Synopse
Anamnese, Blutabnahme, EKG, … Arbeitsabläufe in einem Krankenhaus. Ein Großbetrieb der medizinischen Versorgung. Das Abspulen von Mechanismen und die Frage nach persönlicher Betreuung. In der ständigen Wiederholung zeigt sich abstrakte Schönheit. Der Chefarzt verordnet „ein bißchen Menscheln“.
Protokoll
Ort der Handlung: Hundertwassersaal in Duisburg, Deutschland
Personen: der Moderator, der Regisseur, der Musiker, Mitglieder der Kommission, ein Jurymitglied, verschiedene Zuschauer
Prolog:
Filmgespräche verlaufen manchmal etwas verquer. So, wie in unserem Fall die Diskussion zum Film ‚Aufnahme‘. Dabei scheint zu Beginn alles so klar – zumindest für den Moderator Vrääth Öhner:
In ‚Aufnahme‘ wird die neurologische Station eines Krankenhauses, ein Raum, der sonst eher unsichtbar ist, sichtbar (Stichwort: Einschließungsmillieu; Foucault und so). Dies umschließt ein klassisches dokumentarisches Anliegen. Der Titel ‚Aufnahme‘ führt direkt auf vier semantische Felder:
1. die Sprache 2. parallel laufende maschinelle Prozesse
3. die Ausbildung von Jung-Medizinern 4. die Aufnahme der Kamera
Die erste Frage ist zur Strukturanalogie, Ärztetätigkeit (hier besonders Anamnese und Diagnose) und der dokumenatrischen Tätigkeit. Und er – Stefan Landorf – ist ja auch von einer Tätigkeit, in die andere gewechselt.
1. Akt:
Das Podium:
Stefan Landorf antwortet (zunächst) biografisch: Als Arzt habe ich mich irgendwann gefragt, was habe ich eigentlich gelernt? Ich habe 7 Jahre funktioniert und jetzt ist klar, dass die Klinik nur den diagnostischen Rahmen geschaffen hat. Das Medizinstudium beinhaltet nur Kreuzworträtselwissen, das sich in der Krönung des ärztlichen Handels, dem Ärztebrief wiederfindet. Ärzte kennen die ‚Unterwelt‘ gar nicht. So ist mein Film eine kleine Forschungsarbeit, was sonst noch in dem ganzen System passiert.
Aber eigentlich ging es in der Frage um die Parallelwelten (Film und Krankenhaus) und die Parallelmontagen. Vrääth Öhner setzt nach – mehrmals; versucht es andersherum und mit neuen Ansätzen: Im Film werden die verschiedenen Orte und Hierachien des Sprechens aufgezeigt. Z.B. die Gespräche der Ärzte mit den Patienten wenn sie dort in einen kindlichen Ton verfallen.
Der Regisseur verweigert sich. Der Moderator hofft – nicht uncharmant – auf Publikumsbeteiligung.
2. Akt:
Publikumsbeteiligung:
Werner Ruzicka, Kommissionsmitglied: 1. Ich finde den Film kühn, so wie er die verschiedenen Formen des Arbeitens verkürzt und rhytmetisiert. Da gibt es ein ‚Wummern‘ der Unterwelten, welches zeigt: ‚Das Oben‘ funktioniert, weil ‚das Unten‘ funktioniert. 2. Noch einmal zu der Hierachie des Wortes: Die Patienten reden nicht. Da ist ein Patient umgeben von einer riesigen Gruppe von Ärzten und wir sehen, wie sie durch den Patienten hindurch reden. 3. 80% der Fachbegriffe habe ich nicht verstanden. Das ist wie eine Fremdsprache; ähnlich wie wenn der Handwerker mir erklärt, was er erneuern muss und ich nichts verstehe.
Stefan Landorf: Diese Geheimsprache wird auch bewusst eingesetzt, der Patient soll nicht alles verstehen.
Hilde Hoffmann, Komissionsmitglied: Um nochmal auf die Parallelität zurückzukommen: Sehen sie Ihre dokumentarische Arbeit als Anamnese und Diagnose des Krankenhauses, so wie der Arzt die Anamnese und Diagnose des Patienten betreibt?
Stefan Landorf: Ich versuche ein System genauestens zu beschreiben. Größer sehe ich mich bzw. meine Arbeit nicht. Reicht das?
Hilde Hoffman ist mit der bescheidenen Antwort zufrieden.
Ein Zuschauer fragt anders: Wie hat eigentlich das Arztpersonal den Film aufgenommen?
Stefan Landorf: Also erstens wurde das Krankenhaus in Berlin Moabit geschlossen. Ich habe den Film dem Chef- und Oberarzt gezeigt, und die fanden den Film – bzw. sich selbst – toll.
Jetzt wird endlich über die Musik bzw. die Tonspur im Film gesprochen. David Michael Sanchez erläutert, dass er keine typische Filmmusik komponieren wollte. Er hat (erkennbare und nicht erkennbare) Originaltöne aus dem Krankenhaus verwendet und quasi ein Kontiniuum hergestellt. Der Sound ist daher gleichfalls dokumentarisch. Stefan Landorf legte während des Schnitts bereits eine Musikidee an und David Michael Sanchez arbeitete dann anhand der Schnitt- und Tool-Liste.
