Film

Dienstleistung: Fluchthilfe
von Oliver Ressler, Martin Krenn
DE/AT 2001 | 51 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 25
06.11.2001

Diskussion
Podium: Oliver Ressler, Martin Krenn
Moderation: Hilde Hoffmann
Protokoll: Judith Keilbach

Synopse

Es scheint fast unmöglich, die Grenzen der „Festung Europa“ von außen zu überwinden. Der Film beleuchtet dieses Problematik aus einer eher marktwirtschaftlichen Perspektive. Begriffe wie Schlepper und Schleuser verlieren an Negativität und heben den Dienstleistungscharakter des Fluchthilfe-Gewerbes heraus. Die Nachfrage regelt das Angebot.

Protokoll

Hilde Hoffmann eröffnete die Diskussion von Dienstleistung: Fluchthilfe mit einer Einordnung des Films in die Tradition von Gegenöffentlichkeiten, wie sie beispielsweise von Brecht, Enzensberger oder Godard als Utopie entworfen wurde. Von den ‘typischen’ Bewegungsvideos unterscheide sich Dienstleistung: Fluchthilfe ihres Erachtens jedoch u.a. in der Leichtigkeit seiner Erzählung, hob sie hervor und befragte die Filmemacher, wie sie sich selbst in dieser Tradition verorten. Sie seien, so Martin Krenn und Oliver Ressler, mit den bestehenden Produktionen unzufrieden, in denen MigrantInnen nur als Opfer erscheinen oder ihnen lediglich eine schwache Sprecherposition zuerkannt wird. Ihnen sei hingegen die Darstellung starker Personen wichtig gewesen, denen die Filmemacher beispielsweise auch die Definition der Interviewsituationen überlassen haben.

Kunst: Oliver Ressler und Martin Krenn beschrieben einige ihrer im Kunstkontext verankerten Projekte zum Thema Flucht und Migration. Neben Videoarbeiten entstanden auch ‘Arbeiten im Außenraum’ wie die im österreich-slowenischen Grenzgebiet verteilte Postwurfsendung Grenzblatt. Die Nutzung verschiedener Distributionskanäle ermögliche es, unterschiedliche Öffentlichkeiten zu erreichen. Diese Hybridität hob Hilde Hoffmann als neue Qualität im Kunstbereich hervor.

Fernsehen: Das Auditorium interessierte sich hingegen weniger für die Möglichkeiten zur politischen Arbeit im Kunstkontext, sondern eher für einen Vergleich des Verhaltens von deutschen und österreichischen Grenzbeamten. Dieser Film müsse dringend im Fernsehen gezeigt werden, forderte ein Diskutant euphorisch, worauf Hilde Hoffmann hinterfragte, inwiefern Dienstleistung: Fluchthilfe im Fluss der konventionellen Fernsehbilder über das Thema Migration ‘bestehen’ könne. Der Film verweigere sich den üblichen Darstellungsweisen, bestätigte Oliver Ressler. Er verwies u.a. auch auf die in Dokumentationen gern verwendeten Bilder aus Wärmebildkameras und Hubschraubern, mit denen Flüchtlinge an der Grenze aufgespürt werden. Der Frage, welche Relevanz dem Film im Programmfluss des Fernsehens zukommen können, wurde jedoch leider nicht weiter nachgegangen.

Komplexität: Ein Diskutant bemängelte die Ausblendung von Komplexität, die er am Beispiel des ‘Abrutschens in die Kriminalität’ durch strukturelle Vorgaben als self-fulfilling-prophecy beschrieb. Die Filmemacher führten diese Auslassung einerseits auf die spezifische Lebenssituation der Befragten zurück, wiesen jedoch andererseits darauf hin, dass Kunst immer eine Komplexitätsreduktion bedeute. Die Frage, inwiefern die Entscheidung, Fluchthilfe als Dienstleistung zu definieren und damit als ökonomischen Diskurs zu verankern, in Widerspruch zu früheren linken Positionen stehe, blieb unbeantwortet. Die Filmemacher unterstrichen vielmehr nochmals die Notwendigkeit ihrer Argumentation, um der Kriminalisierung durch die hegemonialen Stimmen etwas entgegenzusetzen. Gegen (sic.) die Forderung nach mehr Komplexität führte ein Diskussionsteilnehmer Godard ins Feld, dessen politische Filme gerade wegen seiner scharfen Beobachtung wieder aktuell seien.

Interview: Zur Frage nach den unterschiedlichen Interviewsituationen legten die Filmemacher ihre Entscheidung dar, den MigrantInnen die Situationsdefinition selbst zu überlassen, während bei den Abschiebepraktikern bewusst die Konfrontation gewählt worden sei, um deren Selbstdarstellung zu beschränken. Man habe hinsichtlich der Präsenz von Personen die Medienkonventionen umgekehrt.

Ästhetik: Den Vorwurf der Nullästhetik beantworteten die Filmemacher lediglich im Vergleich mit ihren früheren Videos. Die technischen Mängel des Films, über die sie selbst erstaunt waren, sind vermutlich beim Umkopieren entstanden. Ihre Einschreibung im Film habe sich aus der jeweiligen Situation ergeben.

Fazit: Die eingangs von Hilde Hoffmann gestellte Frage nach der Tradition von Gegenöffentlichkeiten blieb merkwürdig unbeantwortet im Raum stehen. Dabei sind einige der Themen, die in der Diskussion angesprochen wurden, schon ge-/ be-dacht: Sind antihegemoniale Aktionen nur in Form von Gegenbildern möglich? Wie lassen sich abstrakte Strukturen darstellen?

Da die Form des Aktionsvideos als auch die sich daraus ergebenden Fragen nicht neu sind, erstaunt die fehlende Re-Vision sowohl im Hinblick auf theoretische Fragestellungen als auch bezüglich filmformaler Aspekte doch etwas…