Wie wir in den Wald hinein rufen, so schallt es wieder heraus. Dieses Sprichwort fällt mir ein, als ich über Natur als filmischen Resonanzraum nachzudenken beginne und ich frage mich, was es über unser Welt-Verhältnis erzählt. Zurückzuführen auf die Erfahrung des Echos bezeichnet das Bild zwischenmenschliche Verhaltensweisen, die wieder auf uns zurückfallen. Eigentlich als ein Hinweis gedacht, der die eigene Wirksamkeit bewusst macht und auf Wechselseitigkeit verweist, erscheint in der wortwörtlichen Übertragung der Wald als ein passives Gegenüber und ein beliebig ersetzbarer Ort. Dass es den Wald nicht gibt, genauso wenig wie die Natur, gibt Anlass für meine Befragung des Protokollarchivs.
Wenn ich dort in die Volltextsuche das Wort „Wald“ tippe, werde ich schnell fündig: „Diese Bilder haben etwas Romantisierendes“. Die Diskussion um den Film „Kayu Besi“, der illegale Waldrodung in Westneuguinea zeigt, macht deutlich, welche Fallen im Privileg des Blickenden liegen, selbst im Bewusstsein dieser Ambivalenz. Das vielfach bekundete Misstrauen an den Bildern aus dem Publikum scheint sich am schmalen Grat zwischen „Dokumentarischem und Kunst“ festzumachen. Der Eindruck von Kitsch wird nicht nur hier mit der Schönheit der Natur selbst entschuldigt (siehe zum Beispiel auch „Hotet-Uhkkadus“), während die Ästhetisierung der Zerstörung problematisiert wird (siehe auch „Là où nous sommes“).
Das Spannungsverhältnis zwischen Befragung und Beherrschung, das sich auch in meiner Schlagwortsuche widerspiegelt, wird an diesem Beispiel offenbar. So wie die (Such-)Begriffe nicht mit ihren Gegenständen identisch sind, ist es auch der Wald nicht. Schnell wird er zum Mythos, zum Anderen, zur ausbeutbaren Ressource. Die westlich tradierte Vorstellung von Natur als gegensätzlich zur Kultur ist Grundlage dieses ungleichen Machtverhältnisses. Die Idee vom Kultur-schaffenden Geist, der sich die Natur für seine Zwecke nutzbar macht, hat sich in der Moderne bis zur Groteske verzerrt. Als Prinzip spätkapitalistischer Gewinnmaximierung beutet es Frauen, Indigene, Arbeitende aus, zerstört Lebensraum und verschmutzt die Umwelt.
Diese Folgen werden in „Tara“ verhandelt: Das Regie-Duo Francesca Bertin und Volker Sattel stellt dem Mythischen des titelgebenden Flusses die Übermacht der hiesigen Stahl-Industrie entgegen. Sie fanden im Fluss „einen Gegenstand und eine Folie in der sie verschiedene Gegensatzpaare miteinander koppeln: Natur versus Urbanität, Aberglaube versus Fortschrittsglaube“. Um die unsichtbare Bedrohung der industriellen Abwässer oder die Kraft des Wassers darzustellen, werden Bilder mit atmosphärischer Musik unterlegt und von gleitender Kamera gefilmt, als würde die Natur selbst den Blick lenken.
Steckt in dieser Unsichtbarmachung der Filmenden der Versuch, die Natur selbst sprechen zu lassen, wird damit meiner Ansicht nach eher verklärt, um wessen Vorstellung von Natürlichkeit es sich handelt. Selbst also in einer Gegenüberstellung, die den Erhalt der Natur reklamiert und deren Vernichtung kritisiert, scheint sich ein instrumenteller Zugriff zu reproduzieren. Wie können also diese Natur-Kultur-Zusammenhänge in ihrer Komplexität dargestellt werden? Wie kann ein wechselseitiges Verhältnis mit unserer Umwelt aussehen? Und was kann und soll Film in dieser Hinsicht leisten?
Viele Filme und Diskutant:innen der Duisburger Filmwoche stellen sich diese Fragen und geben darauf sehr unterschiedliche Antworten. Neben der Problematik der Ästhetisierung, den Gratwanderungen, zwischen Mythos und Dokument, den Widersprüchen von Idylle und Industrie, erfahren wir auch etwas über die bildlichen Verfahren. Vom Wunsch der Annäherung an eine nicht-menschliche Erfahrung(swelt) bis zur Infragestellung ihrer Abbildbarkeit; wie wir uns zur „Natur“ in Beziehung setzen, erscheint dabei als eine Frage der Dokumentarfilmethik schlechthin.