An dieser Stelle formulieren sich zwei gegensätzliche Einstellungen der Zuschauer: Ist für den Einen die Tonspur störend, so begeistert sind andere. Ähnlich uneinig ist das Publikum im Hinblick auf die sich stetig wiederholenden Szenerien: Hier wurde bemerkt, dass Szenen „überreizt“ waren – die Aussage doch schon längst verstanden. Vrääth Öhner ergänzt, dass die Präsenz des Tones ungewöhnlich für einen Dokumentarfilm und besonders den Ort des Krankenhauses ist, da dies ja eher ein Raum der Ruhezonen, sei. Der Film macht hörbar, dass es viele und sich immer wiederholende Töne gibt. Warum die sich stetig wiederholenden Parallelmontagen (Ärzte ‚Oben‘ – Personal ‚Unten‘) irgendwann im Film aufhören, interessiert ihn dann.
Stefan Landorf: In den ersten 40 Minuten geht es um eine Zustandsbeschreibung: wie handeln die Mediziner. Der zweite Teil fragt dann, wie und was lerne ich als Student. Das umschließt besonders die immer wiederholten Untersuchungsmethoden. Ich wollte hier die verschiedenen Stufen des Ärztedaseins beschreiben.
Das Wort ‚beschreiben‘, gefällt zumindest der Duisburger Kommission nicht.
Werner Ruzicka bemerkt: Bescheidenheit ist nicht einleuchtend, weil der Film so komplex ist. Wie der Titel schon sagt: Aufnahmen sind nicht nur Beobachtungen. Sie scheinen geprägt von den eigenen Erfahrungen. Wo also stehst du?
Stefan Londorf kontert: Klar, die Beschreibungen sind geprägt von Erfahrungen.
Gudrun Sommer, Kommissionsmitglied: Ich habe eine Frage an den Mediziner und an den Regisseur. Ist die Haltung des Mediziners, die Krankheit zu finden oder Hypothesen aufzustellen, und ist dies ebenfalls die Haltung des Regisseurs. Inwieweit geht das zusammen oder auseinander?
Stefan Landorf: Ich habe mich bemüht, in den Aufnahmen einen ärztlichen Blick zurückzugeben. Es gibt den diagnostischen Blick, aber was diagnostiziere ich eigentlich: weil es ist ja keine Krankheit da.
Zumindest das ist nun ‚raus.‘
3. Akt:
Wiederholungen werden wiederholt – von allen. Dazwischen etwas übers Ärztedasein. Beispiele:
1. Zuschauer: Der Film hat für mich einen alptraumhaften Charakter. Die Menschen wirken unsympatisch.
2. Zuschauer: Die Szene mit den Fahrstühlen war zu lang. Was sollte das aussagen? Der Mann hasst seinen Job? Regisseur berichtet über die neurologische Station in Moabit: Sehr ‚warm‘, aber eingebunden in das System. Regisseur berichtet über die Neurologie insgesamt: Die Neurologie gilt als intelligentes Fach, weil sie das betreibt, was von der Klinik insgesamt erwartet wird.
Werner Ruzicka: Du zeigst die Körper nur partikular, so wie das Krankenhaus auch partikular ist. Man sieht, dass der Arzt manchmal nur an den ‚Einzelteilen‘ interessiert ist, und dann wird von den Ärzten auf einmal „gemenschelt“.
Stefan Landorf: Die Ärzte dürfen menscheln, aber andererseits ist klar, dass man mit den Menschen gar nichts zu tun hat.
Und … doch noch eine Diskussion?
Jan Verwoert, Jurymitglied: Ich hatte Probleme mit den Parallelmontagen, die fast polemisch oder propagandistisch daher kommen und keinen anderer Blickwinkel ermöglichen: Du lässt keinen Platz für ein eigenes Urteil. Die Ärzte stehen als Deppen da, weil kein ernsthafter Zwiespalt gezeigt wird.
Stefan Landorf: 1. Habe ich mich bemüht, eine Offenheit zu erhalten und 2. gibt es den Zwiespalt, aber den zu zeigen hätte für mich nichts geändert.
Der Moderator greift ein letztes mal zum Wort und weist – obwohl nicht seine Aufgabe – den Vorwurf der Propaganda zurück und bestätigt in diesem Fall den Regisseur.
Dann will keiner mehr was sagen. Der Moderator dankt (allen). Abgang ins Cafe.
Epilog:
Nach der Diskussion werden Moderator und Regisseur in einem angeregten Gespräch im Cafe beobachtet. Alles scheint friedlich und in Ordnung.
Der Kommission könnte man empfehlen: eine Diskussion muss nicht unbedingt auf genau den Punkt hinauslaufen, den man sich in der Vorbereitung so sehr gewünscht hat. Ein alter polit-.Slogan lautet: wenn man was will, muss man die Leute da abholen, wo sie stehen oder sie sich hingestellt haben.