Film

Black Box BRD
von Andres Veiel
DE 2001 | 102 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 25
08.11.2001

Diskussion
Podium: Andres Veiel
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Ilona Kästner

Synopse

Zwei Biographien im Nachkriegsdeutschland Wolfgang Grams: Seit 1984 im Untergrund, gerechnet zur Kommandoebene der dritten RAF-Generation. Alfred Herrhausen: Er steigt auf zur Spitze der Deutschen Bank. Im November 1989 fällt er einem Attentat zum Opfer. Grams stirbt 1993 bei einem Schußwechsel mit der Polizei.

Protokoll

Die Diskussion zum erfolgreichsten Dokumentarfilm des letzten Jahres wird von einem ersten Fragenblock eingeleitet, mit dem Werner Ruzicka dem Regisseur zunächst die Möglichkeit bietet, sich zu einzelnen Parametern des Films zu äußern. Mit dem Einstieg des Publikums beginnt eine angeregte Diskussion, die vor allem den Ansatz des Films fokusiert: können abstrakte politische Verhältnisse auf einer biografischen Erzählbasis dargestellt bzw. angemessen problematisiert werden?

I.

“Black Box” ist eine Auseinandersetzung mit der eigenen Generation, auch mit der eigenen Biografie gewesen, erklärt Andres Veiel auf die Frage nach der Motivation zum Film.

Geleitet vor allem von dem Wunsch zu verstehen, welche Beweggründe jemanden wie Wolfgang Grains 1984 noch dazu verleiten konnten, in den Untergrund zu gehen-, zu einem Zeitpunkt, als die RAF eigentlich schon für tot gehalten wurde. Alfred Herrhausen wurde als durchaus unkonventioneller Repräsentant sowohl der Deutschen Bank, als auch der Politik der Bundesrepublik als Konterpart zu Volker Grams gewählt.

Der Titel “Black Box” deutet auf zwei Ebenen die Anliegen des Films an. Zum einen will Lind kann dieser auf der Erzählebene der Bioarafie kein Licht in das Dunkel des Bundeskriminalamtes bringen; und zum anderen soll er im Sinne eines Flugschreibers verstanden werden, als etwas, das nach der Katastrophe übri g, bleibt, deren Spuren aufgezeichnet hat, über die Katastrophe also auch hinausweist.

Die Kernprotagonisten, Traudl Herrhausen und die Eltern von Wolfgang Grams, konnten nur mit Vorbehalt dafür gewonnen werden, über diesen Film mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu treten. Insgesamt hat der Film vier Jahre Produktionszeit benötigt, zweieinhalb davon Recherche und lange Gespräche. Im Fall der Bänker kam es darauf an, das Kalkül und die üblichen Repräsentationsmuster zu unterlaufen, was nach Ansicht des Regisseurs gut funktioniert hat.

Die Symmetrien in den Biografien sind kein Ergebnis einer dramaturgischen Konstruktion. Manche Affinitäten haben sich erst beim Schneiden ergeben. Diese sollten dann zwar nicht forciert, aber auch nicht künstlich entfernt werden. Der Film will kein Thesenfilm sein, auch mit keiner Versöhnungsgeste die bestehenden Differenzen zukitten.

Die grobkörnigen schwarz/weiß-Bilder haben nicht die Funktion, fehlende Bilder aus dem Untergrund zu ersetzen. So sollen stattdessen den A bstand erleichtern zu den eher kühlen Bildern aus der Deutschen Bank und eine Art zeitlosen Prjektionsraum für beide Erzählebenen anbieten.

Mit den arrangierten Stimmungsbildern bei den Eltern, neben anderen das SuppeEssen, will Veiel die Atmosphäre einfangen. Wie war die Beziehung, aus der Grams hat entkommen wollen? Dazu gehört auch die Szene, in der der Vater über seine Vergangenheit bei der Waffen-SS spricht. Ihn dazu zu bringen, dafür wären allerdings einige “Sitzungen nötig gewesen. Ruzicka wendet hier ein, der Eindruck entstehe, Veiel habe genau gewusst, was er in der Kamera haben möchte. Also doch ein Thesenfilm? Dieser Punkt wäre ihm einfach sehr wichtig gewesen, so Veiel, ohne diesen Erfahrungswert bliebe die Verweigerung Grams nicht denkbar. Bestimmte Dinge müsse der Film zeigen, um nicht beliebig zu werden.

