Film

Remote Sensing
von Ursula Biemann
CH 2001 | 53 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 25
07.11.2001

Diskussion
Podium: Ursula Biemann
Moderation: Jutta Doberstein
Protokoll: Judith Keilbach

Synopse

Die Globalisierung der Sexindustrie hat längst stattgefunden: Illegale Netzwerke schleusen tagtäglich Frauen und Kinder quer über den Globus. Der gewohnte Blick auf die Welt mittels Landkarten und Satellitenbildern – die ultimative Abstraktion geografischer Landschaften – verschleiert die komplexen Beweggründe und Überlebensstrategien der Betroffenen. Der Versuch eines Gegenentwurfs.

Protokoll

Jutta Doberstein leitet die Diskussion zu Remote Sensing mit einem Vergleich ein: Im Gegensatz zum am Vormittag gezeigten Film Der chinesische Markt, in dem das Phänomen der Globalisierung an konkreten Personen dargestellt und damit den Zuschauern eine emotionale Teilnahme am Leben der Protagonisten ermöglicht werde, habe sich Ursula Biemann für einen abstrakten Zugang entschieden. Die Persönlichkeiten der Akteurinnen seien nebensächlich, im Zentrum stehen vielmehr Zahlen und Geografien, an denen die Regisseurin das Thema Sexarbeit in essayistischer Weise bearbeite, beschreibt Jutta Doberstein das Verfahren des Films und will mehr zu dieser grundlegenden Entscheidung wissen.

Ursula Biemann stellt ihren weiteren Ausführungen voran, dass sie Sexarbeit nicht nur anhand der Erfahrungen der Frauen selbst für thematisierbar halte, und beschreibt dann, wie sie den Zusammenhang von Militär und Sexarbeit, für den sie sich ursprünglich interessiert habe, zuerst mit found footage Material visualisieren wollte, diesen Versuch dann jedoch als zu platt empfand. Auf die Frage, welche Bilder das Militär gegenwärtig produziere, sei sie auf die geografischen Informationssysteme gestoßen. Die Bilder dieser militärischen Technologien produzieren ‚Globalität‘; als Blick aus dem Weltall auf die Erde wirken sie harmlos, dennoch, so die Filmemacherin, werde genau mit diesen Bilder „rekogniziert“.

Im Gegensatz zu anderen Filmen, die ihre Parteilichkeit über die Reduktion von Fakten herstellen, hebt Jutta Doberstein an Remote Sensing die Komplexität hervor. Als Zuschauerin habe sie sich überfordert gefühlt, die präsentierten Fakten seien verschwommen, aber plötzlich, plötzlich habe der Film sie „nach Hause gebracht“ und das globale Phänomen Sexhandel lokale Bedeutung erhalten.

Daran schließt Ursula Biemann mit einer Problematisierung der Darstellung bzw. Darstellbarkeit des Themas an. In ihrem Film Performing the Border habe sie sich mit einem konkreten Ort, nämlich der mexikanischen Grenze, auf verschiedenen Ebenen beschäftigt, um die globalen und lokalen Verwicklungen aufzuzeigen. In Remote Sensing habe sich nun das Problem gestellt, einer Lokalität vor dem Hintergrund der Vielzahl von aufgesuchten Orten gerecht zu werden bzw. diese nicht zu simplifizieren. Im Film seien viele Orte jedoch gar nicht zu sehen, weil sie nicht vorgeben wolle, das Lokale in dieser Form beschreiben zu können. Insgesamt, so stellte die Filmemacherin klar, wolle sie keine Realitäten sondern Komplexitäten zeigen. In der Kunst, in deren Kontext sich Ursula Biemann verortet, habe man sich – mit gutem Grund – häufig für die Reduktion als Strategie zur Darstellung von Zusammenhängen entschieden, doch für das Thema Globalisierung finde sie diese Strategie nicht mehr brauchbar. Sie habe sich vielmehr für Video als Dokument mit vielen Abzweigungsmöglichkeiten entschieden.

Zum Einsatz von Schrift und Sprache in ihrem Film befragt, stellt Ursula Biemann Video als mögliches Medium des theoretischen Sprechens dar. Wenn nicht alle Ebenen erfasst werden, finde sie das nicht problematisch, und – durch Jutta Dobersteins Buchvergleich angeregt – man könne das Band ja auch zurückspulen.

Der Einsatz von elektronischer Musik und die Ausblendung von O-Tönen beschreibt sie als zentrales Moment, um mit dem Realismus zu brechen. Darüber hinaus habe sie der Versuchung nicht widerstehen können, den theoretischen Entwürfen der fließenden, futuristischen Körper auf auditiver Ebene dadurch eine Form zu geben.

