Ich kann nicht anders als es zu leiern: intergenerationaler Dialog. Ein Wort mit vielen Silben, ein Wort, das aus meinem Mund gähnend langweilig klingt. Doch nehme ich meine Aussprache ernst und begegne meiner Abwehr mit Neugier, erinnere ich mich an das Argument „eure Generation sieht das einfach anders“, das einen Schlussstrich unter jede Diskussion gesetzt hat. Als handele es sich um einen unüberbrückbaren Graben, gegründet auf grundverschiedene Erfahrungen, dazwischen ein reißender Bach, der alle Nuancen hinfort strömt – weiter reden sinnlos.
Überhaupt erstmal anfangen, miteinander zu reden, das war ein Ziel der geteilten Vorführungen der Duisburger Filmwoche und doxs! dokumentarfilme für kinder und jugendliche. Die punktuelle Verschränkung des Programms gab das Parkett frei für Begegnungen über Altersgrenzen hinweg. Das bietet Anlass, eine lose Sammlung von Fundstücken zur Frage der Generationen und ihrer Zusammenkünfte und Dialoge anzulegen.
1.
Zunächst stöbere ich ein wenig in den Protokollen. Drei Protagonist:innen unterschiedlicher Generationen haben eine Gemeinsamkeit und blicken aus unterschiedlichen Perspektiven auf eine geteilte Erfahrung – diese Figurenkonstellation findet sich nicht selten in Dokumentarfilmen, die auf der Duisburger Filmwoche gezeigt werden.
Die Protokolle verhandeln, ob sie als Repräsentant:innen ihrer Generation zu verstehen sind. In einem widerspricht Ulrike Franke jedoch einer solchen Lesart. Zur Diskussion um „Und vor mir die Sterne“ schreibt Protokollantin Judith Keil: „Nicht unbedingt als Generationenfrage möchte sie das Phänomen der ‚identitätslosen‘, fremdbestimmten Frauen, die um 1945 geboren wurden, verstehen. Immerhin hätten sich 1968 viele aus diesen Strukturen befreit.“
Eine, die sich eben nicht befreien konnte, ist die Protagonistin Renate Kern. Geschichten wie ihre verschwinden hinter dem dominanten Topos der 1968er Generation. Eine Alterskohorte teilt also nie per se die gleiche Erfahrung, obgleich sich Erfahrungen in spezifischen historischen Epochen verdichten. Und manchmal verstellt die Linse der Generation auch den Blick auf andere Differenzkategorien wie Geschlecht, Herkunft und Klasse. Es gilt also genau hinzuschauen und die Verschränkungen intersektional zu untersuchen.
2.
Das Patriarchat, eine Vater-Tochter-Beziehung und die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Generationen – all das begegnet sich in „Mily Tati“ (CZ 2021, Gewinner der 12. Großen Klappe, doxs!). Darin schreibt Diana Cam Van Nguyen als Erwachsene einen filmischen Brief an ihren abwesenden Vater. Sie formuliert eine späte Antwort auf die liebevollen Texte, die der Vater einst aus dem Gefängnis an sie geschickt hatte. Nach seiner Entlassung dann verließ der Vater die Familie. Der Grund: Seine Frau gebärt ein weiteres Mädchen, er wollte einen Jungen.
Den innigen und zugewandten Kontakt, der mit dem Fortgang des Vaters abgerissen ist, den klebt Van Nguyen in ihrem filmischen Brief an ihren Vater wieder zusammen, mit Legetrick und gedrehtem Material, aus zusammengesetzten Fetzen. Mit einer herausgetrennten Kurzhaarfrisur, aufgelegt auf das eigene Foto, zeigt sie den kindlichen Wunsch, dieser Junge für den Vater zu sein. Die Risse bleiben dennoch sichtbar, sie werden nicht komplett gekittet. Es öffnet sich ein filmischer Raum, ein Ausgangspunkt für einen Dialog, der jenseits der Realität auf der Leinwand noch nicht existiert. „Ich möchte Dich gerne verstehen“ beendet Van Nguyen ihren Film. Die Möglichkeit der Montage eröffnet also Räume, in denen intergenerationale Gespräche stattfinden, die jenseits der filmischen Wirklichkeit nicht zustande kommen.
3.
In „Girls | Museum“ sprechen junge Mädchen und Queers über Kunstwerke im Museum. Zwischen der Kamera, der Filmemacherin und den Girls im Museum entspannt sich ein Dialog über die Wahrnehmung und Lesart von Kunst. „What would I’ve thought of the collection when I was a seven or nine year old girl?“ zitiert Protokollantin Eva Königshofen das autobiographische Interesse Shelly Silvers. Nicht besonders überrascht ist erstere von der Beobachtung, dass besonders die Jüngeren mit originellen Antworten („Wer im Bild wärst Du gerne?“ – „Die Weintraube“) bestachen, während die die Älteren normierte Formulierungen nutzten.
Als ein Lehrstück über die Entwicklung eines bildungsbürgerlichen Kunstgenusses lässt sich der Film ebenfalls lesen. Zur Frage der Generationen erzählt er uns, wie Kinder tendenziell eigenwilliger einem ungerichteten ästhetischen Erleben freien Lauf lassen, während mit dem Heranwachsen, der Sozialisation in Bildungsinstitutionen, eine vorgeformte Haltung der Betrachtung eingeübt wird. Es entstehen Denk- und Stanzmuster, für die wir Anerkennung bekommen – und gute Noten. Die traurige Bilanz ist auch hier, dass die Kinder ihre eigene Lust am Sehen und an den unabgeschlossenen Bildern in letzter Instanz gegenüber der Erwachsenenexpertise geringschätzen, ihr weniger Bedeutung beimessen. „Jemand anderes hat sich etwas dabei gedacht“ heißt es zum Ende auf die Frage, ob sie etwas daran ändern würden, dass hier hauptsächlich männliche Künstler hängen.
