Etwas ist komisch am dokumentarischen Begehren: Was heißt es, Filmemacher:in und Teil der profilmischen Anordnung zu sein? Was, Menschen ‚als sie selbst‘ vor die Kamera zu holen, und einem Publikum für die Faktizität des Vorgeführten gerade zu stehen? All diese dokumentarischen Routinen bringen Inkongruenzen ins Spiel, ein schillerndes Nicht-Übereinstimmen zwischen Anforderungen und Realitäten. Und genau da, sagt die Komiktheorie, beginnen die Dinge komisch zu werden, und zwar im Doppelsinn, den das umgangssprachliche Englisch unterscheidet: funny ha-ha (zum Lachen komisch) und funny weird (befremdlich). Die drei Filme aus der jüngeren Geschichte der Duisburger Filmwoche, die mich hier interessieren, – „Feldarbeit“ (2012), „Picnic at Hanging Rock“ (2021) und „La Empresa“ (2023) –, bewegen sich alle in unterschiedlichen Zonen dieses funny-Kontinuums. (Das Protokoll zu „Picnic at Hanging Rock“ spricht von einer „Comedy-Kracher“-Stimmung im Kinosaal, in dem zu „Feldarbeit“ wird „komisch“ vor allem in zweiterem Sinn verwendet, auch wenn die Frage nach dem Lachen beim Filmsehen – intendiert? akzeptiert? – im Filmgespräch dann doch zur Sprache kam). Aber alle drei Filme denken über ihre Selbstpositionierung im Feld des Dokumentarischen mit Mitteln des Komischen nach. Und sie sichern sich mit dem, was sie an sich als befremdlich – und oft auch zum Lachen komisch – vorführen, nicht ab, sondern exponieren Stresspunkte des dokumentarischen Arbeitens.
Dass an Dokus etwas weird ist, ahnt Comedy schon lange: Was unterscheidet Dokumentarfilmer:innen von Spielfilmregisseur:innen? Der US-Komiker Albert Brooks hat 1979 in seiner Mockumentary „Real Life“ eine maximalistische Antwort vorgeschlagen: Der Dokumentarist hofft, nicht bloß einen Oscar zu gewinnen, sondern bestenfalls einen Nobelpreis gleich mit. Diesen Träumen gibt sich jedenfalls der Showbiz-Gockel hin, den Brooks in seinem Langfilm-Regiedebüt unter eigenem Namen spielt, und der sich mit der monatelangen Beobachtung einer normalen US-Familie in Phoenix, Arizona, einen Namen machen will. Als das geplante Familienporträt (eine Parodie der Proto-Reality-PBS-Serie „An American Family“ von 1973) trotz Hinterbühnen-Interventionen nicht an Dynamik gewinnt, wird der Dokumentarist zum Brandstifter. Man muss Brooks‘ enthemmtes Portrait eines Narzissten nicht als Befund über einen Berufshabitus missverstehen, um am dokumentarischen Begehren etwas im Doppelsinn komisch zu finden. Was ist das denn für eine Tätigkeit – Geschichten, Erfahrungen und Bilder anderer für das eigene Werk zu sichern; dabei in der Öffentlichkeit geradezustehen für Faktentreue und Relevanz des Eingesammelten?
So nutzt dann auch Filmemacherin Naama Heiman in „Picnic at Hanging Rock“ (2021) – dem deutlichsten funny ha-ha-Film unter meinen drei Beispielen – ein pointenreiches Voice-Over, um ihre eigene Position, vor allem die (durchaus übergriffigen) Triebkräfte hinter ihren Kamerabeobachtungen zu thematisieren. Heimans selbst eingesprochener Off-Text wirkt geschult an Geständnis-Stand-Up-Comedy der selbstverwundenden Sorte: Der Film, so Heiman unumwunden, ist als Portrait ihres WG-Genossen Biniam auch eine Ausrede, um zu ihm trotz unerwiderter Liebe Kontakt zu halten. Damit wird Biniam wiederum zum Vorwand für den Film, um ein Corona-Kammerspiel der obsessiven Besetzungen zu entfalten, die dokumentarisches Filmemachen häufig begründen und in Lauf setzen. In einer Schlüsselsequenz lauert die Kamera vor der Tür Biniams, der sich (Heimans Deutung) vorsätzlich abgekapselt hat, während die Filmemacherin die Ferndiagnosen ihrer eigenen Therapeutin für den ungreifbaren jungen Mann hinter der Tür rezitiert.