Wie wird Globalisierung visualisiert, wie die Bilder interpretiert und was fällt dabei heraus? Das sind die zentralen Fragestellungen von Remote Sensing. Dies führt Ursula Biemann zum Entwurf von Gegengeografien und Gegenperspektiven, die nicht im binären Schema Gut vs. Böse oder Opfer vs. aktiv Handelnde gefangen sind, sondern auch einen 3. Ort zulassen.

Jutta Doberstein gibt zu bedenken, dass sich die Satellitenbilder für sie auch nach dem Film nicht mit Bedeutung gefüllt haben sondern weiterhin beliebig seien. Die Semantisierung von Bildern, wie sie beispielsweise an den Interpretationen der Satellitenaufnahmen von Massengräbern in Jugoslawien zu beobachten war, könne sie nicht bieten, muss die Filmemacherin feststellen, und verweist auf das Problem der Darstellung von unsichtbaren und abstrakten Dingen. Nur über andere Diskurse, über die Montage und Multiperspektivität seien diese zugänglich.

Auf die verschiedenen Schrifteinblendungen geht Ursula Biemann nochmals genauer ein. Mit den sich aufbauenden (idealtypisch-fiktiven) Reiseprotokollen habe sie eine weitere Ebene der Bewegung einbringen wollen, ohne die gesamte Geschichte der Frauen erzählen zu müssen. Darüber hinaus seien diese Passagen von rhythmischer Bedeutung. Andere Schrifteinblendungen habe sie dazu genutzt, um die Existenz „kleiner Ökonomien“ aufzuzeigen und Einblicke z.B. in die feudalen Herrschaftsverhältnisse zu geben, die im Kontext der Sexarbeit herrschen.

Ursula Biemann schildert kurz ihre Begegnungen mit den Frauen und beantwortet die Frage, warum die Reise in Westeuropa aufhöre, mit dem Hinweis auf die Bilder vom Genfer See und auf die Reiseprotokolle mit Endstation Frankfurt. Sie insistiert nochmals darauf, dass sie keinen kritischen Dokumentarfilm über Sexarbeit habe machen wollen, wie diese in feministischen Zusammenhängen seit den 70er Jahren produziert werden. Ihren Film verortet sie nicht im menschenrechtlichen Kontext oder auf seiten der NGOs. Ihr Anliegen als Künstlerin sei es vielmehr, den Diskurs über die Welt zu verändern und rigide Positionen aufzulösen. Dieses Dazwischen zwischen zwei unmöglichen Positionen, die er als Globalität der Satellitenbilder und Lokalität von „Rotlichtbericht“ (Fernsehen) beschreibt, lobt ein Diskutant als hervorragend gelungen. Eine andere Diskussionsteilnehmerin beschrieb den flash bei der Schrifteinblendung konkreter Kontaktadressen, nachdem sie die Frauenorganisationen im Film zuvor austauschbar und beliebig gefunden habe.

Ausgehend von einer konkreten Interviewsituation, in der die Filmemacherin ungläubig nachfragt, ob die Befragte tatsächlich noch nie ohne Geld Sex gehabt habe, geht es um die Grenzen der eigenen (westlichen) Vorstellung, die unter dem Stichwort der Interkulturalität beschrieben werden. Ursula Biemann versteht ihre Einschreibung als Filmemacherin, die an die Grenzen des Verstehens gelange, als wichtiges Moment, um ihre theoretischen Aussagen im Film aufzuweichen.

Abschließend entspinnt sich ein Disput über die Notwendigkeit für die politische Arbeit, beim Zuschauer einen Mitleidsreflex auszulösen. Hier argumentiert Ursula Biemann mit den NGO-Frauen, die sich von dieser Strategie scharf distanzieren. Die Analyse von Strukturen, die sie konkret benennt, sei für sie wichtiger, denn nie lasse sich das Phänomen der Sexarbeit nur auf das Leiden der Frauen reduzieren. Und weiter: Die Vorstellung, per Video Handlungen auszulösen, gehöre in die 80er Jahre. „Ihr würdet doch nicht aus dem Film gehen und etwas ändern, wenn dieser emotionaler wäre“, gab sie die Kritik an das Auditorium zurück, „sonst hättet Ihr doch schon längst etwas getan!“

Zahlreiche Fragen, die in vorangegangenen Diskussionen ratlos unbeantwortet geblieben sind, hatte Ursula Biemann, so zeigt dieses dichte Gespräch, im Zusammenhang ihrer theoretischen und künstlerischen Arbeiten ausführlich bedacht. Aus der Perspektive der Diskussionen kommt das Duisburger Publikum in der Lektion Möglichkeiten und Probleme der Gegenöffentlichkeit Schritt für Schritt voran. Man darf gespannt sein, bei welchem Erkenntnisstand es am Ende der Filmwoche angelangt sein wird.