Damit lässt sich der Film auch als ein Plädoyer verstehen, den inneren Kinderstimmen und -impulsen in uns zuzuhören, Wahrnehmungen nicht in schablonierte Formen zu pressen; die Offenheit der Betrachtung auszuhalten, und eine Chance darin zu sehen, dass sich Bilder einer vollständigen sprachlichen Ausdeutung verweigern. Der Film bereitet Lust auf diese eigensinnige, fantasievolle Weise, Kunst zu betrachten. Genau die Kultivierung einer solchen Lust und ihrer Artikulation verspricht, Zugangshürden abzubauen und Wissenshierarchien zu unterlaufen. Ein Austausch über konkrete ästhetische Erfahrungen und anknüpfende Assoziationen schafft Kontaktstellen – auch zwischen den Generationen.
4.
„Der Film ist eine wunderbare Provokation für das klassische Filmwochenpublikum, er bricht mit formalen Traditionen und greift Socialmedia Ästhetiken auf,“ erläutert Therese Koppe die Auswahl der Kommission, „Vlog #8998 Korean Karottenkuchen & Our Makeup Routine“ als gemeinsames intergenerationales Screening zu programmieren. In ihrem autobiographischen Film unternimmt Ji Su Kang-Gatto gemeinsam mit ihrer Schwester eine Reise an die Orte ihres Aufwachsens, auf der Suche nach dem besten Karottenkuchen und einer Artikulationsform für Erfahrung von Rassismus.
Visuell knüpft Kang-Gatto mit Emoticons, Über- und Untertitel, einer dynamischen Kamera an Seherfahrung von TikTok oder Instagram an. Das Protokoll berichtet, wie die Intention zu provozieren ihre Wirkung nicht verfehlt:
„Ein Zuschauer gibt sich […] irritiert ob der vielen Information von Text und der wackeligen Kamera, es hätte ihn teilweise so angestrengt, dass er wegsehen musste. Kang-Gatto antwortet, dass sie an einer unangepassten Ästhetik interessiert sei, […]. Es erinnert sie an ihre eigene Persönlichkeit, die sie mit uns teilt und durch die man sich kämpfen muss.“
Damit ist die Formensprache Social Medias sowohl ein zeitgenössischer Ausdruck, ein Anknüpfen an Sehgewohnheiten von Generationen, die einen alltäglichen Umgang mit Social Media pflegen. Darüber hinaus aber auch eine Möglichkeit über neue Bildebenen Gleichzeitigkeiten und Überlagerungen, Komplexität von Gefühlen, Mehrsprachigkeit und permanente Übersetzung, sowie einer Überforderung Ausdruck zu verleihen.
Wie ist die Irritation noch zu deuten? Sehgewohnheiten haben nicht nur etwas mit Alter zu tun, sondern auch mit Klasse: Dem Popkulturellen wird etwas Profanes und Oberflächliches zugeschrieben. „Der Film bricht eben mit der Erwartungshaltung einer bestimmten Form, die wir aus Duisburg kennen: ohne Dialoge, lange Einstellungen. Und sobald die Form einem Mainstream entspricht, soll das dann keine Kunst mehr sein,“ legt Koppe das frühe Verlassen einiger Kinozuschauer:innen aus.
Ein Dialog darüber entwickelt sich zwischen jungem doxs!-Publikum und Filmwochenpublikum im moderierten Setting aber nicht wie gewünscht. Es sprechen hauptsächlich die Erwachsenen. Die, die mit dieser Form des Gesprächs erfahren sind. Koppe berichtet, dass sie sich zuvor viele Gedanken gemacht haben, darüber, wie sie Schülerinnen ermuntern können, sich zu beteiligen. „Die interessanten Gespräche haben aber dann erst draußen stattgefunden. Ji Su und ich haben die Schüler:innen ermutigt selbst zu schreiben, etwas zu drehen und damit sich und ihre Perspektiven auszudrücken.“
Es ist und bleibt kompliziert einen Raum herzustellen, in dem sich möglichst viele Menschen unterschiedlicher Hintergründe eingeladen fühlen, teilzunehmen – unabhängig von ihrem Alter. Zu erproben wären neue Formen der räumlichen Anordnung, jenseits der Frontalität. Auch Moderations- und Fragehaltungen, die Staunen und Zaudern zulassen, können Zugangsbarrieren abbauen. Theoretische Ansätze der ästhetischen Filmbildung1 schlagen eine Suche nach Spuren ästhetischer Erfahrung vor, die im Kontakt mit dem filmischen Werk entstehen. Diese gemeinsame Suche, wenn sie gelingt, scheint mir eine vielversprechende Einladung.
Mirjam Baumert (*1985) arbeitet als Projektreferentin und Vermittlerin im Bereich Filmbildung und Atelier am Filmhaus Köln. Sie studierte Osteuropastudien, Kulturwissenschaften und Germanistik.
1 u.a. Zahn, Manuel: Ggf. Zu den Möglichkeitsbedingungen von Ästhetischer Film-Bildung. In Hofhues, S. & Schütze, K. (2022) Doing Research – Wissenschaftspraktiken zwischen Positionierung undSuchanfrage. Bielefeld: transcript, S. 254-261.