Film

Becoming Animal
von Peter Mettler, Emma Davie
CH/UK 2018 | 78 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 42
08.11.2018

Diskussion
Podium: Peter Mettler
Moderation: Till Brockmann
Protokoll: Mala Reinhardt

Synopse

In Kontakt treten, fühlend die Expressivität der Umwelt erleben – Teil ihrer Einheit werden: Der Blick fällt, geschult an der Denkart des Kulturökologen David Abram, in die unberührte Natur Wyomings – und zurück. Sorge um ein ganzheitliches Sehen des gar nicht so Anderen, verlernt durch Zeichen, Technik, Entfremdung: „How can I see this mountain more clearly?“ 

Protokoll

BECOMING ANIMAL, der Titel des Films von Emma Davie und Peter Mettler bezieht sich auf das gleichnamige Buch des Protagonisten David Abram. Die Entwicklung des Films war von Emma angestoßen worden. Die frühere Schauspielerin, die heute Filmemacherin und Leiterin des Edinburgh College of Art ist, und Peter kennen sich seit vielen Jahren. Am Anfang der gemeinsamen Dreharbeiten stand ein zwei- bis dreiwöchiger Dreh mit dem Protagonisten in der Natur. Das Ziel des Projekts war, eine sinnliche Erfahrung in Verbindung mit Davids Worten zu schaffen. Peter und Emma wollten ein Erlebnis kreieren, welches Literatur und Kino verbindet.

Die Arbeit als Co-Regie in einem Projekt mit drei Voice-overs war für beide neu. Bis hin zur Länge einzelner Bilder im Schnitt wurden alle Entscheidungen gemeinsam getroffen, Peter und Emma spielten sich Ideen hin und her und diskutierten lange über bestimmte Sequenzen. Seine eigene Herangehensweise etwa, im Schnitt die Elemente Bild, Sound und Sprache gleichzeitig zu bearbeiten, stieß bei Emma auf Unverständnis. Ihr Fokus lag vielmehr auf Rhythmus und Schnittabfolgen. Peter beschreibt die gemeinsame Arbeit im Nachhinein als sehr detailliert und zugleich anregend, da der Prozess Anstöße für neue kreative Entscheidungen bot, die alleine wohl nie ausprobiert worden wären.

Obwohl an unterschiedlichen Orten gefilmt, suggerieren die langen und genauen Aufnahmen der Natur, dass der ganze Film an einem Ort innerhalb von zwei bis drei Wochen im Herbst gedreht wurde. Diese Fokussierung auf einen Ort war eine bewusste Vermeidung eines Abgleichs verschiedener Schauplätze. Laut Peter bewegt sich der Film gewollt an der Grenze von Naturfilmästhetik und Kitsch. Im Laufe der Zeit wird das Gefühl für „das Tier hinter der Kamera“ vom Schnaufen und Wackeln unterstützt und immer präsenter. Darauf aufbauend stellt sich auch die Frage, ob sich die Kamera zwischen den Menschen und die Natur schiebt. Für Peter ist klar, dass wir die Technik brauchen, um sehen zu können. Dabei bietet uns die Technik auch Möglichkeiten, näher an die Natur heranzukommen, wie etwa durch die anfänglichen Nachtaufnahmen, die uns Dinge sehen lassen, die sonst unsichtbar bleiben würden. Statt von einem „going-back to nature“ zu sprechen, sieht Peter vielmehr die Chance, im Kino durch bestimmte sinnliche Bilder den eigenen Erfahrungshorizont zu erweitern.

