Film

Hotet-Uhkkadus
von Stefan Jarl

Screening
Duisburger Filmwoche 11
1987

Diskussion
Podium: Carl Slättne (Regisseur), Jorgen Burberg (Vertreter des Svenska Institutes, Stockholm)
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Michael Kwella

Protokoll

Eigentlich sei Stefan Jarl seinerzeit dabeigewesen, mit einer Gruppe von Lappen einen Spielfilm zu drehen, habe sich jedoch aus aktuellem Anlaß zu einer Dokumentation über die Folgen von Tschernobyl für die Lappen entschieden.

Angesichts der spätmorgendlichen Frühe bemühte sich der Moderator erfolgreich, die Debatte mit dem „Duisburger Trick“ in Gang zu setzen – sprich mit einer sanften Provokation des sicheren Kalküls: Inhaltlich habe ihn der Film durchaus angerührt, aber er frage sich, ob der Film in seinen Bildern nicht auch etwas von Kunstgewerbe und Kitsch aufweise. Ein Zuschauer unterstrich dies im Hinblick auf die Musik, die ihm zu dick, zu emotionalisie… „Ihr seid doch wahnsinnig!“, unterbrach ihn eine empörte Zuschauerin, „bei diesem Thema formale Überlegungen anzustellen!“

Jörgen Burberg: Man müsse die nordschwedische Landschaft kennen – sie sei halt so, wie gezeigt; wenn man sich in ihr befände, wirke sie einfach so, wirke sie „kitschig“. Eine Realität, in diesem Film abgebildet – das könne nur für Cineasten Kitsch sein. („Ich kenne das Leben- ich war im Kino.“ – Anmerk. d. Protok.) Es sei doch zulässig, im Dokumentarfilm visuelle Formen des Spielfilms zu verwenden (Zuruf: „Gerade angesichts der Krise des Dokumentarfilms!“); es könne doch nicht die Alternative sein, Abbilder von Wirklichkeit nur auf Super 8 zu drehen, auf 70 mm aufzublasen und dann ein paar Mal mit der Straßenbahn darüber zu fahren?

Werner Ruzicka griff die Kitsch-Debatte noch einmal auf: Er habe seinerzeit im bundesdeutschen Fernsehen viele Berichte über die Situation der Lappen gesehen – doch sie mittlerweile allesamt wieder vergessen. Jarls Bilder seien ja ganz klar mit Kalkül gemacht – würde das nicht für eine längere Gültigkeit der Bilder jenseits derer des Fernsehens sorgen? Und, so ein Zuschauer, nicht auch die Dramatik des Geschehens vertiefen?

Nochmals wiederholte die bereits zitierte Zuschauerin; sie habe an dem Film nichts auszusetzen, Formfragen seien in diesem Fall doch wirklich eine Banalität. ·

Der Protokollant, seine eigene Affinität zu ästhetischen Bildern und zu Kitsch einräumend, formulierte ein bei „Hotet“ gespürtes Unbehagen – die Bilder des Grauens seien teilweise wirklich schön anzuschauen und die Musik stellenweise angenehm zu hö … „Du bist pervers!“ entlud sich jene schon zitierte Zuschauerin. Es sei doch eine legitime Frage, so der Redner weiter, ob nicht möglicherweise eine subjektiv als schön erlebte Musik den bedrohlichen Charakter der Bilder und mithin ihre Aussage nicht schlichtweg aufheben könne?

Eine andere Zuschauerin erlebte das anders. Die Bilder hätte sie zwar schon als ästhetisch erlebt – aber da die Bedrohung durch das Cäsium eine unsichtbare sei, habe sich genau der Aspekt der Bedrohung für sie über die Musik vermittelt.

Ein Zuschauer fand die Form dem Sujet durchaus angemessen, schließlich habe sich Jarl auf den Verlust von Wildnis beschränkt, die Folgen für die Zivilisation jedoch ausgeblendet – und letzteres sei seine Kritik an dem Film.