Vermittelt über das Verhältnis von Filmenden und Gefilmten, von Subjekt und Objekt, wird diese Beziehung auch an der entsprechenden Kamera- und Montagetechnik festgemacht. So wird zum Beispiel die Kontrolle über die Bilder mal ganz abgegeben: „Becoming Animal“ nutzt technische Möglichkeiten um, „näher an die Natur heranzukommen“. Dabei solle nicht von einem „going-back to nature“ die Rede sein, sondern von der „Chance, im Kino durch bestimmte sinnliche Bilder den eigenen Erfahrungshorizont zu erweitern.“
Harun Farocki spricht im Nachgespräch zu „Zum Vergleich“ von der Ermöglichung einer „erschließenden Lektüre“: „Kontrapunktische Bezüge durch den Schnitt zu setzen, fand Farocki (im Gegensatz zur Installation) innerhalb der linearen Filmstruktur zu plump – anstelle einer ‚dummen Oppositionsmontage‘ vertraue er nach dem Prinzip der ‚Montage auf Distanz‘ darauf, dass der Zuschauer selbst Bezüge zwischen den einzelnen Sequenzen herstellen könne.“
Die Distanzmontage als einen Rezeptionsmodus zu fassen, wie es auch der Titel der Essayreihe vorschlägt, erlaubt nicht nur Bezüge innerhalb eines Filmes zu erkennen, sondern zwischen einem Ensemble von Filmen. Ihre Wechselwirkungen hallen in den Protokollen nach, die die erzielte Resonanz der Filme festhalten.
„Resonanz“ als rettendes Prinzip in unserer (selbst)zerstörerischen Welt, kommt im Film „Benedikt“ zum Tragen. Regisseurin Katrin Memmer nennt im anschließenden Gespräch Hartmut Rosas Resonanztheorie als Inspiration. Darin führt der Soziologe als Lösung gegen Stress und Produktionszwang die Etablierung von Resonanzbeziehungen ins Feld; wechselseitige Beziehungen zu Menschen und Dingen, die uns umgeben, die nicht instrumentell sind. Laut Filmbeschreibung lebt der Honigbauer Benedikt dementsprechend „im Austausch mit der Welt“. Doch in der Darstellung bäuerlichen Landlebens meine ich vor allem eine Verklärung von Arbeitsverhältnissen zu entdecken, die in der Betonung des sinnlichen Erlebens vielmehr von der Sehnsucht des Stadtmenschen nach Entschleunigung zeugen.
Die Tatsache, dass „Benedikt“ letztes Jahr einen der Hauptpreise, den ARTE-Dokumentarfilmpreis, auf der Duisburger Filmwoche gewonnen hat, scheint diesem Wunsch zu entsprechen, sich in einer sich rapide wandelnden Welt an rettenden Bildern festzuhalten, in die wir uns reinlegen können. Beim Betrachten der nahen, klingenden Bilder stellt sich mir jedoch die Frage, ob die (Resonanz)Erfahrung der Natur hier nicht zum Fetisch wird. So fantasiert der Film vielmehr eine ungebrochene Resonanz zwischen Protagonist Benedikt und seinen Bienen, während sich zwischen mir und ihm keine herstellen mag – der Versuch, Naturerfahrung außerhalb der Vergegenständlichung darzustellen, scheint gescheitert und selbst zur Verdinglichung verkommen.
Doch von einem solchen Scheitern ist beim Lesen des Protokolls keine Rede. Auch nicht vom Vorwurf einer Fetischisierung oder der Skepsis vor schönen Bildern, wie sie an anderen Stellen immer wieder hörbar werden. Dafür wird eingehend von der Sinnlichkeit geschrieben, die die Bilder durch eine Nähe zum Haptischen erfahrbar machen würden. Arbeitsprozesse, Materialveränderungen oder der Wechsel der Jahreszeiten; die Betonung des Prozesshaften soll diese verändernde Beziehung auf das Filmerlebnis übertragen.
Ob das gelingt oder nicht – in der Parallelität von Resonanz- und Kinoerfahrung liegt doch das Versöhnliche: Etwas tut sich vor uns auf, die Leinwand schaut uns an, Motten setzen sich ins Licht. Aus der sicheren Distanz im Kinosaal erwächst ein eigenes Erleben, das weiterklingt in den Diskussionsraum nebenan sowie im Text vor mir.
Fiona Berg schreibt zu Film und macht Filmprogramme. Zuletzt im Zeughauskino (mit Werkschauen zu Gisela Tuchtenhagen und Claudia von Alemann). Aktuell (mit)organisiert sie das Filmfestival feminist elsewheres (mit Elena Baumeister, Charlotte Eitelbach, Sophie Holzberger und Arisa Purkpong), das im November im Arsenal Berlin stattfinden wird.