Film

Danach hätte es schön sein müssen
von Karin Jurschick
DE 2001 | 72 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 25
08.11.2001

Diskussion
Podium: Karin Jurschick
Moderation: Gudrun Sommer
Protokoll: Aycha Riffi

Synopse

Die Tochter versucht, sich ihrem Vater zu nähern. Die Kamera befindet sich zwischen ihnen, gibt Schutz und fordert zugleich ihre Bilder ein. Es gilt, den unsichtbaren Panzer aufzubrechen, um endlich die unerwünschten Bilder dahinter freizulegen. Ein formal vielschichtiger Kampf gegen das Nicht-Greifbare.

Protokoll

Zur Kamera:

Normalerweise, so Gudrun Sommer, verschwindet in Dokumentarfilmen die Kamera oder die Kamera wird als Medium der Selbstreflexion ins Bild gesetzt. In ‚Danach hätte es schön sein müssen‘ bekommt sie eine besondere Dimension, die sich in den Szenen zeigt, wenn Karin Jurschick sich selbst, und den Vater in der Wohnung filmt. Für Karin Jurschick ist dies ein zentraler Moment im Film. Überhaupt hat die Kamera das Verhältnis zwischen Tochter und Vater verändert. Der Vater hat den technischen Apparat akzeptiert und die Fähigkeit der Tochter den Apparat zu bedienen, respektiert. Die Kamera erzeugte Schutz und ließ gleichzeitig Nähe zu.

Nähe und Distanz:

Die Versprachlichung der Geschichten als ‚Die Geschichte der Mutter‘, ‚Die Geschichte der Tochter‘ usw. ermöglichte es, eine distanzierte Form zu entwickeln, die notwendig war, denn es ging Jurschick nicht nur um ihre Mutter sondern um eine Mutter. Auch sie selbst ist nicht mehr das Kind. Es kann nicht nur um Wahrheit gehen, sondern um verschiedene Geschichten, die erzählt werden sollen.

Stimmen:

Bei den Stimmen war es wichtig, für die Mutter einen Raum zu finden, ihr eine Stimme zu verleihen. Es gab auch nur wenig Menschen, die von der Muttter berichten konnten. Die Nachbarin mit ins Bild zu nehmen, hätte allerdings geheißen, der Gefahr zuzuspielen, dass sie den der Mutter zugedachten Raum einnähme. Jurschick wollte für die Stimme der Mutter eigentlich keine Schauspielerin, die zu sehr interpretiert. Eva Mattes war in zwei Fällen ein großer Glücksgriff. Erstens spricht sie erstaunlich normal. Zweitens hat sie sich zurecht durchgesetzt, wenn es darum ging Betonungen, Stimmungen einzubauen.

Visualisierung(-smanie):

Es gibt im Film Bilder, die sich an der Wohnung abarbeiten (z.B. die Einrichtung des Puppenhauses). Das sind inszenierte Bilder, die versuchen der Mutter einen Raum zu geben, der sie vom Raum des Vaters abgrenzt.

Dann wurde mit verschiedenen Layern gearbeitet, die Schichten von Erinnerung abbilden. Es gibt Bilder im Film (der ‚Mixer im Raum‘), die die Perspektive der Mutter darstellen und einen Gegenpol zwischen den Maschinen des Vaters und den Maschinen der Mutter aufzeigen. Aber das ist ihre Form der Interpretation, sagt die Regisseurin.

Absichten:

– Warum bringt Jurschick diesen Film in die Öffentlichkeit und gewährt diesen privaten und schonungslosen Blick auf den Vater, fragt ein Zuschauer.

Die erste (mittlerweile) Standartantwort der Filmemacherin ist, dass ihr Film zu gut gelungen ist, als dass sie ihn sich nur selbst anschauen will. Und dann ist die Geschichte ja nicht so Einzigartig. Die deutsche Kriegs- und Nachkriegszeit, wie sie sich über die Geschichten der Eltern vermittelt, lässt eine – wie sie es nennt – Anschlussfähigkeit an andere Geschichten zu.

Schuld:

– Die Einbeziehung des historischen Materials, lässt die (verkürzte) Lesart zu, dass das Individuum entlastet wird, weil es durch seine Zeit geprägt wurde.

Jurschick sieht keine Entschuldigung des Einzelnen durch die Kollektivgeschichte. Es gibt immer Verantwortung, allein weil man sich entscheiden kann. Der Fall des Selbstmordes führt allerdings immer in die Frage nach Schuld. Obwohl die schnelle Reaktion, wer war Schuld?, immer fruchtlos ist.

Tochter und Vater auf Reisen:

Die Szene des Vaters, wie er am Strand von den Wellen umgeworfen wird, verursacht die Frage, darf eine Tochter ihren Vater so zeigen?

Es gab massive Kritik gegen diese Szene, aber in der sekundenschnelle des Moments, entschied sich Jurschick, nicht die gute Tochter zu sein (es gab ja auch keine akute Gefahr). Die Möglichkeit des Zuschauers hier zu fragen, wie denn die Tochter zu ihrem Vater steht („natürlich auch nicht nur freundlich“) ist für die Regisseurin durchaus spannend.

Der Vater ist mit dem Film auch einverstanden – er fühlt sich richtig dargestellt, berichtet Jurschick. Probleme hatte er nur damit, dass ein Dokumentarfilm ein Bild von einem Schiff zeigt, das nicht seines war, also ein ‚falsches‘ Schiff ist. Auch hatte er etwas gegen das Photo, das in SS-Uniform zeigt, da er ja betonte, dass dies nur eine Episode in seinem Leben war.

In der Tochter-Vater-Beziehung hat der Film eindeutig etwas verändert. Beide nehmen sich nun ‚komplexer‘ wahr.

Rezipientenprobleme:

Es gibt in dem Film Momente, die nicht auszuhalten sind, so eine Meinung. Momente werden gezeigt, die in einem Spielfilm möglicherweise kein Problem wären. In der Dokumentation wird man allerdings in einen Voyeurismus gedrängt, der unangenehm ist.

Eine andere Kritik ist, dass die Menschen im Film ‚totcodiert‘ werden. Sie werden festgelegt Teil einer Maschine zu sein und somit geheimnislos. Dadurch wird der Film bzw. seine Geschichte eben nicht anschlussfähig, gerade weil Erklärungen geboten werden.

Beide Probleme sind so für die Regisseurin nicht nachvollziehbar. Das erste lässt sich auch nur als ein persönliches Problem erfassen. Auch im Dokumentarfilm hat man die Möglichkeit das Kino zu verlassen, wenn etwas nicht auszuhalten ist. Zum zweiten bleibt für Jurschick eines der größten Geheimnisse, wie Menschen so werden können. Es bleibt also vieles un-ausgeklärt.

Noch einmal zur Kamera:

– Wie ist das Verhältnis der Mutter zur Kamera?

Es gibt eine Unsicherheit der Filmemacherin, ob sich dies beantworten lässt. Da ist jemand, der tot ist, also abwesend, und es werden Bilder und Gegenstände gesucht, die die Person vermittelbar machen sollen. Es kann nicht mehr sein als ein Suchen.

Die Kamera beschreibt eher die Suche der Regisseurin, als die abwesende Person.