Andere zu Bildern für die eigenen Empfindungen zu machen – das demonstriert „Picnic at Hanging Rock“ entschieden –, ist im Dokumentarfilm oft ununterscheidbar Welterschließung, cri de cœur und übergriffiger Witz. Das gilt bereits für die voyeuristischen Fenster-zum-Hof-Aufnahmen nichtsahnender Nachbar:innen auf ihren Balkons und Dächern, die Heiman zu Filmbeginn zeigt. Diese Tableaus kleinbürgerlicher Selbstbeschäftigung im Frühsommer 2020 bebildern die Frustration der Regisseurin mit ihrem Studentinnenleben im biederen „fucking Bickendorf“ in Köln. Dieses Leiden an dem bürgerlichen Stadtteil steht wiederum in einem unausgesprochenen Verhältnis zu Heimans anfangs thematisierter Unzufriedenheit, statt großem Kino (siehe der geliehene Filmtitel) ‚nur‘ einen handgestrickten Dokumentarfilm mit einer von Biniam geborgten Kamera zu machen.
Der rasante, noch in der Selbstbezichtigung fein austarierte Ich-Kommentar sichert die Selbstdekonstruktion zugleich ein Stück weit ab: Heimans Innerlichkeit ist voller pointiert ausgeführter Selbstwidersprüche, aber ihre Perspektive bleibt im Dreiviertelstünder alternativlos. Riskanter erscheint es dagegen, wie sich Henrike Meyer in ihrem 38-Minüter „Feldarbeit“ (2012) einsetzt, nämlich von Anfang an als Akteurin vor der Kamera, die in der selbst gesetzten Drehanordnung eine nicht immer souveräne Figur macht. Der Versuch, dem eigenen Vater während dessen Saisonarbeit auf einem ostdeutschen Spargelhof näher zu kommen, läuft vor allem zu Filmbeginn unterspielt witzig an dessen geschäftigen Routinen und wortkargen Reaktionen vorbei: Beim gemeinsamen Traktorfahren übers Spargelfeld tastet sich Meyer fasziniert an den richtigen Vergleich für diese Raumerfahrung heran (Landebrücke? Kommandobrücke!), den der Vater eher ratlos registriert. „Feldarbeit“ ist dabei entschieden nicht auf Pointen hin zugespitzt.
Aber in der Art, wie die Regisseurin und Cutterin Meyer das erfolglose Insistieren der Protagonistin Henrike auf ihren familialen Andockversuchen (und Drehkonzepten) zeigt, entsteht eine Figurenkomik, die wesentlich an der Selbstspaltung in Regie und Hauptfigur hängt. Dass bei der Logline „Berliner Filmstudentin kehrt zurück aufs Land“ komische Verzerrungen (in beide Richtungen) mitgedacht werden müssen, wird explizit, wenn Meyer ihren Vater gegen Ende über eine Zeichnung fragt, die sie von einem seiner Kollegen gemacht hat: „Meinst du, er mag das, oder sieht es eher aus wie eine Karikatur?“
Was das heißt, Bilder von anderen zu machen, die Frage geht „La Empresa“ (2023) von André Siegers direkter an, und das beginnt damit, dass der Film das Ich umschifft: Im Voice-Over-Kommentar, trocken eingesprochen vom Cutter des Films, Simon Quack, ist vom Drehteam in dritter Person als „den Deutschen“ die Rede. Dabei geht es nicht um die Behauptung einer objektiven Position des Dritten zwischen Drehteam und Menschen vor der Kamera. Eher wird durch diese rhetorische Versetzung die Genese des Films zugleich als typisch (eher denn höchstpersönlich) und seltsam eigendynamisch markiert: Zu Filmbeginn sind die Deutschen in Las Vegas, wo sich eine Dreh-Idee (über ein kurioses touristisches Reenactment-Projekt) zerschlagen hat. Hier werden sie zufällig auf den mexikanischen Ort El Alberto aufmerksam, der eine Simulation illegaler nächtlicher Grenzübertritte in die USA als touristische Attraktion betreibt. In El Alberto angekommen folgt die narzisstische Kränkung des dokumentarischen Begehrens: Auf die Idee, hier zu filmen, sind schon viele, viele andere Film- und Fernsehteams gekommen, auch dieses Jahr schon. Dass die Dorfautoritäten die Bilder und Geschichten des Ortes inzwischen nur gegen Bezahlung anbieten, bringt die Deutschen außerdem in die Position von Kunden, die sich fragen müssen, welche Bilder dieser lokalen Mikroökonomie sie denn gerne hätten, und was an diesen Bildern dokumentarisch aufschlussreich sein könnte.
Mit lakonischem Witz arbeitet sich „La Empresa“ so an zwei verschiedenen Arten von Übereinkünften ab, die das Dokumentarfilmemachen strukturieren: Die erste davon, die Frage danach, was das Dokumentarische als einen Aussagemodus des „Wahr-Sagen“ (Roger Odin), des Treffens von und Bürgens für Behauptungen über die Wirklichkeit, von anderen Formen filmischen Ausdrucks unterscheidet, bringen in einer frühen Szene die Medienmanager von El Alberto selbst aufs Tapet. Im Telefonat zur Planung eines Drehs in El Alberto wird die Gattungsfrage – Telenovela oder Dokumentarfilm? – als ein eher untergeordnetes Detail behandelt. Ob Filme und Fernsehsendungen von den nächtlichen Erlebniswanderungen berichten oder diese in eine fiktionale Diegese einbauen, macht auf der Ebene der filmischen Form wenig Unterschied. In „La Empresa“ selbst ist dieser Übergang als eine Frage des Spaßes am Spiel markiert: Wenn das deutsche Kamerateam schließlich auf der Wanderung mitgeht, endet die Fiktion eines dramatischen Vorfalls (eine Marschierende ist erschöpft und muss weitergetragen werden) damit, dass die Menschen im Bild zu Lachen beginnen.
Als zweites geht es um die Verpflichtungen, die beim Dokumentarfilmen mit denjenigen eingegangen werden, deren Bildern und Geschichten sich der Film verdankt. Die reflexiven Manöver des Films, sein Thematisieren der Position des Drehteams und der wirtschaftlichen Zusammenhänge, an denen der Dreh selbst teilhat, weisen in die Richtung einer Ethik des Dokumentarfilmemachens, die kanonisch etwa Trinh T. Minh-ha als Versuch eines „talking nearby“ statt eines Sprechens über die Portraitierten formuliert hat. Woran die komische Erzählung vom tastenden, gelegentlich auch ratlosen Drehen der Deutschen erinnert, ist, dass es für ein solches nicht-extraktives Dokumentarfilmen auch bei Trinh keine sicheren Rezepte gibt. Es ist eine Frage situationsspezifischen Handelns, mit realen Einsätzen und ohne Netz.
Ähnlich „Picnic at Hangig Rock“ und „Feldarbeit“ überzeugt „La Empresa“ gerade insofern, als seine Komik die Fallhöhe dokumentarischen Arbeitens nicht verkleinern und verniedlichen will. Diese wird in den stärksten Momenten vielmehr zur Ausgangslage von dokumentarischem Slapstick, der witzig ist, weil Desaster immer möglich scheinen.
Joachim Schätz, Filmwissenschaftler in Wien, forscht und lehrt unter anderem zu Gebrauchs- und Dokumentarfilm und Poetiken/Politiken der Komödie. Er war 2014-2018 in der Programmkommission der Duisburger Filmwoche.