Extra

Das Medium kocht – Über Kochsendungen im Fernsehen

Duisburger Filmwoche 25
07.11.2001

Podium: Monika Bernold, Robin Curtis
Moderation: Drehli Robnik
Protokoll: Andrea Reiter

Der Erfolg von Kochsendungen im Fernsehen scheint unabwendbar: In allen Formaten und Konfektionen brutzeln sie über die Bildschirme – als Gameshows, Talkshows, Serviceleisten in Magazinen. Woher kommt die Faszination dieser Formate? Was sagen Kochsendungen über kulturelle und mediale Standards aus? Wird „wirklich“ gekocht oder sind sie hochelaborierte Artefakte? Anhand von Beispielen soll diesen Fragen in drei Vorträgen nachgegangen werden. ReferentInnen sind u.a. Monika Bernold (Wien) und Robin Curtis (Potsdam).

Protokoll

Wie lässt sich der Bezug von Kochsendungen – im weitesten Sinne und zu Beginn der Veranstaltung in den einleitenden Worten von Petra Schmitz, Dokumentarfilminitiative dfi, noch als Serviceinformationen des Fernsehens betitelt – mit Dokumentarfilmen in Bezug setzen? Diese Frage blieb bis zum Ende schwebend im Kinosaal – manch eine wird ihre eigene These dazu aufgestellt haben.

Theoretisches wurde über Kochsendungen in deutscher Sprache bisher äusserst wenig publiziert. In einer Zeitschrift der Landeszentrale für Rundfunk wurde Frau Schmitz fündig. Der Text bezog sich aber hauptsächlich auf die Problematik von Kochsendungen, die im Kontext der Fernsehprogramme einer medialen Lebensweltpublizistik zugeordnet werden: sie brächten die klassischen Fernsehformate in Gefahr. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Format der Kochsendung fand auch hier nicht statt. So sollten die folgenden Referate für das Publikum erste Konzepte entwickeln, und eine Einordnung in historische, kulturelle und identitätspolitische Zusammenhänge eröffnen.

es köchelt, dampft, brutzelt, zischt…

Als amuse-geule zum Thema gab Drehli Robnik einige Leckerbissen aus seiner TV- und Rezeptionsgeschichte zum Besten.

Ausgehend von der Wärme-Kälte-Metaphorik, die im “kochenden Medium” enthalten sei, ihn aber gerade Kochsendungen bis zum jetzigen Zeitpunkt kalt gelassen hätten, erinnerte er sich an vergangene Zeiten, während denen er für einen Wiener Lokalsender verschiedene Sendungen moderiert hatte. Die dortige Kochsendung, die vor allem ein studentisches Publikum mit Anregungen zur preiswerten Schnellküche versorgte, hatte kurzzeitig sein Interesse geweckt, hauptsächlich auch wegen des anschliessenden gemeinsamen Essens.

Auch das allseits bekannte Smörebröd, smörebröd, ramtam… des dänischen Fernsehkochs der Muppetshow durfte nicht fehlen und könnte unter neuen Gesichtspunkten in die Debatte einbezogen werden.

Als Drittes fand der österreichische Fernsehkoch Helmut Miesak Erwähnung, der zugleich auch als Chefeinkäufer von Iglu und Protagonist eines Iglu-Werbespots mit pädagogischer Note Bekanntheit gelangte. Hieran werde deutlich, dass Koch-sendungen immer auch in einem weiteren, ökonomischen Kontext zu betrachten seien.

War das Kochfernsehen in den 60er Jahren noch eng an einen pädagogisch ratgeberischen Tenor geknüpft, Robnik hebt den Aspekt staatsbürgerlicher Ertüchtigung und die Anleitung an “die (gute) Hausfrau” hervor, wandelte sich diese Tendenz hin zur heutigen Vermittlung von Lifestyle und Demonstration von Hipness. Kein Vergleich allerdings zu den Kochsendungen eines kanadischen Fernsehsenders, die einem staunenden Publikum am Schluss des zweiten Referats vor Augen geführt wurden. Die Ausschnitte aus einem kanadischen Rund-um-die-Uhr-Kochsenders passen so gar nicht in ein kanonisches Wissen von Kochsendungen, wie sie im Deutschen, Österreicher oder Schweizer Fernsehen zu finden sind.

Schade, dass die Videobilder erst am Ende der Veranstaltung gezeigt wurden, denn durch ihre Radikalität, als schnelle, reisserisch komponierte und hoch inszenierte Sendungen hätten sie ein weitreichenderes Spektrum an Bezügen innerhalb der Vorträge eröffnet.