Warum diese Anekdotenfülle in der Darstellung Herrhausens? Welcher Effekt ist mit dem Umschlag ins Private der öffendichen Person anvisiert? Eine Humanisierung? Veiel rekonstruiert auf diese Frage den dramaturgischen Aufbau der Figur, die mit dem gewohnten, öffentlichen Bild im Umfeld der Deutschen Bank eingeführt wird, um dann mit der Scheidung und der Bereitschaft zum Rücktritt aus dein Vorstand einen ersten Bruch zu erfahren. Dadurch soll der spätere Dissenz mit der Bank strukturell vorbereitet werden. Die private Dimension verknüpft sich mit der öffentlichen. Dennoch bleibe die Frage, wird von Werner Ruzicka eingewendet, wie dieser Dissenz zu deuten sei. Der Film lege eine moralische Lesart nahe, was doch auch im Rahmen kalkulierender Bankintelligenz, verstanden werden könne. Veiel sieht dagegen keine Verwandlung zum Heiligen in der Figur Herrhausens und das Interesse an langfristiger Rendite würde durchaus angesprochen. Worauf es ihnen angekommen wäre, sei die Infragestellung fundamentaler Prinzipien durch Herrhausen. Der Film zeige ihn als jemand, der sich über bestimmte Grenzen hinwegsetzt.

II.

Thomas Rothschild steigt mit der Kernfrage der anschließenden Diskussion ein; ob die gewählte Form der individualisierten Geschichte, eine Art Heldengeschichtsschreibung, nicht die Möglichkeit einer politischen Debatte verschloß. Implizit würde so doch ein versöhnender Film entstehen. Veiel bezieht sich auf die Rezeption des Films, die zeige, dass der Film gerade viele aktuelle Anschlussmöglichkeiten bietet. Er entspreche durchaus einem heutigen Bedürfnis, die alten monolithischen Standpunkte zu hinterfragen. Vor allem im Ausland (Honkong, Paris) wurde der Film in Bezug auf den 11. September als indirektes Diagnoseinstrument verstanden. Der Vielschichtigkeit des Phänomens sei nicht mehr mit den üblichen Einteilungen beizukommen, und der Film versuche gerade diese zu unterminieren Auch sei er keine Heldenikonografie, die Figuren bleiben gebrochen, in sich widersprüchlich.

Aber die Bedingungslosigkeit von jemandem wie Wolfgang Grams sei nicht über einen psychologischen Ansatz zu analysieren, wird von Rothschild eingeworfen. Wie soll das Feindbild von Grams rekonstruiert werden, ohne die Strukturen, gegen das es sich richtet. Die individuellen Geschichten kämen mit dem politischen System nicht zusammen; Ergebnis des Films sei letztendlich nur die Frage, ob nicht der falsche Bänker ermordet wurde. Dass sei gerade der Ansatz des Films, so Veiel, beide Ebenen miteinander zu verbinden, die abstrakten Systemstellen auf der Todesliste mit Fleisch und Blut zu füllen, Und Volker Heise fügt hinzu, die üblichen Symbole (Deutsche Bank, RAF), mit denen über Politik üblicherweise verhandelt Lind polarisiert wird, sollten überschritten werden.

Jan Verwoert stellt den Bezug her zu einer Tendenz in der aktuellen Politik, die bundesrepublikanische Vergangenheit auf private Geschichten zu reduzieren (Fischer, Trittin). Die Strukturen verschwinden hinter den Biografien. Thomas Kufus weist auf die Momente hin, die im Film staatliche Strukturen anzeigen, aus denen heraus die Radikalisierung Grams zu verstehen ist (unschuldig im Knast, Wohnungsdurchsuchungen, …). Und von Veiel wird noch einmal betont, dass gerade über diesen Bezug zur Gegenwart die politischen Anschlußmöglichkeiten gegeben seien. Der Film zeige Schily am Grab von Meins und Fischer mit Helm in einer Prügelszene; man fragt sich, wie diese biografischen Brüche zustande kommen.

