Mache ich mich mit diversen Webmaschinen auf die Suche nach Bildern zum Begriff „hybrid“, blickt mir sogleich eine bunte Auswahl schnittiger Autos entgegen. Hier und da mengen sich Aufnahmen oder KI-generierte Animationen von Tierkörpern unter, deren Erbgut aus mehreren klassifizierten Arten bestehen soll. Hybridia = Mischling. Während es im Fall Automotor und in Bezug auf Tierarten relativ logisch erscheint, was mit einer „Mischung“ gemeint ist, verspricht die Charakterisierung von Filmen als hybrid schon komplizierter zu werden. Dokumentarfilm, Spielfilm, Dokumentarfilm mit fiktionalen Elementen, Spielfilm mit dokumentarischen Elementen oder Hybridfilm?
Von Hybriden zu sprechen, bedeutet zunächst von verschwimmenden Grenzen auszugehen. Dominik Kamalzadeh stellt eine „Überlagerung unterschiedlicher Inszenierungsstrategien“1 als kennzeichnend fest. Dafür gilt es wiederum eben jene Bereiche zu erkennen und auszuloten, die einander überlagern. Die Filmtheoretikerin Janet Staiger setzte sich, als Mitte der 1990er die Diskussion um Hybride in den Kulturwissenschaften aufkam, mit dem filmischen Hybridbegriff im Kontext von Genres auseinander. Sie argumentierte, dass es nur dann sinnvoll sei von Hybriden zu sprechen, wenn ein ausgeglichenes Verhältnis mit wechselseitigem Einfluss zwischen den Genres herrsche, da – und hiermit knüpfte sie an die Postcolonial Studies und deren Diskurs um Hybridkulturen an – mit der unausgesprochenen Dominanz eines der Genres eine Abwertung des anderen erfolge.2
Dominiert eine Inszenierungsstrategie also, handelt es sich streng genommen um kein Hybrid, sondern um einen Dokumentarfilm mit fiktionalen Elementen bzw. ein Spielfilm mit dokumentarischen Elementen, einen experimentellen Dokumentarfilm usw. Ambivalenzen sieht sich jeder Dokumentarfilm bis zu einem gewissen Grad gegenüber, ob hybrid oder nicht. Im Falle des Hybrids lässt uns der Film als Publikum verunsichert und uneins darüber sein, welche Kategorie wir ihm am ehesten überstülpen könnten.
Wenn wir dokumentarische Aufnahmen als Zeuginnen von Empirischem, von Sicht- und Hörbarem verstehen, von Dingen und Ereignissen, die sich in unserer realen Lebenswelt, der äußeren Wirklichkeit, vollziehen, dann ermöglichen Hybride durch gezielte Eingriffe, durch Imaginationen, Vieldeutigkeiten oder durch verfremdende (Re-)Kombinationen die eigene Beziehung zu Bild und Ton neu zu vermessen. Dabei gilt es nicht nur das eigene Vertrauen in ein Abbild auszuloten, sondern auch die Erwartungshaltung gegenüber dem Dokumentarischen zu befragen.
„Füür Brännt“ (CH 2023) ist, dieser Argumentation folgend, weder ein Dokumentar- noch ein Hybridfilm, sondern ein Spielfilm mit dokumentarischen Elementen. Die Herangehensweise des Regisseurs Michael Karrer erinnert an Strategien von Valeska Grisebach für „Mein Stern“ (AT/DE 2001) oder Larry Clark für „Kids“ (US 1995): Die Regisseur:innen erarbeiten mit jugendlichen Darsteller:innen gemeinsam ein Skript und fiktionale Rollen, um sie dann für die Aufnahmen vor der Kamera zu großen Teilen improvisieren zu lassen. Ein entscheidender Faktor ist dabei, dass die Fiktion dominiert, Szenen und Ereignisse werden gezielt kreiert. Die Gefilmten agieren nicht als Repräsentant:innen ihrer Selbst, sondern spielen mit der Regie gemeinsam erdachte Charaktere.
Anders verhält es sich in Francesca Bertins und Volker Sattels „Tara“ (IT/DE 2022). Bewohner:innen der süditalienischen Stadt Taranto erzählen einander – aber eindeutig für die Ohren der Zuschauer:innen bestimmt – von diversen Begebenheiten und Ereignissen. Sie spielen diese Unterhaltungen, so als passierten sie spontan. Wesentlich werden dabei nicht ihre jeweiligen Charakterzüge, sondern ihre Funktion als Informationsträger:innen. Ihre Gespräche und Bewegungen durch Landschaften und Straßen – einer Figur folgt der Film während ihres meist wortlosen Durchstreifen von Taranto und seiner Umgebung immer wieder – sind eingebettet in ein dokumentarisches Porträt eines Ortes.
Ähnliches lässt sich in Bezug auf Tatiana Huezos „El Eco“ (MEX/DE 2023) feststellen, für den sich die Filmemacherin in ein Dorf im nördlichen Mexiko begab. Sie beobachtete den Alltag der Bewohner:innen, zugleich aber leitete sie auch Szenen an, um das zuvor Beobachtete für die Kameralinse zu reproduzieren. Diese Regiestrategie, Vorgaben für Gespräche zu geben, schließt im Prinzip an Interviewsituationen an, bloß wird in Talking Head-Settings weniger deutlich, dass das Gesagte ebenso abgesprochen ist. Dementsprechend betrachte ich diese beiden Beispiele als Dokumentarfilme.
