie „Betroffenheit“ oder „beeindruckt“ drängen sich auf. Auch während der Diskussion erschien alles sehr vorsichtig und respektvoll (was an sich nicht schlecht ist ) – der Filmemacherin gegenüber, die aber natürlich auch als Protagonistin wahrgenommen wurde.

Dies ist vielleicht eine Erklärung, warum kurz so etwas wie ein Disput darüber aufkam, dass der (vorsichtig) formulierte Zweifel, ob der Film nicht zu privat sei, sehr kontrovers aufgefasst wurde. Die Frage an die Filmemacherin und Protagonistin, ob sie sich vorstellen kann, den Film im Fernsehen zu zeigen, wurde sofort attackiert mit der Bemerkung, dass gerade dieser Film ins Fernsehen gehöre, damit eine öffentliche Kenntnisnahme der Thematik möglich ist.

Darüber waren sich aber dann doch alle einig.