Synopse
Familie Erwin aus Düsseldorf, Familie Blocher aus Zürich und Familie Haider aus Österreich verfolgen die Live-Übertragung des Züricher Schauspielhauses am Radio. Heute gibt’s Hamlet, mal sehen, wer’s überlebt! Ein Film über Theater, Politik, ausstiegsbereite Nazis und Christoph Schlingensief.
Protokoll
Die Hamlet-Inszenierung von Christoph Schlingensief in Zürich reichte weit über die Theaterbühne hinaus. Die „vielschichtige“ Arbeit des „politischen Theatermachers“ Schlingensief wollte Peter Kern visuell begleiten, die verschiedenen Strukturen verbinden und in einem dokumentarischen und fiktionalen Film umsetzen.
Zwei Züricher Kameramänner übernahmen während der Theaterproben und Aufführungen das Bildermachen, da Peter Kern durch seine Personalunion als Schauspieler auf der Bühne und Filmemacher nicht beides leisten konnte. Abgesprochene Kamerapositionen waren nötig; Kamera-bewegungen wurden durch kleine Fingerzeige delegiert.
Multimedial wurden die Schauspieler beobachtet, denn Schlingensief arbeitete gleichzeitig noch an einer Hörspielfassung für den WDR, die dazu führte, dass die Schauspieler ‚un- theaterhaft’ leise sprechen sollten. Ein markanter Gegensatz zu der Regieanweisung Schlingensiefs „spielen, wie es Goebbels gefällt“, nämlich mit großen Redner-Gesten.
In Peter Kerns Filmprojekt wurden die Schauspieler nicht von Beginn an eingeweiht. Später dann entwickelte sich ein Spiel durch die Präsenz der Kamera – so entstanden zufällige Szenen (Balkon, Boot). Der Filmemacher versuchte, die Stimmungen der Schauspieler auszunutzen, und die Schauspieler nutzten die Kamerasituation als Probebühne („dadurch begriff man Szenen noch mal anders“).
Für die Zuschauer vermutlich leicht nachzuvollziehen, ist der Hinweis Beglaus, dass die „anstrengende Zeit“ keinen Raum ließ, permanent auf die Kamera zu achten. Daran schließt sich Werner Ruzickas Frage an, wie den die Aggressivität (Schlingensiefs, des wütenden Publikums, der Probenstimmungen etc.) auszuhalten ist?
Nicht mit „Aggressivität“, sondern mit „Hysterie“ beschreibt Bibiana Beglau die Stimmung. Dass Leute sich einfach verweigern und den Saal verlassen, diese Verweigerungshaltung ist in Ordnung, so Beglau. Eine gezündete Bombe (?) während einer Aufführung zwang Schauspieler und Publikum, den letzten Teil des Stückes im Freien zu spielen. Hiervon gibt es leider keine Filmaufnahmen. Es war generell ein Problem, so Peter Kern, zum Schluss des Films zu kommen. Jede Aufführung war anders als die vorherige (es gab zum Beispielt noch eine „Talibanvorstellung“) und „irgendwann muss man sich entscheiden: Jetzt beende ich meinen Film, alles andere sind Fortsetzungen.“
Die ‚berühmte’ Trennung von Arbeit und Leben gelang bei diesem Projekt den Beteiligten nur bedingt. Man versuchte, räumliche Grenzen zu setzen, das Private wurde in Teilen „abgegeben“, so Beglau; für die „Nazis“ (wie sie in der Diskussion genannt werden) war es sogar noch schwieriger.
Und heute? Das Theaterprojekt ist zu Ende, das Sozialprojekt geglückt und gescheitert gleichermaßen: Der Ausstieg aus der Naziszene wurde (bei einigen) vollzogen, das Theater habe sie sogar „angefixt“. Ein Vorhaben der „Nazis“, zehn Tage vor der Premiere den „Ausstieg aus dem Ausstieg“ bekanntzugeben, wurde nicht durchgeführt. Ein weiterführendes Aussteigerprojekt mit dem Titel „Rein“ ins Leben zu rufen – als Gegenentwurf zu Otto Schillys „Exit-Programm“ – kam nicht zustande.
Herr Lemmer, früher erfolgreicher Nazi-Rock-Musik-Verleger aus Düsseldorf und heutiger Sonnenstudiobesitzer und mit einer Marokkanerin verheiratet, sagt im Film auf die Frage, welche Rolle er in der NS-Zeit gespielt hätte, dass er bestimmt Widerstandskämpfer gewesen wäre. Ihm ginge es darum, generell Opposition zu beziehen.
Daran schloss sich die Frage aus dem Publikum an, ob hier nicht ein gemeinsamer Boden zum Theater Schlingensiefs bestehe, das ja auch eine Art Widerstandstheater ist? „Nein“, so Kerns klare Antwort. Schlingensief arbeitet mit konträren Mitteln, da gibt es keine Parallelen.
Kritik:
Dass den Aussteigern permanent misstraut wurde, sagt Peter Kern, und dass die Politik Neonazis ghettoisiere. Der Züricher Requisiteur weigerte sich, so erfahren wir im Film, mit den gesuchten und gefundenen ausstiegswilligen oder zumindest gesprächsbereiten Neonazis zusammenzuarbeiten. Am Ende des Films verabschieden sich Requisiteur und jetzt-nicht-mehr-Neonazis herzlich voneinander. Das ist – ohne Ironie – glaubhaft.
Rezzo Schlauch kommentiert die ablehnende Haltung in der gezeigten Podiumsdiskussion in der Volksbühne als eine falsche Haltung. Der Legitimität dieser Verweigerung wird kein Wort gegeben.
Im Gegensatz zum Film, in dem keine Heile-Resozialisations-Welt gezeigt wird, war die Diskussion, doch von einer un-widersprochenen Sozial-Projekts-Stimmung ergriffen. Die Heirat zwischen einem ehemaligen Neonazi und einer Nicht-Deutschen als Argument für Toleranz und “Liebe zwischen den Völkern“ reichte scheinbar aus.
Zumindest hätte man doch anmerken können, dass es sein könnte, dass der Widerstandsgeist, der jemanden heute zum Neonazi macht, nicht unbedingt vergleichbar ist mit der Anstrengung der Widerstandskämpfer während der NS-Zeit.