Die Inszenierungsstrategie von „La Empresa“ (DE 2023) lässt sich hingegen als Dokumentarfilm mit fiktionalen Elementen bezeichnen. Hier nimmt uns André Siegers mit in eine Rahmenerzählung, die glaubhaft wirkt, aber ebenso erfunden sein könnte. Ist es wirklich Zufall, dass das Filmteam den Landschaftsgärtner aus Las Vegas in Mexiko wieder trifft? Die Off-Stimme reflektiert in ruhiger, fast monotoner Tonlage zu Beginn darüber, dass das Team eigentlich in Las Vegas drehen wollte, jedoch alles ins Wasser fiel und sie nun vor einer völlig neuen Situation stünden. Sie fahren nach Mexiko, an einen Ort der Fiktionen, um selbst einen dokumentarischen Blick auf diesen zu werfen: Das porträtierte Unternehmen in El Alberto verkauft Inszenierungen von Fluchterfahrungen. Produktionsfirmen aus aller Welt drehen hier Szenen für ihre fiktionalen Geschichten. Siegers filmt das Fiktionalisieren der „Caminata Nocturna“, spricht mit Angestellten und Betreiber:innen der Firma und kommentiert den eigenen filmischen Versuch durch einen Off-Text. Die Inszenierungsebenen des Films lassen sich voneinander unterscheiden.
In Patric Chihas „Brüder der Nacht“ (AT 2016) hingegen verschwimmen die Grenzen merklich. Laut Protokoll beschrieb Chiha die Entstehung des Films als ,„eine Reise vom Dokumentar- zum Spiel- zum Dokumentarfilm“. „Brüder der Nacht“ porträtiert bulgarische Roma, die in Wien der Sexarbeit nachgehen.
Es stehen Szenen, in denen die Männer interagieren und für die sie, so Chiha, vor die laufende Kamera traten, wenn sie Lust hatten, neben Interviewpassagen. Die Männer spielen und repräsentieren sich selbst und Chiha hielt sich dabei, eigenen Angaben zufolge, zurück. Der Film verunsichert uns in unserer Einschätzung, ob es sich um Dokument oder Fiktion handelt. Die Protagonisten nehmen in ihrer Selbstinszenierung und in spielerisch gestalteten Szenen unterschiedliche Verhaltensweisen an, die spürbar ineinanderfließen: ein Hybridfilm.
Aleksey Lapins Hybridfilm „Krai“ (AT 2021) lässt Grenzen nicht nur ins Unscharfe verlaufen, sondern entzieht sie durch seine Metaebene völlig der Erkennbarkeit. Lapin begibt sich samt Filmteam in das russische Heimatdorf seiner Verwandten und kündigt den Bewohner:innen an, einen Historienfilm zu drehen. Scheinbar zufällige Begegnungen, Castings, Making-off-Szenen und Versatzstücke einer fiktionalen Liebesgeschichte ergeben den fremden und zugleich vertrauten Blick auf einen Ort. Das Eingreifen des Regisseurs formt sich dabei zu einer eigenen, omnipräsenten Repräsentationsebene. Handelt es sich um einen Spielfilm über ein Team, das einen Film drehen will oder um einen Dokumentarfilm, der eben jenen Prozess spielerisch mitverfolgt? Finden Begegnungen im Dorf zufällig statt oder folgen sie einem genauen Plan? Wo und wie können wir die Grenzen ziehen?
Hybridfilme verunsichern. Sie führen ihr Publikum einen Pfad entlang, um dann doch eine andere Kerbe einzuschlagen. Sie spielen mit der Inszenierung der gebrochenen Dokumentation des Realen und legen ihre Wirkung darin fest, spielerisch zu zeigen – über ihren Gegenstand und über die notwendige Skepsis gegenüber ihres Potenzials zu Zeigen selbst. Sobald die Kamera läuft, mischt sich die Fiktion ein. In dieser Unschärfe liegt ein Moment der Selbstermächtigung für die im Bild Sichtbaren. Denn sie werden in Hybridfilmen mit einem beobachtendem Blick nicht als vorsätzlich authentische Subjekte vorgeführt, sondern zu Agent:innen ihres semi-fiktionalen Selbst. Das Publikum zweifelt in dem Moment, in dem seine Überlegenheit dem Bild gegenüber fällt, am eigenen Blick und der eigenen Position und muss sich zurücknehmen, um sein Verhältnis zum Sicht- und Hörbaren neu zu überdenken, sich im Geradeaus zu verschwimmen.
Bianca Jasmina Rauch arbeitet als Filmwissenschaftlerin und Filmkritikerin im Kino, für print und online, sie schrieb ihre Dissertation über feministische Inszenierungsstrategien in deutschen und österreichischen Coming-of-Age-Spielfilmen
1 Kamalzadeh, Dominik. “Wirklichkeitsgestalter Hybride Formen im österreichischen Dokumentarfilm,” Österreich real, Alejandro Bachmann, Michelle Koch (Hg.), Wien: Verlag Filmarchiv Austria, 2022.
2 Staiger, Janet. “Hybrid or Inbred: The Purity Hypothesis and Hollywood Genre History.” In Film Genre Reader IV, 203–17. New York, USA: University of Texas Press, 2021.