Jorgen Burberg: Stefan Jarl habe sich von vorneherein auf die Bedeutung des GAUs für die Lappen, die Urbevölkerung des Landes, konzentrieren wollen. Ob er dabei den Lappen gerecht geworden sei, so eine Frage aus dem Publikum, immerhin sei Jarl Schwede, und die Schweden täten sich ja zum Teil recht schwer mit ihrem Verständnis für die Lappen? Burberg: Ja, auf jeden Fall. Zum Glück versuche der Film nicht, zu der innerschwedischen Problematik Stellung zu beziehen – das Umdenken in den skandinavischen Ländern sei noch recht neu, es habe eine allmähliche Umwandlung stattgefunden, sich nicht selbst als Ureinwohner zu begreifen, sondern die Lappen mit ihrer Kultur als diese anzuerkennen und in ihrer kulturellen Identität ernstzunehmen.

Ausländer könnten das aktuelle Problem der Lappen möglicherweise emotional nicht wirklich erfassen: Die Basis ihrer gesamten Kultur sei mit der Verseuchung von Rentieren und Fischen zerstört, im Grunde bliebe ihnen nur ein Ausweg – die Identität der „Großgesellschaft“ annehmen zu müssen, einer Gesellschaft, in der nach dem Prinzip „Für die meisten das Beste“ keine Rücksicht auf das einzelne Individuum genommen würde. Doch das Lebensprinzip der (in ganz Skandinavien) etwa 50.000 Lappen sei eine ganz bestimmte Form des Individualismus: Nie habe es bei ihnen Stämme gegeben, sondern lediglich Familiengemeinden; so konnten die Lappen ein friedfertiges Volk sein, das, auf einem großen Areal lebend, bei Konflikten räumliche Ausweichmöglichkeiten fand.

Eine Frau aus dem Publikum wünschte weitere Informationen zu anderen Tierarten und zu den Folgen der Radioaktivität in den Kadavern: Carl Slättne/ Jörgen Burberg: Dem anderen (Klein-)Wild käme ernährungsmäßig- und hinsichtlich des Pelzhandels keine Bedeutung zu, außerdem sei es sowieso geschützt. Die Verseuchung der Elche spiele keine so wichtige Rolle, da die Elchjagd von den Schweden und in erster Linie für Freizeitzwecke betrieben würde.

Mißgeburten bei Rentieren seien bislang nicht zu verzeichnen gewesen; die verstrahlten Kadaver fänden jetzt Verwendung in der Kosmetikindustrie und als Futter auf Nerzfarmen. Bei den Rentieren sei problematisch, daß sie sich nur von einer Flechtenart ernähren würden, und zwar einer, die sehr wasserhaltig sei und nur langsam wachsen würde, mithin einen idealen Speicher für Cäsium und andere radioaktive Substanzen abgäbe.-

Ein weiteres Mal wurde das Gespräch aus dem Auditorium auf Formfragen zurückgebracht: Einem Zuschauer habe gefallen, wie gute dokumentarische Bilder in einen Spielfilmrhythmus gebracht worden wären, wie einerseits ellipsenhaft erzählt würde, andererseits mit ruhiger Kamera und durch die Montage Prozesse enorm verdichtet würden, ohne dabei Landschaft und Arbeit zu mystifizieren. Die Musik habe für ihn etwas Meditatives gehabt, in Anlehnung an kirchliche Elemente ein „Memento“ musikalischer Art. Allerdings habe er im Hinblick auf Bilder und Montage auch Irritationen empfunden, etwa bei der Erzählung der Protagonistin über das Ende des Fischens: Sie begänne zu weinen – Tropfen an Zweigen als Symbol/gebrochen durch den aufsteigenden Hubschrauber – das weinende Gesicht (Tränen durch Hände verdeckt) – der Hund/sein Blickwechsel beim ersten hörbaren Schluchzer – das weinende Gesicht; dies sei für ihn eine symbolische Überfrachtung: „Mit der Natur in eins“.

Burberg: Dies sei ein ganz bewußter Stil von Stefan Jarl, den er von seinem Lehrer Arne Sucksdorff mehr und mehr adaptieren würde. Sucksdorff sei übrigens der einzige Schwede, dem jemals ein Oskar für einen Dokumentarfilm verliehen worden sei – Jarl sei mit „Hotet“ in diesem Jahr zum Oskar nominiert.

Bis heute sei Stefan Jarls Film im schwedischen Fernsehen noch nicht gesendet worden. Nicht – so eine Zuschauer-Spekulation –, weil der Film zu virulent für das TV sei oder die Schweden lieber wegblicken würden, sondern weil Jarl es nicht wolle.

Der Film laufe in den „Folkets bios“, die mit den bundesdeutschen Kommunalen Kinos vergleichbar sind.-