Kochfernsehen gestern – heute

Das Wort erhielt die Zeithistorikerin Monika Bernold aus Wien, die an der dortigen Universität im Institut für Zeitgeschichte Forschungen in Publizistik und Kommunikationswissenschaften betreibt und sich eingehend mit der frühen Geschichte des österreichischen Fernsehens befasst hat. Sie stellte ihren Ausführungen, die den Titel “Eating on the Surface” trugen, einen spezifizierten Fragenkomplex voran. In seiner allgemeinen Form lag er ihrer Forschung über den Zusammenhang von Fernsehen und nationaler Identitätspolitik der 50er/60er Jahre in Österreich zugrunde, in der Kochsendungen als ein thematischer Block berücksichtigt wurden.

Wie ist die “Aufladung des Fernsehens” mit Metaphern und Logiken des Oralen zu verstehen? In welcher Weise hat die Tele-Visualisierung von Koch und Küche die Vorstellungen und Praktiken des Alltags berührt? Inwiefern ist die Geschichte der Industrialisierung des Essens mit der Geschichte der Industrialisierung des Sehens verstrickt?

Eine weitere Fragestellung betraf die Wissensvermittlung, die in Kochsendungen, Bilder von Modernität, Tradition, Fremdheit und “national” identifizierten Kulturen servierten. Welche gesellschaftlichen Kontinuitäten und Transformationen in den westeuropäischen Nachkriegsgesellschaften lassen sich in den am Bildschirm repräsentierten Koch/Ess-Formen rekonstruieren?

Einzelne Facetten dieses vielfältigen Themas wird Monika Bernold in ihrem Vortrag aufgreifen und geht zunächst auf die historische Perspektive ein. Sie übernimmt ein Modell der zeitlichen Periodisierung des Fernsehens von John Ellis, eines britischen Fernsehwissenschaftlers. Dieser definiert drei Perioden in der historischen Entwicklung des Fernsehens, die sich vor allem auf die Distribution der Senderangebote und auf die technischen Veränderungen des Mediums beziehen. Für die Zeit bis in die 70er Jahre spricht er von einer “Phase des Mangels”: Bereits Angelpunkt moderner Konsumkulturen, war das Angebot mit nur ein bis zwei Kanälen äusserst beschränkt. Es folge seit den 80er Jahren eine “Phase der Verfügbarkeit”, in der die Vielfalt von Sendegefässen und die Ausdehnung der Distribution von Inhalten u.a. über VHS eingesetzt habe, in den deutschsprachigen Ländern noch weitgehend unter der Kontrolle öffentlich-rechtlicher Mechanismen. Heute habe das Fernsehen die “Phase der totalen Erfüllung” erreicht. Es herrsche die Versprechensrhethorik der Verfügbarkeit jedlichen Contents zu jeder Zeit, zuzüglich der Möglichkeiten des Digitalen und PayTV. Ellis ́Modell ermögliche es, Kochsendungen in ihrem ökonomischen und kulturellen Rahmen wahrzunehmen und sie im Kontext der sich herausbildenden modernen Konsumgesellschaften zu analysieren.

Magrit Morse Frage “What do cyborgs eat” und der daraus resultierenden Differenz zwischen Organischem und Elektronischem, nimmt Monika Bernold zum Anlass, eine Dialektik der Einverleibung und der Aufweichung als Schnittstelle zwischen materieller und immaterieller Welt und den elektronischen Medien zu thematisieren, die im Kontext des Fernsehens bereits angelegt sei. Die Dialektik der Einverleibung, des Essens und Gegessenwerdens lasse sich in seiner metaphorischen Form vielfältig auf das Fern-Sehen anwenden. Es zeigt sich die Verschränkung eines oralen und eines visuellen Versprechens in der Kodierung des Mediums, den Zuschauer quasi durch den Strom der Bilder zu verschlingen. Dies finde sich bspw. in Begriffen wie Fernsehsucht, Couchpotatoes…

Bei Beverle Houston findet sich ein Erklärungsansatz auf die massive orale Kodierung des Fernsehens: es beinhalte ein Versprechen auf das Leben selbst, das über ein visuelles Versprechen hinausgehe. Der heimische Fernseher ermögliche den ständigen visuellen Konsum.