David Abram nimmt im Film eine sehr dominante Rolle ein. Peter und Emma zweifelten im Prozess manchmal selbst an seiner großen Präsenz. Die Art und Weise, wie sie es schafften, sich der Gedankenwelt ihres Protagonisten anzunähern, ohne ihm zu viel Autorität zu geben und den Film zu Davids eigenem Produkt werden zu lassen, wird vom Publikum an verschiedenen Punkten aufgegriffen. So wird zum einen auf Brüche aufmerksam gemacht, die durch die inhaltliche Ungenauigkeit der esoterischen Weltansichten Davids sichtbar werden. Dass ein Widerspruch zwischen den Filmemachern und ihrem Protagonisten herrschte, bestätigt Peter, der die Zusammenarbeit mit David als Herausforderung beschreibt. Zum anderen wird auf die elegische und sakrale Form des Tons verwiesen. Klassische Musik, zum Teil sehr laute Einstellungen bewirken eine emotionale Steuerung der Zuschauenden. Für Peter werden die Brüche im Film aufgezeigt. So spricht David zu Beginn vom Röhren des Elchs als Ursprung der Musik. Diese Basis greifen Peter und Emma auf und steuern schrittweise vom Gesang hin zu elektronischer Musik.

Ein weiterer viel diskutierter Punkt bezieht sich auf die Frage nach dem Off-Text. Hätte es andere Möglichkeiten als die dominante Stimme des Protagonisten geben können? Peter glaubt an dieser Stelle, dass auch andere Lösungswege denkbar gewesen seien. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Films stand für die Filmemacher im Vordergrund, ein Zusammenspiel von Davids selbstreflexiven Momenten in der Natur und den Bildern zu schaffen, ohne ihm eine zu große Autorität zu gestatten, was durch direkte Sprache in die Kamera verstärkt worden wäre. In diesem Punkt unterscheiden sich die Eindrücke der Zuschauenden. Einige empfanden das inhaltliche und sprachliche Wissen sehr ansprechend und wünschten sich mehr Szenen, wie das Berühren des Baumes durch David und dessen anschließende Erklärung seiner Gefühle. In diesem Fall wurde seine dogmatische Off-Stimme in Kombination mit menschenleeren Bildern als sehr unemotional wahrgenommen. Andere fanden vor allem das visuelle Aufgreifen bestimmter Konzepte – wie beispielsweise des Animismus – ansprechend. Die Verarbeitung höchst sinnlicher Eindrücke durch Ideen der Bildgestaltung wurden als Versuch gedeutet, die Welt durch die Augen des Protagonisten wahrnehmen zu können. Letztere Ansicht wird von Peter unterstützt. Dass David als „weißer Mann“ im Norden Wyomings über das Verhältnis von Natur und Mensch aufklärt, löst bei einigen heftige Kritik aus. Warum hatten nicht indianische Vertreter in diesem Setting gezeigt werden können? Die Erklärung, dass indianische Wandbilder gezeigt wurden, ist eine insofern nicht zufrieden stellende Antwort Peters, als dass diese direkt mit einem aufklärerischen Off-Kommentar Davids unterlegt und nicht für sich stehen gelassen werden.

Während der Titel BECOMING ANIMAL auch auf die philosophischen Schriften Deleuzes deuten könnte, der sich klar anti-anthroposophisch positioniert, wird in Peter und Emmas Film ausschließlich auf Davids Texte verwiesen. Dieser geht bei Mensch und Natur von einem rezipierenden System aus. Sein Fokus liegt auf der Entwicklung der Sinne und ihrer Veränderung durch Schrift und Technologie. Dieser klar abgesteckte Rahmen des Films wird von einer Stimme aus dem Publikum kritisiert, die sich gerne ein größeres Bild von der Thematik gemacht hätte.

Peters und Emmas eigene Perspektive auf Davids Sichtweisen zeigen sich immer wieder im Film. So greifen sie seine Idee einer animistischen Realität auf, lassen jedoch durch technische Eingriffe Brüche entstehen. Beispielsweise fängt das Thema „Fliegen“ beim Vogel an. Durch eine kleine Kamera, die auf den Rücken eines Raben geschnallt wird, wird zwar das Fliegen an sich erfahrbar, jedoch wird keine natürliche Sicht des Tieres angestrebt, sondern vom technischen Eingriff verändert. Peters und Emmas Gedankengang führt dann zu einem technologisierten Vogel, dem Flugzeug. So werden im Verlauf des Films immer wieder Vorstellungen und Wünsche Davids aufgegriffen. Dass sie im Film keine Kommentierung und Einordnung durch die Regie erfahren, kann jedoch nicht behauptet werden.