Film

Zum Vergleich
von Harun Farocki
DE/AT 2009 | 61 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 33
05.11.2009

Diskussion
Podium: Harun Farocki
Moderation: Werner Dütsch
Protokoll: Judith Funke

Synopse

Von der kleinsten künstlichen Baueinheit bis zum fertigen Bauwerk. Wir sehen zu bei der Ziegelherstellung in Burkina Faso, Indien, Frankreich und Deutschland. Frauen formen Ziegel, Männer bauen Häuser. Menschen an Maschinen, Maschinen ohne Menschen. Von der Handarbeit bis zur reinen Technik.

Protokoll

Ein „banaler kleiner Stein“, der Ziegel, ist Gegenstand der abendlichen Diskussion. Bei seinem Anliegen, Arbeit verständlich zu machen, auch in ihren unanschaulichen Formen, hat Farocki ganz auf die enorme Evidenz dieses archaischen Objekts gebaut, einen „ehrwürdigen“, einen „stilllebenfähigen“ Gegenstand, an den sich ganze Lebensentwürfe knüpfen.

Im Vergleich zu Farockis 2007 realisierter Installation „Vergleich über ein Drittes“, die als Doppelprojektion angelegt ist, habe die lineare Organisation des Films einigen Rezensenten missfallen, berichtet Dütsch, und geht sogleich zu einer Richtigstellung über: Allein aus Farockis früheren Arbeiten und Aussagen sei evident, dass sich sein Interesse am Gegenstand nicht auf eine bloße technikgeschichtliche Abhandlung beschränken könne. Tatsächlich ergebe sich aus der Szenenfolge des Films der Eindruck einer „absoluten Gegenwart“, und nicht etwa eine fortschrittsgeschichtliche Entwicklung von der kollektiven Arbeit bis hin zur vollständig industrialisierten Produktion. Auch in Bildern, die mechanisierte Prozesse zeigen, verschwinde die manuelle Arbeit nicht (wie schließlich auch „digital“ als Begriff zuallererst auf den Finger verweise).

Farocki führt aus, er habe die „Mikro-Industriegeschichte“ des Ziegels einmal durchgehen wollen, um anschließend Kontrapunkte dazu zu suchen. Etwa die Technologien „unterhalb des großen Geldes“, wie die im Film vorgestellten Architekturprojekte in Indien und Afrika – der Versuch, billig gute Sachen zu bauen. Oder auch die möglichst unmittelbare Verbindung von Computer und Bauvorgang, für die im Film der Schweizer Roboter steht.

Eine große Schwierigkeit im Vorlauf war, überhaupt an interessante Baustätten zu gelangen (einige Wunschobjekte, wie z.B. die Konstruktion eines Monumentalbaus aus Ziegeln, konnten nicht gezeigt werden). Vor Ort hat sich das im Kern dreiköpfige Team dann viel Zeit gelassen, ist „borniert“ den Produktionsvorgängen gefolgt, um wirklich alles mit aufzunehmen. James Benning interessiert, ob es Farocki auch um die Frage gehe, inwiefern der technologische Fortschritt mit der Einbuße individueller Autonomie, mit zunehmender Entfremdung einhergeht. Farocki möchte darüber kein Urteil fällen, sein Interesse geht eher in die entgegengesetzte Richtung: Wenn Computer letztendlich die menschliche Arbeitskraft nicht mehr nur ersetzen bzw. beschleunigen, sondern darüber hinaus eine eigene Qualität der Substituierung erreichen, dann würde das für ihn den Beginn einer wirklichen Rationalisierung bedeuten.

Die erste und die vorletzte Szene des Films: die kollektive Bauarbeit einer Dorfgemeinschaft an einer kommunalen Krankenstation in Burkina Faso. Eine Szenerie, die fasziniert, wenn auch Dütschs Beschreibung eines „fast utopischen Bildes von Arbeit“ von Farocki relativiert wird: In diesen Arbeitsprozessen zeigen sich durchaus widerstrebende Elemente, die prekäre Situation der Frauen etwa oder auch die Kinderarbeit. Aus dem Publikum wird der Utopiebegriff als eine unangemessene Armutsromantik problematisiert. Diese werde dem Film nicht gerecht, der ja die Gleichzeitigkeit der technologischen Stadien und ihre ökonomischen Zusammenhänge mitreflektiere. Farocki wirft ein, dass man durchaus auch Anregungen von den Armen bekommen könne, gerade bei der Suche nach Modellen für eine deindustrialisierte Gesellschaft, die Kompensationsbeschäftigungen schafft, weil ihr die Arbeit ausgeht.

Grundsätzlich beschreibt er die Materiallimitierung, die das Drehen auf 16 mm-Film bedeutet, als „schön“; sie erlaube zudem, sich die handwerkliche Kompetenz einzubilden – die im Plenum mit der Machart des Films assoziiert wird, und in der ein Diskutant eine Korrelation zum inhaltlichen Fokus sieht. Grundsätzlich versteht Farocki sich allerdings nicht primär als Handwerker (er arbeite vor allem mit dem Mund).

Die Materialwahl stößt auch im Duisburger Publikum auf Gegenliebe – wie das auf der Leinwand tanzende Korn, das einmal Authentizität verbürgte, zum Fetisch wird, resümiert Dütsch.

Die von einem Diskutanten als ostentativ empfundene Großaufnahme eines Handys in Indien sei in der Tat „geschmacklos“, ein Ausrutscher, stimmt Farocki bereitwillig zu; sie habe aber viel gekostet und bleibe deshalb drin. Grundsätzlich habe er versucht, einen Film zu machen, der eine erschließende Lektüre ermöglicht, anstatt eine deutlichere Positionierung zum Gezeigten zu beziehen, wie es sich eine weitere Diskutantin gewünscht hätte. Kontrapunktische Bezüge durch den Schnitt zu setzen, fand Farocki (im Gegensatz zur Installation) innerhalb der linearen Filmstruktur zu plump – anstelle einer „dummen Oppositionsmontage“ vertraue er nach dem Prinzip der „Montage auf Distanz“ darauf, dass der Zuschauer selbst Bezüge zwischen den einzelnen Sequenzen herstellen könne.

Diesem Ansatz dürfte sich Dütschs Beobachtung verdanken, dass sich aus Farockis Bildern immer wieder die dem Geschehen zugrunde liegenden ökonomischen Strukturen und Besitzverhältnisse ablesen lassen – an sich ein komplexes Anliegen, das der Film aber „en passant mit erledigt“. Im Publikum hat man gar den ersten Band des „Kapitals“ im Film wiedergefunden. Oder auch anhand der nicht verbal erfassbaren Interaktion nachvollziehen können, wie die Sprache aus der Geste heraus entstanden sein muss.

Überhaupt gebe es hier endlich mal keinen Kommentar, freut sich Dütsch, denn aus den Bildern ergeben sich für ihn sehr viel aussagekräftigere „lose heraushängende Fäden“.

Farockis Vertrauen in seine Bilder und Zuschauer scheint sich, so der Eindruck dieses Filmgesprächs, gelohnt zu haben.

 Werner Dütsch, Harun Farocki v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
Werner Dütsch, Harun Farocki v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald