Film

Füür Brännt
von Michael Karrer
CH 2023 | 74 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 47
8.11.2023

Diskussion
Podium: Michael Karrer
Moderation: Ute Adamczewski
Protokoll: Noemi Ehrat

Synopse

Ein lauer Spätsommertag im Park. Kinder spielen Räuber und Gendarm. Junge Erwachsene üben sich in Mutproben beim Springen über ein Lagerfeuer. Dazwischen wechseln tiefgründige Gespräche, berauschte Konflikte und zärtliche Liebesbande einander ab. Mit zunehmender Dunkelheit verschwimmen die Gruppen ineinander, während die Konturen von Klasse und Milieu in der Glut der Nacht sichtbarer werden.

Protokoll

„Von der ersten Einstellung an war mir sofort klar, dass die Jugendlichen zum See gehen – dies ist eine Situation, die ich und wahrscheinlich viele Leute im Saal hier kennen, weil wir privilegiert aufgewachsen sind“, eröffnet Moderatorin Ute Adamczewski das Gespräch mit dem Regisseur Michael Karrer, nachdem der volle Kinosaal sich im Diskussionsraum eingefunden hat. Ob es die Idee war, einen Film über das Vertraute zu machen, über ein Milieu, wo man selbst dazugehört. Karrer bestätigt dies und korrigiert – „die Jugendlichen gehen zum Fluss, nicht zum See“.

Die Reaktionen und das Mitgehen des Publikums im Kinosaal dürften Adamczewski mit ihrer Beobachtung Recht geben: Karrer hat in „Füür Brännt“ Situationen kreiert, die viele kennen oder in die sie sich hineinversetzen können, sei es das gemeinsame Baden und „Bräteln“ oder angetrunkene „Mafia“ spielen. Auch die drei Altersgruppen, die im Film vorkommen, nämlich die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen, und ihre Erfahrungen entspringen Karrers eigenen Erinnerungen, wie er auf Adamczewskis Nachfrage ausführt.

„Die Jugendlichen kannte ich bereits, weil ich einen Kurzfilm mit ihnen gedreht hatte“, so Karrer über die Zusammenarbeit. Anhand seiner Jugenderinnerungen habe er dann einen kurzen Prosatext geschrieben und die Gruppe gefragt, ob sie weitere Freund:innen hätten, die an einem Film mitwirken wollten. Erst im Sommer darauf hat er dann jeweils die Szenen mit der Kinder- beziehungswiese der Erwachsenengruppe gedreht.

Dieser Ansatz Karrers und seine Erwähnung eines Skriptes lassen einen nahtlosen Übergang zur Diskussion über das Genre des Films zu. Vor dem Screening hatte Karrer das so formuliert: „Es ist ein Film, der sich im Dazwischen von Dokumentation und Fiktion bewegt“, was man als fast schon als Umformulierung des diesjährigen Festivalmottos, „Im Geradeaus verlaufen“, verstehen könnte. Adamczewski will wissen, ob diese Entscheidung von Anfang an bestanden hätte. Karrer holt aus, um Einblick in seine Arbeitsweise zu gewähren: Er habe zu Beginn eine vage Vision des Films gehabt und verschiedene kleine Momente gesammelt, von denen er glaubte, dass sie etwas auslösen, oder wie er es formuliert, die „etwas machen“. Gemeint sind kleine Gesten des Miteinanders, wie wenn einem eine Person nicht gehen lassen will oder man eine Tür offenlässt, weil jemand draussen im Garten schläft. Dann sei er wie ein Spielfilmregisseur an seine drei Gruppen herangegangen und habe Szenen so aufgebaut, dass sich Momente unmittelbar ergeben hätten.

„Ich kann und will nicht sagen, dass es ein klassischer Dokumentarfilm ist, weil die Darsteller:innen Figuren sind, die wir kreiert haben“, sagt Karrer. In der Erwachsenengruppe sind übrigens ein paar wenige Schauspieler:innen dabei, die anderen sind Freund:innen des Regisseurs – und eben Laien. „Für mich gibt es unterschiedliche Grade von Fiktionalisierung“, spinnt Adamczewski den Gedanken weiter. „Je älter die Leute sind, umso mehr entsteht das Gefühl von acting“. In der Zusammenarbeit mit den Kindern habe er seine Strategie deswegen auch geändert, so Karrer. „Ich habe Spiele erfunden, damit sie nicht die ganze Zeit aus dem Bild gehen“. Entdeckt hat Karrer die Jungs übrigens, weil sie Autofahrer an der Strasse stehend zum Hupen motivieren wollten – Karrer war im Auto, „da musste ich einfach hupen“, sagt er zum Amüsement des Publikums. Da wusste er, dass er seine Darsteller gefunden hatte.

„Im Film, wie ich ihn kenne, ist vieles konform, auch die Kinder, die oft von ihren Eltern zu Schauspielern ausgebildet werden“, erklärt er. Die von ihm ausgewählte Gruppe wäre nach zehn Sekunden nach Hause geschickt worden, weil sie in einem Casting gar nicht tragbar wären. „Ich hab’s auch unterschätzt, mit ihnen zu arbeiten“, gibt er zu. „Ich hatte noch nie in meinem Leben das Gefühl, so überfordert zu sein“. Er habe dabei viel gelernt. Während eine Szene, in der sich zwei Jungs über ihre Zukunftsträume unterhalten, laut Karrer am „dokumentarischsten“ sind, entspringt eine andere, in der ein Junge Steine an ein Fenster wirft, klar Karrers Nostalgie. „Er würde da nie hingehen und Steine schmeissen, die sitzen nur am Handy, aber er kann es auf seine Weise umsetzen“, witzelt der Filmemacher.

Adamczewski kommt nochmals auf die Gruppen zu sprechen – dass es keine Hauptfiguren gebe, sei ja total selten, ob dies von Anfang an feststand. Dadurch würde der Film eine polyphone Qualität erhalten, stellt sie fest. „Ich versuche, Filme zu machen, die sich nicht um das Individuum drehen, weil es davon genug gibt“, antwortet Karrer. Er wolle im Kollektiv arbeiten und über Kollektivität nachdenken – die Produktionsfirma, die er gemeinsam mit anderen Filmschaffenden betreibt, heisst passenderweise „Sabotage Kollektiv“. Doch im Film bricht das Individuum auch immer wieder durch, etwa in körperlichen oder sprachlichen Rangeleien und Machtkämpfen, in denen Hierarchien verhandelt werden.

„Sprache spielt in „Füür Brännt“ eine immense Rolle, denn während ein konventioneller Spielfilm versucht, ein Maximum an Szenen sprachlos zu erzählen, führt die Sprache hier zu einer Verdichtung von Realität, und diese Formen von Ausschluss und Zugehörigkeit werden ständig über Sprache verhandelt“, merkt Adamczewski dazu an. Karrer bezieht dies auf die sprachliche Situation in der Schweiz. „Es ist auch eine Trotzreaktion meinerseits darauf, dass da, wo ich herkomme, eine Landessprachvielfalt existiert und dies aber fast niemanden beim Spielfilm interessiert“. Dies führe zur Kreierung einer Art Filmsprache, was meist schlechtes Schauspiel sei und nicht unmittelbar oder natürlich klinge. „Für mich war es wichtig, dass die Sprache ein Freiraum ist“. Deswegen habe er mit den Darsteller:innen nicht nur körperliche Übungen gemacht, sondern etwa auch das Sich-Ins-Wort-Fallen geprobt.

Zum Stichwort des sich Unterbrechens erkundigt sich ein Mann aus dem Publikum nach den Verhandlungen von Männlichkeiten im Film. „War dies eher ein Seitenprodukt oder eine bewusste Setzung?“ „Es geht sehr oft um dominante Männer“, bestätigt Karrer. In seinen Filmen versuche er jeweils Dinge zu verhandeln, die ihn an sich selbst oder an seinem Umfeld nervten, dies dann aber so human wie möglich. Als Beispiel nennt er eine Szene, in der – je nach Interpretation – ein Mann höchstgradig mansplaint oder von seinem Gegenüber einfach nicht verstanden wird.

Adamczewski kommt nochmals auf das Dokumentarische zu sprechen. Nachdem der Film die drei Altersgruppen erst verwebt, gehen die Kinder im Verlaufe des Abends ins Bett, womit ein Drittel der Besetzung und auch des Narrativs wegfällt. „Das Verhältnis vom Dokumentarischen zum Fiktionalen kippt dann“, so Adamczewski. Er hätte mit den Kindern zwar bis spät abends filmen dürfen, aber ihre Realität sehe halt nicht so aus, begründet Karrer den Entscheid. Zudem sei es bei den anderen beiden Gruppen erst dann richtig spannend geworden, als es dunkel wurde.

Zu den drei Gruppen meldet sich Alejandro Bachmann aus dem Publikum mit einer Frage. „Warum hast du nicht versucht, das Milieu der drei Gruppen ähnlich zu halten?“, will er von Karrer wissen. Die jüngste Gruppe scheine eher in einem Sozialbau zu leben, während sich die Ältesten in bester Lage auf einem Hügel träfen. Karrer weicht der Frage erst etwas aus, meint, es gäbe immer Menschen, die sich auf diesen Aspekt des Films fokussierten. „Ich wollte beim Casting niemanden per se ein- oder ausschliessen“, sagt er dazu. Dann ergänzt er, „gibt es Schlüsse, die wir daraus ziehen können oder sollen?“. Er wisse es nicht. Doch Bachmann lässt nicht locker, sagt, er sei skeptisch. „Der Film erzählt dadurch sehr stark von Milieus, dass die jungen Leute an einem bestimmten Ort der Stadt wohnen, die älteren in einem anderen“. Karrer will keine Wertung dazu machen, sagt, er fände es „mega oke, dass der Film für dich das erzählt“.

An dieser Stelle mischen sich Adamczewski und Mischa Hedinger ein. Adamczewski sieht die gezeigten Orte im öffentlichen Raum eher als Verweis auf ein Bild der Schweiz. „Wir leben nicht in einer klassenlosen Gesellschaft, das kannst du nicht weglassen“, richtet sich dann Hedinger an Karrer. Für ihn erzähle der Film viel vom Habitat der Schweiz, wo kleine Probleme zwischenmenschlich soft verhandelt würden. Er bewundere Karrer für seine Liebe für die Menschen und das Beobachten, weil er es selbst nicht habe. „Jetzt sprechen zwei Schweizer über die Schweiz“, scherzt Karrer.

Er habe tatsächlich eine grosse Liebe für menschliche Momente. Er habe aber auch Angst gehabt, weil die Figuren in seinem Film „spektakulär uninteressant“ seien und die Synopsis nicht so cool klinge. „Ich musste diesen Film machen, weil er auch entblösst“, sagt Karrer weiter. Er entblösse vielleicht ihn, das Land, oder die Strukturen, für die man sich auch schäme. Dann merkt er an: „Was ich sehr oft sehe, sind Menschen, die privilegiert sind und Filme machen über Menschen, die weniger privilegiert sind und es nervt mich, wenn solche Filme misslingen.“ Dies müsse mitbedacht werden.

Adamczewski bringt die Diskussion, die in ihrem losen und doch angenehm mitreissenden Fluss passenderweise weitgehend der Form des Films gefolgt ist, mit einem letzten Vermerk zum Kollektiv zum Schluss: „Film ist oft eine Zuspitzung, im Dokumentarfilm insbesondere von Schicksalen oder Talenten – und das „Sabotage Kollektiv“  spitzt einfach nicht zu.“ „Für Brännt“  kann durchaus mehr als Spiel im Raum zwischen dem Fiktiven und dem Dokumentarischen gesehen werden, das sich nicht nur in Fragen des Genres weigert, Konventionen zu folgen.