Der Fernseher als (negativ) gedeckter Tisch

Monika Bernold ist der Blick auf den Fernseh-Konsumenten besonders wichtig. Essen “vor und am Schirm” wird zu einem Konstrukt, sich Gedanken über den Bezug von Fernsehen als Ernährer, Fütterer… zu machen. Sie geht dabei von einer kulturpessimistischen These aus, dass die Zuschauer den Manipulationen des Fernsehens ausgeliefert seien, und erwähnt das Bild des degustateur, nach Fellini, der Zuschauer, der mit immervollem Munde nichts mehr geniessen könne und zur Passivität verdammt werde. Der Zuschauer wird zum Unmündigen degradiert, dem ein kulturelles Wissen aufoktruiert wird.

In Bezug auf die Kochsendungen sowie die Werbung, die seit den 50er Jahren technisierte Verfahren zu einer immer rationalisierteren Nahrungsaufnahme vorstelle, habe das Fernsehen klar manipulatorische Momente. So brachte gerade das TV-Dinner, interessanterweise ein Beiprodukt aus den Ernährungsstandards der US- Army während des Krieges, eine schwerwiegende Modulation des Essverhaltens in den USA, später auch in Europa, wenn auch weit weniger ausgeprägt. In diesen Rationalisierungsmechanismen zeigten sich sehr deutlich die ideologischen Strategien der Werbung in ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang.

Monika Bernold hebt hervor, dass die Verschränkung von innen/aussen, öffentlich/privat, Konsum und Kontrolle, die durch das Fernsehen stattfinde, gerade auf die bürgerliche Kleinfamilie einen starken Einfluss ausgeübt habe. Die Essgewohnheiten sowie die gesamte Strukturierung von Alltag und Familie wurden moduliert. An die Stelle des klassischen Essenstisch als familiären Ort des Austauschs trat der Fernseher und wurde zum neuen Lebensmodell.

Was in den 60er Jahre durch das Fernsehen transportiert wurde, setzte sich erst im Laufe der Jahre in die Wirklichkeit um.

Der Fernsehküche kann dabei insofern ein Einfluss auf gesellschaftliche Gewohnheiten zugesprochen werden, als sie die Technisierung des haushaltlichen Arbeitens vorführte, die die Rationalisierungen, umgesetzt durch die Lebensmittelindustrie, aufgriff und umgekehrt durch sie unterstützt wurde.

“Spezialitäten aller Länder vereinigt euch”

Kochsendungen stehen nach Monika Bernold in engem Verhältnis zu einer nationalen Identitätsbildung. Der Showkoch vermittle neben Tipps zu moderner und hausmännischer, nationaler Küche immer auch Lebenstipps. So wird über das Essen eine nationale Identität definiert, die die Konsumenten verinnerlichen. Selbst die internationale Küche, die ebenfalls in den Kochsendungen präsentiert würde, werde auf den heimischen Koch, im Falle des populären Fernsehkochs des österreichischen Fernsehens, Franz Ruhm, zurückverwiesen: betont werde, dass ein Wiener sich anderen Küchen widme.

Dass es sich hierbei gerade nicht um eine “Demokratisierung der Ernährung” bzw. ein Weg hin zu einer multikulturellen Küche im Sinne einer Globalisierung, sondern zu einem Festhalten an heimischen Traditionen dreht, wurde im folgenden Vortrag von Robin Curtis aufgenommen und ergänzt.

In der Überleitung zu Robin Curtis‘ Vortrag bemerkte Drehli Robnik, dass man im Gegensatz zu der negativen Konnotation von Fernsehbildern als ungeniessbar, überfüllend und abfertigend, und ihrem manipulatorischen Charakter – meist im Gegensatz zum sinnlichen Genuss eines Kinobesuchs natürlich – auch eine positive Konnotation zulassen könne.

An dieser Stelle wird auf die Theorie der Amerikanerin Vivian Sobcack zu Kino und Körpersinnlichkeit verwiesen.

Gehen kulturelle Inhalte durch den Magen?

Robin Curtis, die den Kochsendungen verwunderlicherweise bereits in jungen Jahren etwas Sinnliches abgewinnen konnte, interessiert nun gerade die positiven Konnotationen dieses Fernsehformats. Die zur Zeit in Berlin lebende Kanadierin, die unter anderem als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der HFF Potsdam im Bereich Medien AV tätig ist, bemerkte als erstes, dass das Genre der Kochsendung im deutschen Fernsehen im Verhältnis zu den Sendeformaten in Kanada sehr eindimensional ausfalle. Traditionell, regional geprägt und belehrend, sei es stark an die Vorstellungen des Publikums gekoppelt.