Aus dem Publikum wird darauf hingewiesen, dass der Anschluss an die Gegenwart eine gleichzeitige Historisierung der Vergangenheit nicht ausschließe. Dies sei ein fortlaufender Prozess, und was in den 80er und 90er Jahren noch im Rahmen einer Blocklogik diskutiert wurde, würde nun mit einem anderen Erkenntnisinteresse verfolgt; der Film frage nach den persönlichen Motiven, bzw. den Motiven der Motive. Auch Petzolds Film “Innere Sicherheit” interessiere sich nur mehr für den Alltag der Terroristen, die ihre Idee verloren haben. Auf die Frage, ob für Veiel die Idee dieser Art von Historisierung akzeptabel sei, betont dieser noch einmal, dass es ihnen hauptsächlich darum gegangen wäre, festgefahrene Diskussionsformate, die Denk- und Sprachtabus zu unterlaufen. Gerade in Bezug auf die aktuellen Ereignisse diene der Film vielleicht als Katalysator, alte Bedingungsgefüge zu hinterfragen.

Gudrun Sommer sieht in dem Film keine Möglichkeiten einer politischen Diagnose. Dieser bleibe doch sehr wohl geschlossen als Heldenerzählung und außerdem innerhalb seiner formal gesetzten Bipolarität. Nur auf den ersten Blick, auf den zweiten zeigten sich die Brüche, so Andres Veiel. Diese Brüche auf individueller Ebene aber, beharrt Gudrun Sommer, seien nicht nutzbar für eine politische Auseinandersetzung. Von Volker Heise wird energisch eingeworfen, dass ein biografischer Ansatz nicht mit Heldengeschichten gleichzusetzen, und dass der Blick auf die Atome dieser zwei Fronten als hochpolitisch anzusehen sei. Gerade mit diesem Ansatz würde die Geschichte nicht abgeschlossen werden, es bleiben immer offene Stellen.

Der Film habe ja auch interessante Perspektiven geöffnet, so Thomas Rothschild. Es ginge nun eher darum detaillierte Fragen zu stellen. So z.B. wie oder ob es überhaupt möglich ist, auf dieser Ebene die Sichtweise von Grams zu rekonstruieren. In Bezug auf’ Herrhausen habe der Film die Bänker gebraucht, um Strukturen darzustellen. Interessant daran ist die Spezifik der einzelnen Leben, die eine Sichtweise vorzuschreiben scheinen.

Aus dem Publikum wird das Ungleichgewicht bemerkt, das zwischen der Darstellung von Traudl Herrhausen und den Bänkern auf der einen, den Eltern auf der anderen Seite im Film zu spüren ist. Während die Eltern sich mehr der Kamera ausliefern und bei intimen Situationen gezeigt werden, wie z.B. das Suppe-Löffeln, hat die andere Seite viel Raum für Selbstinszenierung. Dies wird vom Regisseur bestätigt. Eine Landtagsabgeordnete wie Traudl Herrhausen habe ein anderes Medienbewusstsein als die Eltern von Wolfgang Grams. Was allerdings nicht unbedingt als Pluspunkt für sie ausgewertet werden muss. Von Jutta Dobentein wird in diesem Zusammenhang nach der Haltung des Regisseurs in den Interviews gefragt, aus der heraus vielleicht die unterschiedliche Elaboriertheit der Protagonisten auch zu erklären sein könnte. Hat der Regisseur einen Mangel an Souveränität mitgebracht? Die Beziehung zwischen den Eltern und ihm habe sich entwickelt, wird von Veiel darauf reflektiert. Es wären durchaus Türen aufgegangen und der Film ist auch keine Abrechnung, wie er das vor zehn Jahren vielleicht noch gewesen wäre.

Ist der Film nun die Antwort Veiels auf seine Ausgangsfrage, warum aus einer Generation mit gleichen Vorausetzung gerade jemand wie Wolfgang Grams in den Untergrund ging, will zum Schluß noch jemand aus dem Publikum wissen. Er hätte keine Antwort darauf im Film gefunden. Was hat der Regisseur herausgefunden? Der sieht den Motor nicht mehr in einem Zweifrontenkrieg, das Befreiungspathos war zu dieser Zeit schon erloschen. Verzweiflung würde die Lage besser beschreiben. Aus der gestellten Diagnose heraus, dass der Staat sich zu einem faschistischen Staat entwickeln würde, hätte sich das Notwehrgebot abgeleitet. Es bleiben natürlich viele Leerstellen, betont Veiel noch einmal, eben die Black Box. Der Film möchte nur Angebote machen, kein vollständiges Bild kann aus den einzelnen Zutaten abgeleitet werden.