In Kanada gibt es seit einigen Jahren den Sender Foodnetwork Kanada, der rund um die Uhr verschiedenste Kochsendungen zeigt, in Genres wie Gameshow, Talkshow, Latenight Show… aber auch als pädagogischen Ratgeber. Dessen Konzept ist auch an andere Länder wie Japan oder Korea verkauft worden und hat auch dort sein Publikum gefunden.

Robin Curtis interessieren die Auswirkungen der Globalisierung und des “Verkaufs” von Multikulturalismus im US- und Kanadischen Kontext der Kochsendungen. Sie beschäftigt sich mit dem Zusammenhang von Essen, Kochkunst und einer nationalen/ethnischen Identität. Obwohl der Multikulturalismus in Kanada eine bedeutende Rolle im kulturellen kanadischen Selbstbewusstsein einnehme, gerade auch über das Essen definiert, vertritt Robin Curtis die These, dass die Kochsendungen aber keineswegs durchgehend vom Multikulturalismus geprägt seien, was durch eine Globalisierung des Senderformats und das kanadische Selbstverständnis eigentlich anzunehmen gewesen wäre. Pikantes Detail: Foodnetwork Kanada wurde zur Auflage gemacht, mindestens 60% der Sendungen, vor allem zur Hauptsendezeit mit nationalen Produktionen zu bestücken. Diese fielen nun wiederum durch ihre betuliche Konventionalität auf.

We are what we eat

Betrachte man diese Sendungen und die vorgegebenen Selbstverständlichkeiten über Essensgewohnheiten und konventionalisiertes Wissen und zu füllende Wissenslücken der Zuschauer, zeige sich, dass über die Kochsendungen eine nationale Kultur definiert würde, die mit der impliziten Annahme eines “wir” versehen sei. Vereinheitlichende Definitionen eines kulturellen Geschmacks stehen im Kontrast zu einer Vorstellung des Multikulturalismus. Laura Marx schreibe in ihrer Forschung über Sinneserfahrungen, dass diese sowie die sinnlichen Erinnerungen in verschiedenen Kulturen stark variieren. Viele Kochsendungen machen es sich zur Aufgabe, die Problematik des Geschmacks zu klären, einen nationalen Geschmack zu standardisieren. Dadurch entstehe die paradoxe Situation, dass selbst die Rezepte zu ausländischen Küchen im Besonderen den gekonnten und sicheren Umgang mit ihnen vermittelten.

Robin Curtis sieht darin eine nationale Konzeption, dass ein zentrales Element der Kochsendungen die Vermittlung eines guten Umgangs mit Essen sei und dieser Umgang zu einem Bildungsgut im kulturellen Raum Nordamerikas deklariert werde.

Tell me what you eat and I tell you who you are

Brillat-Savarin

Motto aus Foodnetwork Kanada

Die drei Ausschnitte aus kanadischen Kochsendungen:

The Iron Chef, spielt mit magischen Elementen, erinnert an Samurai-Filme; begleitet von bombastischer Musik steht das Kochduell im Mittelpunkt.

The Naked Chef zeigt roadmovie-mässig den jugendlichen Jamie Oliver, einen légèren Protagonisten aus der working class, der mit phantasievollen, aber einfachsten Mitteln seine Gäste, auch Stars in “seiner eigenen bescheidenen” Küche bekocht.

Canadian living cooks verfolgt das Kochen von drei kochbegeisterte Frauen mittleren Alters in einer Studioküche, die aus ihrem reichen Erfahrungsschatz ihre Rezepte zum Besten geben und den Zuschauern ein als zum Allgemeingut gehörendes Kochwissen vermitteln, angereichert durch “wissenswerte, unersetzliche” Definitionen oder scheinbar unbekannte Zutaten, bspw. Inger !? Oft gehe es weniger um das Kochrezept selbst, als um Substanzen und Zutaten, ist Curtis bei dieser Sendung aufgefallen.

Selbst bei Jamie Oliver, so könnte man es interpretieren, antwortet sie auf die Nachfrage durch Drehli Robnik und unterstreicht damit ihre These, sei die Wissensvermittlung von pikanten Details aus der working class- Küche ausschlaggebend. Ignoranz in Kochfragen sei verpönt und werde durch diese Kochsendung entgegengewirkt. Jedem Publikum sein spezifisches Kochwissen, hält Robin Curtis fest, damit man als Kochende(r) adäquat an sein Umfeld herantreten könne. Nicht bekanntes oder verloren gegangenes Wissen des traditionellen Kochens werde aufgetischt.